Leonardo da Vinci als 3D-Techniker

Mona Lisa in der Version vom Prado (Bild: gemeinfrei) und vom Louvre (Bild: gemeinfrei).

Eine wahrnehmungspsychologische Untersuchung über Leonardo da Vincis "Mona Lisa" vertritt die These,Leonardo könnte vielleicht der Urheber der 3D-Technologie sein

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Wahrnehmungspsychologe Prof. Dr. Claus-Christian Carbon (Univ. Bamberg) und die Doktorandin Vera Hesslinger (Univ. Mainz) haben mittels moderner Computertechnologie und 32 subjektiv einschätzenden Versuchspersonen das berühmte Bild der Mona Lisa im Louvre mit einer 2012 aufgetauchten Kopie aus dem Museo del Prado in Madrid1 verglichen. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass beide Bilder eine interessante Abweichung voneinander haben, die mit dem bloßen Auge kaum wahrgenommen werden kann. Beide Lisen scheinen aus einem minimal unterschiedlichen Betrachtungswinkel des Malers abgebildet worden zu sein.

.

Carbon und seine Mitarbeiterin weisen in ihrer Veröffentlichung, die in der Zeitschrift Perception erschienen ist2, zu Recht darauf hin, dass beide Bilder wahrscheinlich gleichzeitig nebeneinander erstellt wurden. Das legen jeweils an beiden Bildern vorhandene Korrekturen (sogenannte Pentimenti) nahe.

Entsprechend der damaligen Gepflogenheiten und der sicheren Zuschreibung der Louvre-Mona Lisa ist davon auszugehen, dass der andere Maler ein Gehilfe aus Leonardos Werkstatt war. Damals war das Kopieren von Bildern sowie Wiederholungen der Werkstatt nicht nur aus verkaufstechnischen Gründen üblich, sondern auch zu Lernzwecken: Learning by doing bzw. Learning by imitating the boss. Carbons hat aufgrund dieses fast unmerklichen Unterschieds beider Bilder berechnet, wie groß wahrscheinlich die beiden jeweiligen Abstände vom Modell waren und wie groß der Abstandwinkel beider Bildträger zueinander in ihrer Beziehung zum porträtierten Modell gewesen sein muss. Diese Berechnungen sind an sich schon faszinierend - aber viel farbiger ist der Rückschluss Carbons, dass das Vorhandensein dieses minimalen Unterschieds unter Umständen das erste vorsätzlich gemalte stereoskopische Bild in der Weltgeschichte darstellt. Stereoskopische Bilder wurden bislang erst ab dem 19. Jahrhundert angenommen. Damals wurden erstmals Fotos mit jeweils zwei minimal unterschiedlichen Ansichten ein und derselben Sache nebeneinander präsentiert. So sollte die Funktionsweise des menschlichen Auges nachgestellt werden, genauer gesagt: das Zusammenspiel zweier Augen, bei denen der durch den Augenabstand entstehende unterschiedliche Betrachtungswinkel der Außenwelt einen räumlichen Eindruck entstehen lässt, der mit nur einem Auge nicht möglich ist. Dass Leonardo so etwas so weit vor seiner Zeit auch schon konnte, ist eine sehr spekulative, aber angenehm schillernde These, die einem früheren Unternehmensberater und studierten Philosophen wie Carbon alle Ehre macht.

Mona Lisas Hände in 3D. Bild: Perception\Carbon\Hesslinger

Ein Beweis dieser Annahme ist ohne eine Zeitmaschine leider ebenso unmöglich wie ein Gegenbeweis. Damit steht und fällt auch der Einwand, dass (laut der hier vorgelegten Untersuchungsergebnisse) ein Mensch zur gleichzeitig-stereoskopischen Nutzung der beiden Mona-Lisa-Bilder knapp einen halben Meter voneinander entfernte Augen hätte haben müssen. Man kann aufgrund dieser Ergebnisse rekonstruieren, wie der Linkshänder Leonardo auf der linken Seite beider Maler stand, ein wenig weiter vorn, nahe am Modell - während sein Gehilfe ein Stückchen weiter rechts stand, ein wenig weiter hinten, und so in der Lage, die Arbeitsschritte seines Herrn und Meisters fast synchron nachzumachen.

Aber auch das wäre Spekulation und ist für diese Sache weniger von Belang, und zwar nicht nur deswegen, weil Carbon das Gegenteil annimmt. Hat also in Wirklichkeit Leonardo bei einem seiner Gehilfen abgemalt? Auch das wäre interessant, wird aber nie zu klären sein. Leider wird wahrscheinlich auch ewig geheimnisvoll bleiben, ob Carbons Grundannahme zutrifft, dass die beiden Maler ganz traditionell die vor ihnen sitzende Dame auf den Bildträger übertrugen, so wie er es in seiner Untersuchung mit Playmobil-Männchen nachvollziehbar nachstellt. Möglich gewesen wäre auch, dass die Mona Lisa mit einer so genannten Camera obscura, einer Art stromloser Urfassung moderner Buchprojektoren, auf jeweils zwei Bildträgern vorskizziert wurde und die Ausfertigung der Malerei dann auf Grundlage dieser Projektorskizze erfolgte. Leonardo war von solchen Cameras fasziniert3 - und diese Alternativ-Konstellation würde nicht nur die auffällige Ähnlichkeit beider Bilder erklären, sondern bei einer minimalen Verschiebung von Projektor oder Modell auch den subtilen Unterschied beider Bilder voneinander.

Das Entscheidende an dieser Untersuchung ist letztendlich, dass man einem Menschen wie Leonardo eine solche Genialität wie die 3D-Urheberschaft weit vor ihrer Zeit hätte zutrauen können, von den beeindruckenden Möglichkeiten heutiger Computertechnik ganz zu schweigen - und von der bestechenden Logik moderner Psychologie: Denn Carbon selbst hat eine Formel zur Messung und Vorhersage von wissenschaftlichem Erfolg modifiziert und mit seinem Namen getauft, die die Qualität eines Wissenschaftlers an der Anzahl seiner Publikationen bzw. der Häufigkeit der Erwähnung seiner Arbeiten misst4. Seine These bestätigt sich nicht nur durch Carbons neuen Artikel über Leonardo, sondern im Grunde auch durch die Nennung seiner Arbeit in diesem Text hier. Auf den Fortgang dieser Forschung darf man gespannt sein. Spannender als viele andere psychologische Untersuchungen ist dieses Changieren von Science zu Science Fiction und zurück allemal.