"Tierkörperaktion" vor dem Brandenburger Tor

Die Gruppe "Animal Equality" will mit 100 toten Küken, Hühnern, Ferkeln und Lämmern auf "unsichtbare Opfer des Konsums tierischer Produkte aufmerksam machen"

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Martin Meingast ist Mitglied der Gruppe Animal Equality, die sich nach eigenen Angaben "für eine Welt einsetzt, in der die Bedürfnisse aller Tiere Berücksichtigung erfahren". Für Dienstag planen er und seine Gesinnungsgenossen eine "Tierkörperaktion" vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

Herr Meingast, in Leipzig haben Tierschützer im letzten Jahr die Aufführung eines Aktionskunstklassikers von Herrmann Nitsch in seiner ursprünglich geplanten Form verhindert, weil dort Tierkadaver eingesetzt worden wären. Sie wollen jetzt für ihre "Tierkörperaktion" 100 tote Küken, Hühner, Ferkel und Lämmer verwenden. Fliegen da nicht die Fetzen unter den Tierschützern?

Martin Meingast: Bei unserer Aktion handelt es sich ja nicht um eine Kunstperformance. Die Tiere werden nicht als Objekte einer Inszenierung "missbraucht", sondern wir trauern, um sie im Rahmen einer Mahnwache, um auf die Ausbeutung der Tiere durch den Menschen aufmerksam zu machen.

Wir gehen im Rahmen der Aktion respektvoll mit den Tieren um - Herr Nitsch nicht. Andere Organisationen werden sicherlich den offensichtlichen Unterschied sehen. Insofern sehe ich da keine Gefahr.

Wo bekommen Sie die Tiere denn her?

Martin Meingast: Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wo sie herstammen. Nur so viel: Sie sind tatsächlich aus dem Müll der tierausbeutenden Industrie.

Aus Containern?

Martin Meingast: Ja.

Alle?

Martin Meingast: Ich weiß selbst leider nicht genau über die Herkunft aller Tiere exakt Bescheid, aber der ganz überwiegende Großteil auf jeden Fall.

Auch die Lämmer?

Martin Meingast: Kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Darf ich fragen, wieso Sie ausgerechnet über die Lämmer stolpern?

Hühner in Containern kennt man ja aus Fernsehdokumentationen. Gleiches gilt für Ferkel, die von der Muttersau erdrückt wurden. Aber dass man Lämmer nicht zu Tierfutter verarbeitet, sondern wegwirft, das wäre mir neu.

Martin Meingast: Verstehe. Wie gesagt, ich weiß leider nicht genau, wo sie her stammen. Grundsätzlich gilt aber, dass die Tiere der Aktion alle tatsächliche Opfer der Industrie sind.

Was bezwecken Sie mit der Aktion konkret?

Martin Meingast: Wir möchten mit der Aktion auf die Millionen unsichtbarer Opfer der Ausbeutung der Tiere durch den Menschen aufmerksam machen. Die meisten Menschen realisieren kaum oder gar nicht, dass die tierischen Produkte, die sie essen, tragen oder auf andere Weise gebrauchen, einmal Lebewesen waren, die genauso in der Lage sind Glück, Trauer, Schmerz und Freude zu empfinden wie sie selbst. Daran möchten wir erinnern.

Wir hoffen dabei natürlich, dass die Aktion bei den Betrachtern einen Denkprozess auslöst, der sie Tiere und tierische Produkte mit anderen Augen sehen lässt.

Was geschieht nachher mit den Tieren? Kann man die als Kunstsammler kaufen? Oder kriegen die die Löwen im Zoo?

Martin Meingast: Weder noch. Gerne würden wir die Tiere würdevoll bestatten - allerdings erlaubt uns das das Gesetz nicht. Sie müssen deshalb vorschriftsmäßig "entsorgt" werden.

Wie geht das genau?

Martin Meingast: Es gibt sogenannte "Tierkörperbeseitigungsanlagen", beziehungsweise spezialisierte Entsorger, die hierfür zuständig sind.

Da macht man dann Seife draus?

Martin Meingast: Nein, in der Regel werden die Tiere verbrannt.

Tiere würden Menschen fressen - bedeutet der Ruf nach "Animal Equality" da nicht, dass ethische Bedenken fehl am Platz sind?

