Neue Spur zum mysteriösen Flugzeugabsturz von Dag Hammarskjöld

Südafrika lieferte offenbar Originaldokumente zum Mordkomplott am UN-Generalsekretär von 1961

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Letztes Jahr berief UN-Generalsekretär Ban Ki-moon eine Expertenkommission zur Untersuchung der geheimnisvollen Todesumstände des schwedischen Diplomaten Dag Hammarskjöld, der im gleichen Amt am 18.09.1961 beim Absturz seines Flugzeugs über dem heutigen Sambia umkam. Bereits 1998 hatte der südafrikanische Bischof Kopien von Dokumenten übergeben, die auf ein Mordkomplott hindeuteten. Während die Echtheit dieser Kopien nicht geklärt werden konnte, soll es sich bei den nun der UN vorliegenden Papieren um die Originaldokumente handeln.

Das Klima, in dem sich UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld bei seiner Friedensmission in Afrika bewegte, war in jeder Hinsicht heiß. Bereits beim Start in Elisabethsville (heute Lumbumbashi) am 17.09.1961 geriet die schwedische DC-6B "Albertina" unter Beschuss. Beim Zwischenstop in Léopoldville (heute Kinshasa) wurde lediglich ein Einschussloch festgestellt. Hammarskjöld setzte seine Reise fort, um den von Belgien und westlichen Geheimdiensten unterstützten kongolesischen Politiker Moïse Tschombé, der die Unabhängigkeit Katangas erklärt hatte, zu einem Waffenstillstand bewegen.

Aus Sicherheitsgründen inszenierte man ein Ablenkungsmanöver und ließ Hammarskjölds Delegation in Léopoldville scheinbar in einer DC-4 vom gleichen Flugplatz auf direkter Route nach Ndola im damaligen Nordrhodesien abfliegen. Anschließend startete die Albertina mit den nun geheimen Passagieren bei absoluter Funkstille zunächst in Richtung Tanganjikasee.

Als die offizielle Maschine sicher gelandet war, nahm auch die Albertina Kurs auf Ndola, dessen Landebahn eine Stunde später in Sichtweite kam. Nach Erteilung der Landefreigabe um 0.10 Uhr schlug das Flugzeug ohne Absetzen eines Notsignals mit ausgefahrenen Landeklappen, jedoch eingefahrenem Fahrwerk in einem Waldstück auf.

Cover Up?

Dem Fluglotsen zufolge soll die Maschine den Anflug ohne Begründung abgebrochen haben. Trotz technischer Ausstattung war der Funkverkehr in Ndola erstaunlicherweise nicht aufgezeichnet worden. Offiziell fand man Hammarskjöld tot, an einem Termitenhügel gelehnt. Der einzig Überlebende der 16 Opfer, Harold Julien, berichtete von einer Explosion vor dem Absturz und verstarb Tage später wegen medizinischer Unterversorgung. Der UN-Offizielle, der Hammarskjöld identifizieren sollte, schwor, in dessen Stirn ein Loch wie von einem Einschuss gesehen zu haben. Bei einer späteren Autopsie inklusive Röntgenbild war hiervon keine Rede mehr.

Augenzeugen wollten den Beschuss durch ein anderes Flugzeug und einen brennenden Absturz gesehen haben, die Berichte wurden jedoch lange unterschlagen, weil die Hautfarbe der Zeugen den Verantwortlichen zu dunkel war. Fluginstrumente wurden zur Untersuchung in die USA geflogen. Unklar blieb, ob in Wrackteilen entdeckte Löcher auf Beschuss zurückzuführen waren.

Bei der UNO hat man wenig Zweifel daran, dass die NSA Aufzeichnungen des Funkverkehrs besitzt. Der britische Diplomat Sir Brian Unwin registrierte, dass in dieser Nacht auf dem Flughafen zwei US-Flugzeuge ihre Motoren laufen ließen und vermutete, dies sei zum Abhören des Funkverkehrs geschehen. Der ehemalige NSA-Mitarbeiter in Zypern Charles Southall gab an, er sei vorab gewarnt worden, dass etwas Interessantes passieren werde.

