Die "netzartige Struktur" des transnationalen organisierten Verbrechens

Bild: EU-Parlament

Der Schlussbericht eines Sonderausschusses des Europäischen Parlaments macht auf die zunehmende Bedrohung durch den "globalen Wirtschaftsakteur mit einer starken wirtschaftlichen Ausrichtung" aufmerksam, Steuerbetrug inklusive

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Der Spiegel hat auf einen bereits im letzten Monat veröffentlichten Schlussbericht des bis 30. September tagenden Sonderausschusses für Organisiertes Verbrechen, Korruption und Geldwäsche (CRIM) des Europäischen Parlaments aufmerksam gemacht (warum der allen zugängliche Bericht nicht verlinkt wurde und man lieber davon sprach , dass dieser "nach Spiegel-Informationen" erschreckende Zahlen enthalte, ist wohl dem Versuch geschuldet, vermeintliche Exklusivität zu beanspruchen). Nach diesem Bericht, der dramatisch formuliert ist, agieren in der EU mindestens 3.600 kriminelle Organisationen, 70 Prozent davon länderübergreifend.

Auch das "organisierte Verbrechen" hat sich längst organisiert und globalisiert, zudem ist die "unternehmerische Ausrichtung" wohl nichts Erstaunliches, sondern schlicht eine Folge der langfristigen Profitorientierung in kapitalistischen Systemen. Der Bericht hält eigentlich nur fest, was schon bekannt ist, nämlich dass nicht nur Terrorgruppen globale Netzwerke mit unterschiedlichen Ebenen bilden, sondern eben auch kriminelle Organisationen, deren "Mitglieder aus mehreren Ländern stammen, die ungestört und über alle nationalen Grenzen hinweg Verbrechen begehen, die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Globalisierung und der neuen Technologien nutzen und sich mit kriminellen Vereinigungen anderer Länder verbünden". Der Bericht von einer "netzartigen Struktur mit einem hohen Maß an Flexibilität, Mobilität, Vernetzung und Interethnizität sowie über eine besondere Fähigkeit zu Unterwanderung und Tarnung".

"Menschenhandel, der Handel mit menschlichen Organen, die Zwangsprostitution oder die Versklavung und die Schaffung von Arbeitslagern" würden oft von transnationalen kriminellen Vereinigungen organisiert. Der Umsatz allein mit dem Menschenhandel wird auf jährlich 25 Milliarden geschätzt. Viel verdient wird auch am Handel mit wildlebenden Tieren und ihren Körperteilen. Damit sollen 18 bis 26 Milliarden Euro umgesetzt werden, die EU sei weltweit dafür der "wichtigste Bestimmungsmarkt". Verbunden mit dem Menschenhandel ist die "lukrative" Zwangsarbeit, also die moderne Sklaverei. 880.000 Zwangsarbeiter soll es in der EU geben, davon 270.000 "Opfer sexueller Ausbeutung", womit vor allem Frauen gemeint sind, die zur Zwangsprostitution gezwungen werden.

Als bedrohlich wird auch das Internet genannt, das von der organisierten Kriminalität ausgenutzt werde für "den illegalen Handel mit psychoaktiven Substanzen, Schusswaffen, Material zur Herstellung von Bomben, gefälschten Banknoten, gefälschten Produkten und anderen Waren und Dienstleistungen, die geistige Eigentumsrechte verletzen, sowie vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten auszuweiten, Verbrauchssteuern und andere Steuern auf den Vertrieb von Originalwaren zu hinterziehen und mit zunehmendem Erfolg neue Formen krimineller Tätigkeiten zu entwickeln, wobei sie eine besorgniserregende Anpassungsfähigkeit an moderne Technologien an den Tag legen". Der Schaden, der durch solche Cyberkriminalität verursacht wird, soll sich auf 290 Milliarden Euro jährlich belaufen.