Martin Meingast: Der Mensch ist zu ethischen Abwägungen fähig, Tiere nicht. Die Fähigkeit des Menschen, moralische Entscheidungen zu treffen, verpflichtet ihn dazu, auch sogenannte "moral patients" zu berücksichtigen, selbst wenn diese selbst nicht zu moralischen Entscheidungen in der Lage sind.

Es würde ja auch keiner auf die Idee kommen und sagen: Ein schwer geistig behinderter Mensch, ein Säugling oder ein von starker Demenz Betroffener braucht bei ethischen Entscheidungen nicht berücksichtigt zu werden, weil er selbst zu solchen Abwägungen nicht in der Lage ist.

Professor Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund zufolge sind in der wissenschaftlichen Literatur mittlerweile zahlreiche Fälle dokumentiert, die zeigen, dass es bei Kindern extremer Veganer aufgrund von Mangelerscheinungen immer wieder zu schweren Entwicklungsstörungen kommt. Wie sieht es mit den Rechten dieser Kinder aus?

Martin Meingast: Eine ausgewogene Ernährung ist für einen Menschen jeden Alters wichtig, das gilt natürlich insbesondere für Kinder. Nur hat das nichts mit veganer Ernährung zu tun - man kann sich vegan sehr ausgewogen oder sehr einseitig ernähren, so wie das bei einer nicht-veganen Ernährung ebenso der Fall ist. Verschiedene Studien sind zu dem Schluss gekommen, dass auch für Kinder eine vegane Ernährung in Ordnung sein kann. Man muss sich nur entsprechend informieren.

Ich möchte an dieser Stelle noch eine kurze Bemerkung anbringen: Sie sprechen von "extremen Veganern" - was soll das sein? Ist der millionenfache Tod fühlender Lebewesen, die ein Recht auf Anerkennung ihrer Interessen haben, in unserer nicht-veganen Gesellschaft nicht viel extremer?

Martin Meingast

Mit extremen Veganern meine ich solche, die behaupten, dass der Insektenkot auf ungewaschenen Wildkräutern zur B12-Versorgung ausreicht.

Martin Meingast: Ich versteh' leider immer noch nicht ganz, was daran extrem sein soll. Ich bin selbst kein Ernährungswissenschaftler und kann dazu deshalb nichts dazu sagen, ob das reicht oder nicht.

Ernährungswissenschaftler sagen ganz klar, dass das nicht reicht.

Martin Meingast: Das mag sein, aber man muss sich ja auch nicht auf ungewaschene Wildkräuter verlassen. Überhaupt ist B12-Mangel keine Sache, die man ausschließlich bei Vegetariern oder Veganern findet. So leiden beispielsweise viele ältere Menschen an einem Mangel, weil die Aufnahmefähigkeit zunehmend sinkt.

Ein Ökonom würde sagen, wenn Sie wollen, dass weniger Tiere gehalten und geschlachtet werden, dann sollten Sie das nicht über Zwang, sondern nur über einen niedrigeren Preis und eine bessere Qualität der Alternativen dazu durchsetzen. Warum fordern Sie von der Politik nicht, mehr Forschungsmittel in die Entwicklung von Kunstfleisch aus Zellen zu stecken?

Martin Meingast: Es gibt bereits unzählige pflanzliche und sehr leckere Alternativen zu Fleisch, deren Preise teilweise schon unter dem Preis von Fleisch liegen. Darüber hinaus möchten wir mit unserer Aktion keinen Zwang herbeiführen, sondern Menschen aufklären und als mündige Verbraucher dazu ermutigen, sich beim Einkauf Gedanken zu machen.

Kennen Twens, die heute Veganismus fordern, Fleisch nicht vor allem aus dem McDonald's und haben keine Ahnung davon, wie ein sechswöchiges zartes Spanferkel oder ein Kobe-Steak schmeckt?

Martin Meingast: Inwiefern ist das für unseren Standpunkt wichtig? Es geht uns doch nicht um Geschmack. Bei ethischen oder moralischen Überlegungen sind wir der Überzeugung, dass das Recht eines fühlenden und denkenden Lebewesens immer stärker ins Gewicht fällt als der eigene Gaumenschmaus.

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