Anti-Terror-Justiz: Im Zweifel für die härtere Strafe

Al-Nusra und FSA. Propagandafoto

Der Schutz der Gesellschaft hat Vorrang. Der Staatsanwalt François Molins erklärt das Umdenken in Frankreich

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Sämtliche Rückkehrer aus Syrien, die im Verdacht stehen, sie könnten dort mit dschihadistischen Gruppen Kontakt aufgenommen haben, kommen jetzt in Untersuchungshaft, systematisch, auch die Frauen. Minderjährige Rückkehrer gelten als "Zeitbomben". Auch ihrer nimmt sich die Polizei und Justiz an. Frankreich geht seit einigen Monaten mit bedeutend größerer Härte gegen alle vor, die mit Terrorismus in Verbindung stehen könnten.

Frauen gegenüber habe man früher mehr Skrupel gehabt, man habe angenommen, dass sie einfach nur mit ihren Männern mitgegangen seien und in Syrien den Haushalt übernommen hätten. Dieser Blick habe sich vollkommen gewandelt, wie der Staatsanwalt François Molins erklärt. In einem Gespräch mit Le Monde erklärt er, was konkret darunter zu verstehen ist, wenn wieder einmal die Formulierung auftaucht, dass "die französischen Anti-Terror-Gesetze verschärft wurden".

Molins zeigt, dass dem ein Umdenken zugrunde liegt, aus dem eine Blickveränderung folgt. Man könnte es so sagen, dass der Zweifel, wenn es um Fälle im Zusammenhnag mit islamistischen Terrormus geht, seine Richtung verändert hat: Er spekuliert nicht mehr zugunsten einer möglichen Unschuld des Angeklagten, sondern auf die Gefahr für die Gesellschaft, die der Verdächtige möglicherweise darstellt.

Vorzugsweise hart bestrafen

Vorzugsweise hart bestrafen ist das eine Prinzip, das zum Umdenken gehört. Das andere ist, dass Resozialisierung bei der Bestrafung von Terroristen überhaupt kein relevanter Aspekt ist. Der Schutz der Gesellschaft ist alles bestimmender Leitwert.

Ohne der französischen Regierung zu unterstellen, was der türkischen angesichts ihres brutalen Vorgehens gegen Kurden unterstellt werden muss, nämlich den politischen Missbrauch eines solchen Gesetzes, ein Vergleich zwischen den französischen und türkischen Anti-Terrorgesetzen wäre interessant. Vermutlich steht das französische in seinen Härten dem türkischen kaum nach.

Das Gesetz vom 21 Juli 2016, das mit der Verlängerung des Ausnahmezustands einherging, ist ein Markstein, den der Leiter der mit Terrorismus-Delikten befassten Staatsanwaltschaft erwähnt, der andere eine Verschärfung der Strafpolitik, für die man sich im April entschieden hatte.

Strafpolitische Neuausrichtung der Staatsanwaltschaft

Dreh-und Angelpunkt der strafpolitischen Neuausrichtung der Staatsanwaltschaft ist, dass Straftaten im Zusammenhang mit Terrorismus, die zuvor juristisch niedriger eingestuft waren (wörtlich, aber nicht fachmännisch übersetzt als Gesetzesverstöße und Vergehen), nun als Verbrechen hochgestuft wurden. Damit haben sie weitaus höhere Strafmaße zur Folge.

So stehen nun zehn Jahre Freiheitsentzug in Aussicht, wenn jemandem eine "Verschwörung mit Terroristen" nachgewiesen wird. Wenn nachgewiesen wird, dass jemand an der Planung eines Anschlags gegen Personen oder der Zerstörung durch Brand oder Sprengkörper beteiligt war, dann hat der Angeklagte mit 30 Jahren zu rechnen. Zuvor waren darauf 20 Jahre Haft angesetzt.

Wird einer Person vorgeworfen, dass sie zu den Planern einer terroristischen Gruppe gehört, hatte sie zuvor mit einem Strafmaß von 30 Jahren zu rechnen, jetzt mit einer lebenslangen Zuchthausstrafe. Moulins hat die Staatsanwälte angewiesen, Terrorismusfälle entsprechend nicht vor kleinere Gerichte, sondern vor Gerichte zu bringen, die schwere Kriminalfälle behandeln.

Verändert hat sich auch der Blick auf die Aktivitäten der Dschihadisten-Anhänger in Syrien. Wurde die Einstufung "kriminelles Handeln" bislang bei Personen angelegt, die, durch Videoaufnahmen dokumentiert, an Enthauptungen teilnahmen oder sich in diesem Umfeld etwa mit dem Zeigen von abgeschlagenen Köpfen brüsteten, während man bei anderen unterstellte, dass sie vielleicht in der Logistik beschäftigt waren, weswegen ihnen nur der Vorwurf einer straftatrelevanten Verbindung gemacht wurde, so gilt dies nicht mehr.

Auch eine Polizeipatrouille beim IS ist ein Verbrechen

Seit Januar 2015, so Moulins, müsse darüber anders gedacht werden. Schon das Mitmachen bei einer "Polizei"-Patrouille im IS oder bei der Nusra-Front sei mehr als ein strafrechtlich relevantes "Vergehen", das bisher mit zehn Jahren Freiheitsentzug bestraft wurde, sondern ein "Verbrechen", das vor einem Kriminalgericht verhandelt und sehr viel stärker bestraft werde.

Spätestens seit diesem Datum sei unmissverständlich klar, dass es sich bei den IS-Milizen oder der al-Nusra-Front um Verbrecherbanden handele. Andere syrische Dschihadisten-Gruppen zählt er nicht auf. Politisch interessant ist dabei, dass sich die französische Luftwaffe bislang noch nicht auffällig darum bemüht hat, die al-Nusra-Front und ihre Kampfgenossen in Syrien zu bekämpfen.

In Frankreich selbst geht man den Kampf gegen die Dschihadisten anscheinend mit größerer Konsequenz an. Derzeit würden gegen 982 Personen in Frankreich Ermittlungsverfahren wegen islamistischen Terrorismus laufen, in 167 Fällen sind Verdächtige inhaftiert, nach 577 Personen werde gefahndet. Die auf Terrorismus-Fälle spezialisierte Staatsanwaltschaft arbeite derzeit an 324 Ermittlungsakten. Im Jahr 2013 gab es ganze 26 Verfahren in der Sache, 2015 schon 136 und in diesem Jahr werden es anhand der Dossiers, die zur Überprüfung vorliegen, noch mehr.