Gewissen schützt nicht vor Rundfunkbeitrag

Ein Bau, über dessen ästhetische Qualitäten sich ebenso streiten lässt wie über die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Das Amts- und Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße. Foto: Tommapson. Lizenz: CC0 1.0

Das Verwaltungsgericht Neustadt argumentiert, der Rundfunkbeitrag sei zwar zweckgebunden, aber trotzdem mit einer Steuer vergleichbar

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Als es noch den Wehrdienst gab, konnte man diesen aus Gewissensgründen verweigern. Beim Rundfunkbeitrag geht das nicht, wie das Verwaltungsgericht im pfälzischen Neustadt an der Weinstraße in einem jetzt bekannt gemachten Urteil vom 20. September entschieden hat Az.: 5 K 145/15.NW. Das Urteil, das erst vor einigen Tagen zugestellt wurde, ist noch nicht rechtskräftig. Der Kläger, der Pastor einer freikirchlichen Gemeinde ist, hat deshalb noch knapp einen Monat Zeit, die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zu beantragen.

In seiner Klage argumentierte er, es sei ihm "aus Gewissensgründen unzumutbar", "Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramms mitzufinanzieren", weil diese "mit seinen Wertmaßstäben nicht vereinbar" sind. Mit dieser Begründung beantragte er eine Befreiung als Härtefall und teilte seiner örtlich zuständigen Rundfunkanstalt SWR außerdem mit, dass er und seine Familie zuhause weder ein Fernseh- noch ein Radiogerät stehen haben und sich ausschließlich über das Internet und über Speichermedien informieren - eine 2016 durchaus nicht lebensferne Angabe, die der SWR jedoch als rechtlich irrelevant wertete.

Nachdem der Sender den Antrag auf Befreiung und einen ihm folgenden Widerspruch abgelehnt hatte, ging der Fall vor das Verwaltungsgericht, vor dem der Pastor ausführte, dass weite Teile des öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramms "einen aus biblisch-christlicher Sicht inakzeptablen, gottlosen, unmoralischen und damit zerstörerischen Lebensstil" präsentieren und "bibelgläubige Christen und ihren Glauben [...] verunglimpfen und lächerlich machen".

Das Gericht wiederholte in seiner Entscheidung die Rechtsprechung, nach der eine Gebührenpflicht auch dann vorliegt, wenn man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht nutzt und über keine speziellen Empfangsgeräte verfügt. Hinsichtlich des vorgebrachten Gewissenskonflikts meinten die Richter, dieser könne nicht zu einer Befreiung führen, da "mit der Beitragszahlung kein weltanschauliches Bekenntnis verbunden sei".

Zweckgebunden und doch nicht zweckgebunden?

In diesem Zusammenhang verwiesen sie auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Steuerpflicht. Das hatte entschieden, dass auch Rüstungsgegner Steuern zahlen müssen, weil diese Steuern ein "Finanzierungsinstrument ohne Zweckbindung" sind, über deren konkrete Verwendung die Parlamenten entscheiden.

Das Verwaltungsgericht räumt in seinem Urteil zwar ein, dass der Rundfunkbeitrag "anders als Steuern zu einem konkreten Zweck erhoben wird", hält das Steuerargument des Bundesverfassungsgerichts aber trotzdem für anwendbar, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur "Vielfaltssicherung" verpflichtet sei und nicht fest stehe "für welche Programme und Programminhalte der Beitrag des jeweiligen Schuldners verwendet wird".

Möglicherweise hat es sich das Verwaltungsgericht hier zu einfach gemacht, wenn es zwar mit einer "Programmvielfalt" argumentiert, aber nicht geprüft hat, inwieweit diese beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk 2016 tatsächlich noch vorliegt. Viele Menschen haben heute einen ähnlichen Eindruck wie der Autor Klaus-Jürgen Gadamer, der das Programm nur mehr als "Angebot für die Ökobourgeoisie" empfindet, in dem Meinungsvielfalt lediglich behauptet, aber nicht gesendet wird. Darauf weisen nicht nur die (sogar bei älteren Leuten) sinkenden Einschaltquoten hin: Der grüne stellvertretende Zeit-Chefredakteur Bernd Ulrich bestätigte letzte Woche die vom grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten unlängst konstatierte kulturelle Hegemonie als er einräumte: "Unsereins bestimmt - nicht allein, aber doch sehr - was [...] im Rundfunk gesendet wird".

Oberverwaltungsgericht verweigerte Berufung schon einmal

Allerdings verweigerte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz dem Pastor am 16. November 2015 schon einmal eine Berufung, die er gegen ein Urteil des Verwaltungsgericht Neustadt vom 24. Februar 2015 einlegen wollte, und zeigte sich dabei der Auffassung, dass der Rundfunkbeitrag nicht gegen die in Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes gewährte Glaubens- und Gewissensfreiheit verstößt. Dass der Pastor mit dem praktisch gleichen Anliegen noch einmal vor Gericht zog, ist ein starkes Indiz dafür, dass es ihm nicht um die monatlich 17,50 Euro, sondern tatsächlich um eine Gewissenspflicht geht.

Man muss kein freikirchlicher Pastor sein, um sich vom Angebot des öffentlich-rechtlichen Fernsehens beschmutzt zu fühlen - was allerdings meist an der Qualität der Produktionen liegt. Für viele Menschen ist "degeto" das zweitstärkste Ekel-Adjektiv nach "bento". Das liegt auch daran, dass sie im 21. Jahrhundert Vergleichsmöglichkeiten haben, die es früher nicht gab, wie die Leserreaktionen auf ein Interview des ZDF-Programmchefs Himmler in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigen und wie es Klaus-Jürgen Gadamer in folgendem Märchen-Mashup auf den Punkt bringt:

Jeden Tag schaut der dank GEZ Gewaltige in den Spiegel und fragt:
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Schönste im ganzen Land?
Und das Spieglein antwortet:
Ihr seid der Schönste hier,
aber Netflix ist tausend mal schöner als ihr.