Er erinnerte sich sogar, eine Aufzeichnung der Funksprüche angehört oder eine Niederschrift gelesen zu haben. So soll jemand gefunkt haben: "Ich habe es getroffen. Da sind Flammen. Es geht runter. Es zerschellt." Der griechische NSA-Mitarbeiter Paul Abram will sich an einen Funkspruch "Die Amerikaner haben gerade ein UN-Flugzeug abgeschossen." erinnern. Die NSA lehnte bislang unter Verweis auf eine 50jährige Geheimhaltungsfrist eine Kooperation ab.

Ein südafrikanischer Söldner namens Swanepoel soll sich in betrunkenem Zustand mit der Tat gebrüstet haben. Solche Prahlerei könnte jedoch auch mit Geltungsdrang von Söldnern zu erklären sein, die sich dem südafrikanischen Geheimdienst andienten.

CIA-Politik

Während Geheimdienste normalerweise nur die Werkzeuge der Regierenden sind, war dies bei der von Strippenzieher Allen Dulles aufgebauten CIA umgekehrt. Die Brüder Allen Welsh Dulles und John Foster Dulles, deren auf Außenwirtschaft spezialisierte Anwaltskanzlei Sullivan&Cromwell den Geldadel der Wallstreet repräsentierte, hatten General Eisenhower mit der Aussicht auf einen präventiven Atomkrieg gegen den Kommunismus für eine Präsidentschaftskandidatur gewonnen.

Als der populäre Weltkriegsheld 1953 den Wahlsieg lieferte, bildeten ihm die Dulles-Brüder sein Ministerkabinett aus Industriellen ihrer Wallstreet-Clique, die ihre beruflichen mit den politischen Interessen verquickten. John Foster Dulles bekam wie schon sein Großvater und sein Onkel das Außenministerium, Allen Dulles rückte vom stellvertretenden CIA-Chef zum Direktor auf. Beide behielten ihre Position bei Sullivan&Cromwell, deren Mandanten sie nun im Weißen Haus vertraten.

Aus dem mit Milliardären besetzten Kabinett stach der wie Eisenhower aus einfachen Verhältnissen stammenden Vizepräsident Richard Nixon hervor, der seine rasante Karriere ebenfalls den Dulles-Brüder zu verdanken hatte. Als Nachschuboffizier war Nixon auf delikate Geschäfte der rechtsgerichteten Dulles-Clique mit den Nazis vor und während des Zweiten Weltkriegs gestoßen - und hierüber geschwiegen.

Die den Milliardären verpflichteten Dulles-Brüder konnten nun ungestört die US-Außenpolitik nach der Bereitschaft fremder Länder ausrichten, ihre Bodenschätze und Agrargüter den von der Dulles-Kanzlei vertretenen US-Konzernen zu überlassen und sich am Kampf gegen den Kommunismus zu beteiligen. Unkooperative Regierungen wie im Iran und in Guatemala wurden von der CIA entfernt und durch rechtsgerichtete Diktaturen ersetzt.

Allen Dulles manipulierte Eisenhower wie schon zuvor Roosevelt mit selektiven Informationen. So verschwieg der CIA-Chef dem Präsidenten, dass sich Moskau und China auseinandergelebt hatten und beließ ihn in dessen Sorge vor dem "Sino-Sowjetischen Block", ebenso verfuhr er mit der Regierung Kennedy. Dulles verschwieg den eigentlich aus seiner Klasse stammenden Söhnen des rechtsgerichteten Milliardärs Joseph Kennedy auch seine Kenntnis darüber, dass die Sowjets den kubanischen Revolutionär Fidel Castro bereits eine Woche vor der geplanten CIA-Invasion in der Schweinebucht über den Termin informiert hatten.

Der Stratege vertraute darauf, der unerfahrene Präsident würde angesichts der "unerwarteten" Gegenwehr die zuvor ausgeschlossene Luftunterstützung durch das Militär genehmigen. Die absehbar fehlkalkulierte Operation endete am 17.04.1961 im Desaster, da der Präsident seine ihm von Dulles zugewiesene Rolle nicht verstanden hatte.

