Der Fall Mollath - Wer stört, wird zerstört

Verschwörungstheorien und Paranoia

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"Wenn Sie so weitermachen, kommen Sie nie wieder heraus", offenbarte der Vorsitzende Richter, laut Nürnberger Nachrichten, bei der Urteilsverkündung am 8. August 2006 nach der Verhandlung gegen Gustl Mollath. Als Richter Otto Brixner diese Worte sprach, hatte er längst das Urteil gegen Mollath im Gerichtssaal verkündet: Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Was muss alles geschehen, damit ein Richter solch eine Drohung ausspricht? Und welche Tat bringt einen bis dahin unbescholtenen Bürger für möglicherweise immer in die forensische Psychiatrie?

Es waren nicht allein die Mollath vermeintlich nachgewiesenen Taten, die dazu führten, dass er seiner Freiheit beraubt wurde. Diese hätten wohl nur eine Verurteilung zur Bewährung nach sich gezogen. Es war vor allem ein Zusammenspiel von Justiz und Psychiatrie, das in dem skandalösen Urteil mündete. Denn mit der Diagnose einer wahnhaften Störung war ein Mechanismus in Gang gesetzt, den man ansonsten nur aus verschiedenen Werken und Erzählungen Kafkas kennt.

Nun ist es äußerst unwahrscheinlich, dass die einfache Behauptung, jemand habe einen Wahn, ausreicht, um mehrere Richter, Staatsanwälte, Psychiater und zahlreiche weitere involvierte Personen zu überzeugen, dass der Beschuldigte auch wirklich eine ver-rückte Wahrnehmung hat. In der Regel erkennt das schließlich jeder Mensch aufgrund der Alltagserfahrungen und der allgemeinen Menschenkenntnis ganz gut, ob jemand "irre" ist oder nicht. Was muss man im Deutschland der 2000er und 2010er Jahre von sich geben, damit mehrheitsfähig behauptet werden kann, derjenige sei doch ein Spinner?

Laut Urteil "war der Angeklagte schließlich überzeugt, dass seine Ehefrau, die seit 1990 bei der Hypovereinsbank arbeitete, bei einem 'riesigen' Schwarzgeschäft von Geldverschiebungen in die Schweiz beteiligt sei". Diese ständigen Behauptungen Mollaths, seine wiederholten Anzeigen, sein unermüdliches Beharren auf Gerechtigkeit und sein uneinsichtiges Bestehen auf der Wahrheit1 setzten mehrere Abwehrmechanismen in Gang. Sowohl psychische als auch soziale, institutionell-strukturelle Abwehrprozesse.

Wer wirre Behauptungen aufstellt, die auch noch auf die Grundfesten des Rechtsstaates abzielen, und wer darüber hinaus von den Erwartungen der dem Bürgertum zugedachten Normalität abweicht, der muss offensichtlich auf seinen Geisteszustand hin überprüft werden. Und so wird gerichtsfest2,

dass der Angeklagte in mehreren Bereichen ein paranoides Gedankensystem entwickelt habe. Hier sei einerseits der Bereich der 'Schwarzgeldverschiebung' zu nennen, in dem der Angeklagte unkorrigierbar der Überzeugung sei, dass eine ganze Reihe von Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Ehefrau, diese selbst und nunmehr auch beliebige weitere Personen, die sich gegen ihn stellten, z.B. auch Dr. Wörthmüller, der Leiter der Forensik am Europakanal, in der der Angeklagte zunächst zur Begutachtung untergebracht war, in dieses komplexe System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt wären.

Ein System von Schwarzgeldverschiebung zu behaupten, kann also als Teil eines paranoiden Gedankensystems gedeutet werden, wenn der Betreffende unkorrigierbar an der Wahrheit festhält. Dass es dieses System der Schwarzgeldverschiebung gegeben hat, weiß man nicht erst seit dem Sonderrevisionsbericht der Hypovereinsbank. Hierdurch wird nur festgehalten, dass die ehemalige Ehefrau von Mollath und ihre Kollegen in genau solch ein System involviert waren - genauso, wie es Mollath behauptet hatte und wie es ihm als wahnhaftes Gedankensystem ausgelegt wurde.

Der Text von Sascha Pommrenke ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch "Staatsversagen auf höchster Ebene. Was sich nach dem Fall Mollath ändern muss" (208 Seiten, 12,99 Euro) und wurde mit freundlicher Genehmigung des Westend Verlags hier veröffentlicht. Herausgeber sind Sascha Pommrenke und der Telepolis-Autor Marcus Klöckner, der für Telepolis den Fall Mollath verfolgt hat.

Die Autoren, Experten aus Justiz, Psychiatrie, Politik, Medizin und Medien, nehmen sich der Affäre Mollath an, denken aber über den Einzelfall hinaus und verdeutlichen: Die Missstände in Justiz und Psychiatrie sind groß. Kann es wirklich jedem passieren, plötzlich weggesperrt zu werden?

Wie kommt es also, dass Psychiater und Richter dennoch von einer Wahnwahrnehmung ausgegangen sind? Können sich Richter und Psychiater nicht vorstellen, dass es Schwarzgeldverschiebungen in Deutschland gibt? Oder war ihnen einfach der behauptete Umfang zu abstrus?

