Baden-Württemberg: AfD-Fraktion hat sich gespalten

Baden-württembergischer Landtag. Foto: pjt56. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Mehrheit der Abgeordneten erklärt Austritt - bundespolitische Folgen ungewiss [Update]

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Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg erreichte die Alternative für Deutschland (AfD) aus dem Stand einen Stimmenanteil in Höhe von 15,1 Prozent. Der sorgte dafür, dass die erst 2013 gegründete und 2015 das erste Mal gespaltene Partei gleich mit 23 Abgeordneten in den Stuttgarter Landtag einziehen konnte.

Ähnlich wie bei den Piraten, die 2011 und 2012 als neue Partei Wahlerfolge feierten, wurde einer größeren Öffentlichkeit erst später bekannt, dass sich unter den gewählten Kandidaten auf den Parteilisten Personen befunden haben könnten, die extremistischen Szenen nahestehen (vgl. Piraten haben ein paar Probleme weniger). In der Stuttgarter AfD-Fraktion betrifft das möglicherweise nicht nur den Konstanzer Arzt Wolfgang Gedeon, sondern weitere neun Abgeordnete, die gestern eine Parteispaltung in Kauf nahmen, um seinen Ausschluss aus der Fraktion zu verhindern.

Fraktionschef Jörg Meuthen hatte auf so einen Ausschluss bestanden und dazu mit seinem Rücktritt bedroht. Ein im Juni gefundener Kompromiss, der vorsah, dass Gedeon seine Fraktionsmitgliedschaft ruhen lässt, bis drei wissenschaftliche Gutachten fertig sind, die sein Werk auf Antisemitismus und Führerkult untersuchen, zerbrach der Südwestpresse zufolge nicht nur an einem Hinweis der Landtagsverwaltung, dass ein Ruhenlassen der Fraktionsmitgliedschaft rechtlich nicht vorgesehen sei, sondern auch daran, dass sich keine drei namhaften Wissenschaftler oder Institute fanden, die Gutachten schreiben wollte.

JF: Abgeordneter wollte Holocaust-Leugner als Gutachter - [Update: Abgeordneter dementiert]

Andere Berichte deuten darauf hin, dass sich die Abgeordneten möglicherweise nicht über die Gutachter einig wurden: Der Jungen Freiheit zufolge soll der Gedeon-Unterstützer und "Hypno-Coach" Stefan Räpple (der für eine Stellungnahme nicht erreichbar war) sogar den Holocaust-Leugner Gerard Menuhin als Gutachter vorgeschlagen und kontaktiert haben, was von anderen Fraktionsmitgliedern als extreme Provokation empfunden wurde. Der Sohn des berühmten jüdischen Geigers Yehudi Menuhin hatte in seinem Buch Tell the Truth & Shame the Devil geschrieben: "Der Holocaust ist die größte Lüge der Geschichte. Deutschland hat keine Schuld am Zweiten Weltkrieg und Adolf Hitler war der einzige Staatsmann der Welt, der die Welt vor der plutokratisch-jüdischen Gefahr hätte retten können, um den unterjochten Planeten wieder zu befreien."

[Update:: Am 11. Juli - sechs Tage nach der Anfrage - rief Räpple Telepolis zurück und teilte mit, er habe kein Gutachten von Menuhin angefordert. Die Darstellung in der Jungen Freiheit sei unzutreffend und er werde dagegen rechtlich vorgehen, weshalb er keine weiteren Auskünfte dazu geben wolle.]

Nachdem gestern Vormittag ein zweiter Anlauf, Gedeon aus der Fraktion auszuschließen, die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit verfehlte, erklärten Meuthen und 12 weitere Abgeordneten auf einer Pressekonferenz um 16 Uhr ihren Austritt aus der AfD-Fraktion, die nun nur noch aus zehn Abgeordneten besteht - vier mehr, als für eine Fraktionsbildung nötig sind. Meuthen und seine zwölf Jünger wollen zwar in der AfD als Partei verbleiben, sich jedoch im Landtag zu einer neuen Fraktion zusammenschließen, die "definitiv antisemitismusfrei" sein soll. Ob es zwei Fraktionen einer Partei geben darf, wird derzeit von den Landtagsjuristen geprüft.