Kongo

Auch ein anderer hatte seine Rolle als Instrument der Dulles-Regierung nicht verstanden: Der Schwede Dag Hammarskjöld, der als Generalsekretär der Vereinten Nationen fungierte. Der UN-Generalsekretär wurde von Chruschtschow als "Lakai des Kapitalismus" bezeichnet, doch an der Wallstreet und in Washington kam man zu ganz anderen Ergebnissen.

Während vielen das Ende der europäischen Kolonien in Afrika als Fortschritt galt, traute der zum Rassismus neigende Präsident Eisenhower den Afrikanern keine Selbstverwaltung zu. "Einige Völker Afrikas sind erst seit etwa 50 Jahren von den Bäumen geklettert", spottete Vizepräsident Nixon, woraufhin der spätere Handelsminister Maurice Stans bemerkte, er habe den Eindruck, "dass viele immer noch auf die Bäume gehörten."

An einer Unabhängigkeit des Kongo störten besonders wertvolle Bodenschätze. So verfügte die Region nicht nur über Kupfer, vielmehr stammte aus der kongolesischen Provinz Katanga das Uran, das bei den Abwürfen der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki die Vormachtstellung der USA besorgte. Tschombés Kontrahent Patrice Lumumba, der Belgien den Krieg erklärt, die UN um Hilfe ersucht und auch bei den Sowjets angeklopft hatte, war im Januar 1961 von belgische Söldnern ermordet worden - in Kooperation mit der CIA, die an dieser Aufgabe zuvor gescheitert war.

"Operation Celeste"

Als Bischof Tutu eine Wahrheitskommission zur Aufarbeitung des südafrikanischen Apartheidsregimes einrichtete, stieß man 1998 auf Kopien von Dokumenten zu einer Operation mit der Tarnbezeichnung "Wie geht es Celeste?". Darin war von einem "Afrikanischen Institut für Meeresforschung" die Rede, das tatsächlich eine Tarnfirma des südafrikanischen Geheimdienstes für eine verdeckte Söldner im Kongo gewesen sei. Ein als "Top Secret" gekennzeichneter Bericht dokumentierte ein Treffen von Repräsentanten des "Instituts" mit Vertretern der britischen Geheimdienste. Diese zitierten keinen Geringen als Allen Dulles: "Dag is becoming troublesome … and should be removed."

Dulles soll sogar Unterstützung durch Männer am Boden angeboten haben. Den Plänen zufolge sollte ein Bombe im Rad des Flugzeugs versteckt werden, die bereits beim Einfahren des Fahrwerks hätte detonieren sollen, hilfsweise per Funkbefehl. Doch weder die Echtheit der bislang nur in Kopien bekannten Dokumente noch die Existenz des "Instituts" und der paramilitärischen Söldnerorganisation ließen sich beweisen.

Die mit der Prüfung des Vorfalls betrauten Experten der UN bleiben insbesondere bzgl. der Bomben-Version skeptisch. Von den nun aufgetauchten Dokumenten berichtet ForeignPolicy, dass es sich um solche aus der fraglichen Zeit handeln soll, was nachträgliche Desinformation etwa durch den Sowjetischen Geheimdienst ausschließen sollte.

Ein ähnliches Mordkomplott betraf 1963 den italienischen Erdölunternehmer Enrico Mattei, der das Monopol der US-dominierten Ölkonzerne gebrochen hatte. 1962 entdeckte dessen Pilot Sabotage. 1963 kam Mattei dennoch bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, dem offenbar eine Explosion vorausgegangen war.

Indonesien

Der Schlüssel zum Ableben des UN-Generalsekretärs muss nicht unbedingt auf dem afrikanischen Kontinent zu suchen sein. Der australische Historiker Greg Poulgrain, der die damaligen CIA-Aktivitäten in Indonesien untersuchte, bietet ein plausibles Motiv, warum der mächtige Geheimdienstchef den unbequemen Hammarskjöld wohl aus dem Weg räumen wollte.

