Washington forciert den Konflikt mit Russland im Cyberspace

Bild: DoD

Ganz offiziell wurde die russische Regierung beschuldigt, die US-Präsidentschaftswahl durch Hacks beeinflussen zu wollen. Aber was soll damit bezweckt werden?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In den USA starrt man gerade vor allem auf den Wahlkampf. Präsidentschaftsbewerber Donald Trump sorgte einmal wieder für Aufsehen, nachdem Aufnahmen veröffentlicht wurden, auf denen er sich machohaft sexistisch äußerte. Wirklich schaden dürfte ihm das bei seinen Anhängern nicht, die ihn ja vor allem deswegen bewundern, weil er die Gepflogenheiten nicht einhält. Strauß-Anhänger pflegten einst zu sagen: A Hund is er scho. Dabei geht es gerade auf der großen Bühne in Richtung eines möglichen Showdown zwischen Russland und den USA mitsamt der Koalition der Willigen.

Während überall kräftig aufgerüstet wird und die militärischen Muskeln gespielt werden, Abkommen beendet werden und überlegt wird, wie man macht- und geopolitische Interessen auch militärisch durchsetzen könne, wird in Syrien, im Irak, in Afghanistan, im Jemen oder in Afghanistan - aber auch in der Ukraine - weiter gestorben. Auch auf einem anderen Schlachtfeld wird der Ton schärfer, denn neben dem traditionellen Militär wurden in den letzten Jahren auch die Cyberwar-Aktivitäten hochgefahren und Cyberkommandos eingerichtet, neuerdings zieht auch Deutschland mit, um nicht ins Hintertreffen zu geraten - übrigens auch mit Absicht, nicht nur defensiv, sondern auch offensiv im Cyberspace tätig zu werden.

Washington hatte vor wenigen Tagen den ersten Schritt gemacht und offiziell die "russische Regierung" beschuldigt, hinter den Hacks auf Computer des Democratic National Committee und von anderen "politischen Organisationen" zu stehen. Angriffe waren offenbar auch auf Wahlsysteme in Bundesstaaten erfolgt (USA: Angst vor Manipulation der Wahlcomputer durch Moskau). Am Freitag veröffentlichten das Heimatschutzministerium und die oberste Geheimdienstbehörde DNI eine gemeinsame Stellungnahme, in der sie der russischen Regierung vorwerfen, Daten entwendet und sie unter dem Pseudonym Guccifer 2.0 WikiLeaks zur Veröffentlichung zugespielt zu haben: "Diese Diebstähle und Veröffentlichungen beabsichtigen, die Wahlen in den USA zu beeinflussen." Nur "höchste Amtsträger" der russischen Regierung können dafür verantwortlich sein, also wohl Putin, der aktuell größte Widersacher der USA.

Das Argument ist u.a., dass die Russen auch früher schon "mit ähnlichen Taktiken und Techniken" versucht hätten, die öffentliche Meinung in Europa und Eurasien zu beeinflussen (als ob dies die USA und ihre Verbündeten nicht auch getan haben und weiterhin machen). Was bewegt die US-Regierung, ohne konkrete, forensisch gesicherte Beweise, die kaum beizubringen sind, die russische Regierung, eigentlich deren Führung, für die Hacks verantwortlich zu machen und nicht davon zu sprechen, dass die Spuren auf russische Hackergruppen zu verweisen scheinen, die im Auftrag der Regierung handeln könnten? Schon zuvor war das Thema zur nationalen Bedrohung hochgespielt worden (Die USA sollen Opfer einer groß angelegten "russischen Beeinflussungsoperation" sein). Auch das Pentagon hatte sich eingeschaltet, US-Verteidigungsminister Carter erklärte, man werde die USA und die Alliierten verteidigen (Jetzt warnt auch der US-Verteidigungsminister Russland vor der Beeinflussung der Wahl).

Noch seltsamer wird die neue Anklage, weil man dann doch erklärt, dass kaum jemand die Möglichkeit hätte, tatsächlich in die Wahlsysteme einzugreifen und die Wahlergebnisse zu manipulieren. Die Wahlcomputer, die nicht nur in den USA immer wieder Vermutungen entstehen lassen, dass sie manipuliert werden könnten, seien nicht mit dem Internet verbunden und überhaupt gebe es zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen, werden die amerikanischen Wähler dann doch beruhigt. Um dann aber gleich fortzufahren und die Angst aufrechtzuerhalten, dass die für die Wahlen Zuständigen wachsam sein und Unterstützung vom Heimatschutzministerium anfordern sollen. Da das aber unter demokratischer Kontrolle steht, hatten schon republikanische Politiker Befürchtungen geäußert, dass das Ministerium die Wahlergebnisse zugunsten von Clinton manipulieren könnte, wenn man ihm Zugriff gewähre.