Bundespolitische Folgen ungewiss

Die Fraktionsspaltung könnte auch bundespolitische Auswirkungen haben: Bereits im Vorfeld hatte sie zu einem öffentlichen Streit zwischen dem stellvertretenden Bundessprecher Alexander Gauland und seiner Vorgesetzten Frauke Petry geführt: Während Gauland Gedeons umgehenden Ausschluss forderte und meinte, man brauche kein Gutachten, um den in seinem Werk deutlich zutage tretenden Antisemitismus als solchen zu erkennen, warf Petry ihrem Mit-Bundessprecher Meuthen vor, eine "geordnete und seriöse Form der Aufklärung" zu umgehen.

Auch der baden-württembergische AfD-Programmkoordinator Marc Jongen hatte in einen längeren Text zahlreiche Zitate aus Gedeons Werk aufgeführt, die auf eine eher problematische Weltanschauung hindeuten. In seiner Stellungnahme merkte er erst an, dass man aufgrund pauschaler und unberechtigt erhobener Vorwürfe in der Vergangenheit zurecht skeptisch sein müsse, wenn solche Vorwürfe laut werden, kam aber nach einem "Blick in die Schriften" zum Ergebnis, dass sie bei Gedeon zutreffen, auch wenn der Abgeordnete dies abstreitet (vgl. AfD: Antisemitismusstreit geht in die Verlängerung).

Dieser Hintergrund lässt es möglich erscheinen, dass sich die AfD nicht nur im Stuttgarter Landtag, sondern auch bundesweit erneut spaltet. Dass sich der Meuthen-Flügel danach der im letzten Jahr abgespaltenen Bernd-Lucke-Partei ALFA anschließt, ist jedoch insofern unwahrscheinlich, als die persönlichen Beziehungen zwischen Gauland, Lucke und anderen Personen noch zerrütteter sein sollen, als sie es Ende der 1990er Jahre zwischen Oskar Lafontaine und dem Team Gerhard Schröder waren. Eine andere Möglichkeit ist, dass sich Gauland und Meuthen bundesweit durchsetzen und den Gedeon-Flügel zur Gründung einer anderen Partei drängen.

Petry verlautbarte nach dem gestrigen Eklat auf Facebook, sie werde persönlich nach Stuttgart fahren "um mit der gesamten AfD-Fraktion zu reden", damit "ein Konflikt, der sich in einer Landtagsfraktion verselbständigt hat, nicht zur Schicksalsfrage der AfD wird." Der Rest des AfD-Bundesvorstandes veröffentlichte eine ohne Mitwirken Petrys verfasste Erklärung, in der es heißt, man "missbillige […] die Entscheidung derjenigen Mitglieder der AfD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, die den Ausschluss von Wolfgang Gedeon aus der Fraktion verhindert haben [aufs Schärfste]", weil diese Mitglieder "den Verbleib eines Abgeordneten in der Fraktion [akzeptieren], dessen Schriften eindeutig antisemitische Aussagen enthalten". Als Vertreter der AfD im Landtag von Baden-Württemberg erkenne man "ab sofort" nur noch "Jörg Meuthen und die Abgeordneten [an], die sich ihm anschließen."

[Update: Inzwischen hat Gedeon im Beisein von Petry und Journalisten selbst seinen Austritt aus der Fraktion erklärt. Petrys Büro meinte danach, nun sei "die Spaltung der AfD-Fraktion in Baden-Württemberg [doch noch] abgewendet". Wie Meuthen das sieht, ist noch offen: Immerhin zeigten die Vorgänge, dass sich neben Gedeon noch andere problematische Personen in der Fraktion befinden könnten.]