Fast ein Drittel der kriminellen Organisationen arbeiten diversifiziert, sind also in verschiedenen Branchen oder "Aktionsbereichen" tätig. Zudem hätten sie die legale Wirtschaft "in sehr hohem und besorgniserregendem Maße unterwandert". Zu den Hauptgeschäftszweigen zählen "Drogenhandel, Menschenhandel, die Förderung illegaler Einwanderung, Waffenhandel und Geldwäsche".

Der Bericht macht darauf aufmerksam, dass organisiertes Verbrachen zu "einem globalen Wirtschaftsakteur mit einer starken wirtschaftlichen Ausrichtung" wird, der gleichzeitig legale und illegale Güter und Dienstleistungen anbietet. Die legalen Unternehmen sollen durch diesen Wirtschaftsakteur jährlich 670 Milliarden Euro Schaden erleiden, den Staaten entgehen entsprechende Steuereinnahmen. Vorsichtig heißt es, dass "nicht selten Banken in verschiedenen Ländern der Welt in die Finanzströme der kriminellen Organisationen aus dem internationalen Drogenhandel einbezogen sind", man könnte auch sagen, dass sie davon profitieren.

Immerhin wird auch darauf verwiesen, dass organisierte Kriminalität auch mit Mehrwertsteuerbetrug zusammen hängt, nicht nur mit "schmutziger" Kriminalität. Dadurch würden 100 Milliarden Euro weniger von den Staaten eingenommen. Dazu kommen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, die ja auch organisiert werden. Aber da will man nicht so dramatisch warnen und sagt nur, dass dies "das Vertrauen der Bürger in die Gerechtigkeit und Rechtmäßigkeit der Steuererhebung und des Steuersystems insgesamt untergraben".

Der im März 2012 eingerichtete Sonderausschuss CRIM soll eine umfassende Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der Korruption und der Geldwäsche entwickeln, die nach Ansicht des Europäischen Parlaments eine ernsthafte "Bedrohung für die Freiheit und Sicherheit der EU-Bürger" darstellen. Manche Probleme oder Märkte sind freilich selbstgemacht, beispielsweise der Drogenhandel durch den gescheiterten "Kampf gegen die Drogen" oder die Förderung illegaler Einwanderung durch den Bau der "Mauern" um Europa und dem Fehlen der Möglichkeit legaler Einwanderung. Der Bericht sieht es allerdings anders. Danach ist die Wirtschaftskrise schuld, dass sich "viele neue Migranten auf die Suche nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen begeben und somit zu neuen Opfern für Ausbeutung und Handlangerarbeiten werden". So kann man es auch sehen.

Finanziell austrocknen

Im Vordergrund der Bekämpfung steht der Versuch, das organisierte Verbrechen finanziell zu untergraben. So soll, wie der Sonderausschuss letzten Monatvorgeschlagen hat, wer wegen Korruption, Geldwäsche oder Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt wurde, keine öffentlich ausgeschriebenen Aufträge mehr erhalten und von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden. Empfohlen werden auch eine Aufhebung des Bankgeheimnisses und eine Beendigung der europäischen Steueroasen sowie die "Einführung einer möglichst gleichen, gerechten und einheitlichen Körperschaftsteuer auf europäischer Ebene". Beschlagnahmtes Geld soll für soziale Zwecke verwendet werden, auch mit Kriminalität verbundene legale Holding-Gesellschaften sollen für ihre Tochterunternehmen finanziell zur Rechenschaft gezogen werden. Notwendig sei vor allem eine gemeinsame Definition mafiöser krimineller Gruppen, um organisierte Kriminalität wirksam bekämpfen zu können.

Fast schon nett ist die Forderung nach einem "gesünderen Unternehmertum", das unlautere Praktiken "ablehnen, unterlassen und anzeigen" müsse. Oder die nach mehr Transparenz bei Banken und "den Berufsgruppen im Finanz- und Rechnungswesen". Gefordert werden vor allem stärkere Überwachung und Kontrollmaßnahmen, das Europäische Grenzkontrollsystem (EUROSUR), der Ausbau von Frontex, von Satellitenortungssystemen oder des Europäischen Zentrums zur Bekämpfung der Cyberkriminalität (EC3) bei Europol