So hatte Mollath in einer seiner Anzeigen geschrieben: "Was jetzt folgt, ist Teil von 400 Milliarden Franken." Anschließend schilderte er ein Prinzip von Steuerhinterziehung und Geldwäsche, das einige wenige Vermögensberater einer einzigen kleinen Filiale in Nürnberg betrieben. Es bedarf keines Wahns, nicht einmal einer besonders ausgeprägten Phantasie, um dieses Prinzip auf Deutschland hochzurechnen. Wenn in der kleinen Filiale in Nürnberg bereits Millionen hinterzogen werden, wieviel wird dann mit eben diesem Prinzip in der Bundesrepublik hinterzogen? War es ein paranoides Gedankensystem, das Mollath vom "größten und wahnsinnigsten Steuerhinterziehungsskandal" sprechen ließ?

Spiegel Online International berichtete im Mai 2008 von einer Studie, die die Deutsche Steuergewerkschaft gemeinsam mit der Bundesbank erstellt hatte. Demnach lagen damals etwa 500 Milliarden Euro unversteuertes Vermögen - also Schwarzgeld - der Deutschen in Steueroasen, etwa ein Drittel davon in der Schweiz. Im selben Artikel wird zudem von einer kriminellen Verschwörung zum Steuerbetrug berichtet. Hierin war in den Jahren 1996 bis 2002 auch die Hypovereinsbank involviert. 2006 kam es daraufhin in den USA zu Strafzahlungen wegen illegaler Beihilfe zur Steuerhinterziehung, wie das Manager Magazin und das Handelsblatt im Februar 2006 vermeldeten. Exakt die Zeiträume, in denen Mollath störte. Steuerbetrug? Verschwörung? Milliardensummen?

Vielleicht sind Akademiker und Funktionseliten aber auch genau die Klientel, die das Schwarzgeld in die Schweiz verschiebt und um ihre Pfründe fürchtet. Hat Mollath hier nicht nur prinzipiell gestört, sondern sogar ganz persönlich?

Doch ihm wurde nicht nur das Behaupten und Festhalten am Schwarzgeldsystem vorgeworfen, sondern vor allem auch, dass er angeblich beliebige weitere Personen in das komplexe System, in die Verschwörung gegen sich mit einbezieht3:

Eindrucksvoll könne am Beispiel des Dr. Wörthmüller ausgeführt werden, dass der Angeklagte weitere Personen, die sich mit ihm befassen müssten, in dieses Wahnsystem einbeziehe, wobei in geradezu klassischer Weise der Angeklagte eine für ihn logische Erklärung biete, dass Dr. Wörthmüller ihm angeboten habe, ein Gefälligkeitsgutachten zu schreiben, wenn der Angeklagte die Verwicklung des Dr. Wörthmüller in den Schwarzgeldskandal nicht offenbare.

Natürlich hätte die einfache Behauptung der Aufdeckung eines Schwarzgeldrings nicht zu einer Einweisung in eine Psychiatrie geführt. Um jemanden einzuweisen, bedarf es schon gewichtigerer Begründungen. Zentral ist hier die Wahnausweitung auf beliebige andere. Nun wird allerdings nur eine einzige Person, nämlich der Psychiater und vorgesehene Gutachter Michael Wörthmüller, als beliebiger anderer beschrieben - ausgerechnet der hatte sich selbst für befangen erklärt.

Ein Nachbar von Wörthmüller, der tatsächlich mit den "Schwarzgeldkreisen" in Verbindung gebracht werden kann, hatte ihn im Vorfeld über die "Angelegenheit Mollath" informiert. "Aufgrund des so erhaltenen Meinungsbildes", konstatierte Wörthmüller in einem Schreiben an Richter Brixner, "und der damit verbundenen persönlichen Verquickung sehe ich mich außer Stande, mit der notwendigen Objektivität das von Ihnen angeforderte Gutachten zu erstatten." Nicht ohne jedoch mit den Worten zu schließen: "Ich hoffe, Ihnen nicht zu viele Unannehmlichkeiten zu bereiten, und verbleibe mit dem Wunsch nach weiterhin guter Zusammenarbeit und freundlichen kollegialen Grüßen."

Im Zuge der Recherchen zur "Wahnausweitung auf unbeteiligte Dritte" für den Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft wurden sowohl Wörthmüller als auch sein Nachbar befragt. Die Staatsanwaltschaft fasst zusammen:

Zumindest aus Herrn Mollaths Sicht war es aufgrund des Verlaufs und der Inhalte der zwischen ihm und Herrn Dr. Wörthmüller geführten Gespräche tatsächlich nicht abwegig oder gar wahnhaft, den Schluss zu ziehen, Dr. Wörthmüller habe ihm ein "Gefälligkeitsgutachten" angeboten, weil er mit "Schwarzgeldverschiebern" in Verbindung steht. Dies war zwar objektiv falsch, eine derartige Fehleinschätzung war aber keineswegs wahnbedingt, sondern lediglich eine unzutreffende, objektiv betrachtet auch abwegige, aber zumindest logisch erklärbare Schlussfolgerung Herrn Mollaths aus realen Begebenheiten.

Juristisch schwinden die Begründungen für die Verurteilung.

Anfang 2014 wird das Verfahren gegen Gustl Molath wieder aufgenommen. Die Justiz ist also, wenn auch im engen Rahmen, bereit und in der Lage, Abläufe zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Dennoch bleibt zu bedenken, dass die Wiederaufnahmeanträge zuerst abgelehnt wurden. Es gibt zwar Möglichkeiten zur Selbstkritik und zur Korrektur begangener Fehler. Aber es verbleibt häufig in der Persönlichkeit des Positionsinhabers, ob er Willens und in der Lage ist, sich selbst oder Standeskollegen zu kritisieren oder wo nötig zu korrigieren.

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