Dem bevölkerungsreichen Inselstaat Indonesien (heute 250 Millionen Einwohner) hatte Dulles die Rolle eines Keils zugedacht, den er zwischen die Sowjetunion und China treiben wollte. Die niederländische Kolonie war Dulles bereits aus seiner Zeit als Anwalt von Rockefellers Ölkonzern Standard Oil vertraut, als er dort in den 1920er Jahren mit einem niederländischen Ölmogul um die Vorkommen des wegen seiner Reinheit besonders wertvollen Öls in Neuguinea rang.

In den 1940er Jahren entdeckte eine Rockefeller-Firma in den Bergen Neuguineas das weltgrößte Goldvorkommen. Nachdem der Großteil Indonesiens 1949 unabhängig wurde, entstand um die Zukunft des noch immer unter niederländischer Verwaltung stehenden Neuguinea heftiger Streit. Wie stets, wenn Bodenschätzer im Ausland nach der Wallstreet verlangten, schickte Dulles die CIA (Die CIA und das Öl).

Dulles Einfluss im Weißen Haus war jedoch Anfang der 1960er Jahre geschwächt. Als mit John Foster Dulles sein mächtigster Fürsprecher 1959 verstarb, verweigerte ihm Eisenhower die erhoffte Nachfolge ins Außenministerium. Nach dem Abschuss des angeblich nicht existierenden U2-Spionageflugzeugs über der Sowjetunion, der Eisenhower vor der Weltöffentlichkeit das Gesicht gekostet hatte, misstraute der scheidende Präsident seinem Chefspion und dessen Wallstreet-Freunden, die er als Militärisch-Industriellen Komplex bezeichnete. Nach dem Debakel in der Schweinebucht, in die sich Kennedy hatte hineinmanövrieren lassen, war es eine Frage der Zeit, bis der blamierte Präsident den mächtigen CIA-Chef entlassen würde.

Neuguinea

Kennedy, der sich schon früher kritisch zu Eisenhowers Imperialismus geäußert hatte, war vom Unabhängigkeitskampf des indonesischen Präsidenten Sukarno beeindruckt. Beim Streit um die Insel Neuguinea stand Kennedy vor der Wahl zwischen Indonesien als erhofftem Partner im Kalten Krieg und dem NATO-Partner Niederlande. Um sich die Entscheidung zu ersparen, verhandelte Kennedy 1961 heimlich mit Hammarskjöld über eine Intervention der Vereinten Nationen. Der UN-Generalsekretär sollte sowohl Indonesien als auch den Niederlanden Gebietsansprüche verweigern und stattdessen der Bevölkerung die Unabhängigkeit gewähren.

Nunmehr rächte sich Dulles Verschweigen seiner geheimen Indonesien-Strategie, die auf eine Entmachtung Sukarnos abzielte. Kennedy plante zudem, Jakarta zu besuchen, um den von ihm geschätzten Präsident Sukarno damit international aufzuwerten. Kennedys Indonesienpolitik hätte nicht nur das Ende von Dulles Plänen zum Regime Change bedeutet, sondern die Schürfrechte Neuguineas im Einflussbereich von Sukarno belassen.

Hammarskjölds ultrageheime Indonesienmission endete vorzeitig im Kongo am 18.09.1961. Vier Jahre später wurde Sukarno vom rechtsgerichteten General Suharto, mit dem sich die CIA ungleich besser verstand, blutig vertrieben. Die Schürfrechte gingen an Rockefellers Firma Freemantle Indonesia, in deren Aufsichtsrat weitere Dulles-Freunde wie Navy-Chef Admiral Arleigh Burke und Strippenzieher Henry Kissinger saßen.

Für seine Verdienste erhielt Hammarskjöld posthum den Friedensnobelpreis. Kennedys weitere Eigenmächtigkeiten, die schließlich sogar den von Dulles-Brüdern aufgebauten Kalten Krieg gefährdeten, endeten zwei Jahre später am 22.11.1963 in Texas (Die magische Kugel des Allen Dulles).