Bild: DoD

Was der genaue Zweck der nicht belegten Anklage ist, kann man nur erraten. Will man sich im Weißen Haus absichern, falls es tatsächlich zu Manipulationen kommen sollte? Soll damit die Position Clintons verstärkt werden, die selbst schon immer Russland beschuldigte, das gegen sie arbeite, während Moskau lieber Trump haben wolle? Oder soll ein weiterer Konflikt aufgemacht werden?

Berücksichtigt man, dass Hillary Clinton im ersten Fernsehduell mit Trump erneut Russland beschuldigte und indirekt damit drohte, einen Cyberwar führen zu wollen, dann wird die Erklärung des Heimatschutzbehörde und des DNI schon eher als eine Strategie erkenntlich: "Wir wollen keine andere Art von Krieg führen. Aber wir werden die Bürger dieses Landes verteidigen und Russland muss das verstehen", sagte Clinton. Trump verwies zu Recht darauf, dass man nicht wisse, ob die Angriffe tatsächlich aus Russland und von der russischen Regierung gekommen sind. Es könne auch China oder jemand anders dahinterstehen.

Kremlsprecher Peskow machte sich denn auch lustig über die Vorwürfe und bezeichnete sie als "Unsinn". Die Website des Kreml würde auch von Tausenden von Hackern angegriffen, weswegen man nicht gleich die US-Regierung oder die US-Geheimdienste beschuldige.

Man muss sich aber auch fragen, welche Konsequenzen Washington aus der offiziellen Anklage ziehen will. Will man nun das Cyberkommando oder die NSA, deren Direktor auch der Kommandeur des militärischen Cyberkommandos ist, zu einem Gegenangriff losschicken und so einen Cyberwar, vielleicht in Folge dann auch einen wirklichen Krieg zu riskieren?

In der New York Times werden die möglichen Folgen aus der Sicht der USA einmal durchgespielt. Ähnlich wie im Fall von mutmaßlichen iranischen Hackern könnte das Justizministerium bestimmte Russen anklagen. Großen Sinn macht das nicht, denn diese würden von Russland ebenso wenig ausgeliefert, wie dies die USA bei CIA-Agenten macht, die der Folter und illegalen Verschleppung beschuldigt werden. Naheliegt, dass man mit der Beschuldigung möglicherweise die Anstrengungen unterstützen will, weitere Sanktionen gegen Russland wegen der Luftangriffe in Aleppo zu verhängen.

Die Situation sei ähnlich wie im Kalten Krieg, sagen die NYT-Autoren, wo man erörtert habe, ob es einen begrenzten Atomkrieg geben könne. Das werde derzeit auch im Hinblick auf einen möglichen Cyberwar erörtert, dessen Folgen mindestens ebenso wenig klar sind wie die eines Atomkriegs:

Online, wo der Schaden weniger tödlich und eher billig ist und Angriffe schwer zurückzuverfolgen und leicht auszuführen sind, sind Obama und andere hohe Amtsträger vorsichtig gewesen. Gut gerüstete Cybermächte sind kaum mit Begrenzungen ihrer Fähigkeit konfrontiert, Angriffe zu eskalieren. Und es ist unklar, wie die USA das herstellen können, was die Generäle "Eskalationsdominanz" nennen, also die Sicherheit, dass Amerika letztlich kontrollieren kann, wie ein Konflikt endet.

Nun könnte man natürlich sagen, diese Eskalationsdominanz haben die Amerikaner schon lange verloren, was derzeit nur besonders deutlich im Nahen Osten wird, aber auf dem bislang völlig unbekannten Schlachtfeld des Cyberwar, wo die Kapazitäten des Gegners weitgehend unbekannt sind, ist das Risiko doch deutlich für eine provokative Geste, wenn sie nicht heimlich ausgeführt wird, zu hoch. Daher haben die USA erstmals von der Führung eines Cyberwar während der Offensive auf Mosul gegen den Islamischen Staat gesprochen. Bei Russland ist das Risiko, dass bei einem Cyberwar großer Schaden für die Wirtschaft und die Infrastruktur in den USA drohen könnte.

Zunächst hatte die Sicherheitsstrategie der USA damit gedroht, bei Cyberangriffen letztlich auch mit Atombomben reagieren zu können. In der letzten Sicherheitsstrategie hatte man die Schwelle schon ziemlich erhöht, weil solche Drohungen, wenn sie nicht umgesetzt werden, nichts bewirken oder eher noch weitere Provokationen befördern (Pentagon-Strategie für den Cyberwar).

Russland antwortet auf die Installation des Raketenabwehrschilds in Rumänien und der Stationierung von Nato-Truppen in osteuropäischen Ländern nun mit der Aufstellung von Iskander-Raketen mit einer Reichweite von mehr als 400 km in Kaliningrad. Sie können auch Nuklearsprengköpfe tragen und die baltischen Staaten und Polen erreichen.