Web Community reanimierte TV-Kultsendung

Bild: NASA

Wie die Space Night des Bayerischen Rundfunks mit spektakulären HD-Bildern und GEMA-freier Musik zu neuem Leben erwachte

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Sie erhob sich wie der sagenumwobene Phoenix aus der Asche zu neuem Leben. Dass die seit 1994 im Bayerischen Fernsehen und auf BR Alpha seit 1998 im Nachtprogramm omnipräsente Space Night ihren Beinahe-Absturz überlebt hat und seit diesem Samstag wieder auf Sendung ist, verdankt sie dem Engagement zahlreicher Internet-User, die sich für den Erhalt der Sendung auf höchst effektive und kreative Weise eingesetzt haben. Denn um die steigenden GEMA-Gebühren zu umgehen und die Fortsetzung der Kultserie zu garantieren, konterten sie zusammen mit einigen Redakteuren des Bayerischen Rundfunks (BR) mit einem Vorschlag, der binnen kurzer Zeit umgesetzt wurde. Das Ergebnis in Gestalt von drei im Schnitt 56 Minuten langen Folgen, die sowohl über den Äther als auch online gehen, kann sich sehen und hören lassen. Doch ihren festen Sendeplatz muss sich die Space Night erst noch sukzessive zurückerobern.

"Am ersten Tag deutete jeder von uns auf sein Land. Am dritten oder vierten Tag zeigte jeder auf seinen Kontinent. Ab dem fünften Tag gab es für uns nur noch eine Erde." Dieser von dem Shuttle-Astronaut Sultan Bin Salman al-Saud im Jahre 1985 zum Besten gegebener Aphorismus spiegelt wohl wie keine andere Raumfahrerweisheit den Perspektivenwechsel wider, den alle Apollo-Mondfahrer während ihren lunaren Exkursionen und alle Astronauten, Kosmonauten sowie Taikonauten nach ihren 90-minütigen Weltumrundungen erlebt haben.

Overview-Erlebnis für jedermann

Jeder von ihnen hat von der Zerbrechlichkeit und der grenzenlosen Weite und unbeschreiblichen Schönheit des bläulichen Smaragds geschwärmt und in der schwerelosen Leichtigkeit jene kosmopolitischen Momente vergegenwärtigt, die für uns Zurückgebliebenen kaum nachzuvollziehen sind, die Eingeweihte jedoch gerne mit Terminus technicus Overview-Effect umschreiben. Hierunter verstehen sie den Moment der Erkenntnis respektive jenen Bewusstseinswandel, der mit Blick auf die Erde den Blickwinkel verändert und völlig neue kosmische Horizonte öffnet und Einsichten mehrt. Erfahren konnten ihn aus erster Hand bislang nur knapp 600 Menschen - all jene, die sich einst auf dem Weg zum Mond sowie zurück befanden - und alle bislang im Orbit weilenden Raumfahrer.

Gleichwohl müsste unsereiner nicht unbedingt persönlich in orbitale Gefilde entschwinden, um Näheres über das Phänomen des Overview-Effects und Interessantes über die orbitale bemannte Raumfahrt, unseren blauen Planeten selbst und über das Universum zu erfahren. Wer seinen kosmischen Horizont auf sinnliche Art und Weise erweitern wollte, brauchte in der Vergangenheit stets nur in die sphärische Welt der Space Night des Bayerischen Fernsehens einzutauchen. Untermalt von psychedelischer Chill-Out-Musik, von Klassik-, Jazz- oder Pop-Tönen und bereichert von eindrucksvollen Weltraumfilmen, Astrofotos, Spaceart-Kreationen und eingeflochtenen Originalkommentaren von Astronauten, konnte der geneigte Zuschauer seit 1994 Augen- und Ohrenzeuge eines bis dahin in der deutschen Fernsehgeschichte einmaligen Spektakels werden.

Prinz Sultan Bin Salman al-Saud startete als Nutzlastexperte der STS-51G-Misson mit der Raumfähre Discovery ins All. Er war der erste Araber und Muslim im All überhaupt. Er fasste den Overview-Effect auf geniale Weise in einem Satz zusammen. Bild: NASA

Anfänge und ersten Gehversuche

Angefangen hatte das optische und akustische Abenteuer vor 20 Jahren in einem schlichten Hotelzimmer. Zu nächtlicher Stunde zappte Georg Scheller im Beisein des heutigen Programmchefs des Bayerischen Fernsehens (BR), Andreas Bönte, durch die Programmlandschaft. Anstatt fündig zu werden, endete ihre televisionäre Exkursion vor dem monotonen Testbild des Senders ihres Arbeitsgebers.

Dass Langeweile indes durchaus inspirierend sein kann, bewiesen die beiden Science-Fiction-Fans binnen kurzer Zeit. Nicht mehr länger gewillt, nochmals der Tristesse von Testbildern ausgesetzt zu sein, wagten sie den Griff in das Bildarchiv des deutschen wiederverwendbaren Wissenschaftssatelliten ASTRO-SPAS, der viermal mit dem Space Shuttle in den Weltraum gehievt wurde und 1997 seine letzten Filmsequenzen aufnahm. Scheller, damals wie heute BR-Redakteur, schnitt mit seinem Team die Bilder nach eigenem Gutdünken zusammen und versah diese später mit sphärischer Musik.

Links der ASTRO-SPAS-Satellit, ausgesetzt von NASA-Shuttle-Astronauten der STS-7-Mission im Jahr 1983. Bild: NASA

Da das Bildmaterial jedoch vom Umfang her recht begrenzt war, fragten sie bei der US-Raumfahrtbehörde NASA, dem europäischen Pendant ESA und beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR nach zusätzlichem Filmmaterial und bekamen es kurzerhand kostenfrei zur Verfügung gestellt. Am 1. Juni 1994 ging die Space Night im Bayerischen Fernsehen (Bayern 3) erstmals über den Äther - in Bayern Alpha im Januar 1998.

Um die vornehmlich während der Space-Shuttle-Missionen aufgenommenen Filme mit geeigneter Musik zu untermalen, setzte Scheller alle Hebel in Bewegung und traf auch 1996 mit dem europäischen Chill-Out-DJ Alex Azary zusammen, dessen musikalischer Einfluss am stärksten in den Earthviews-Folgen zum Tragen kam, in der vierten Folge unbestritten am nachhaltigsten.

Kultstatus und der Kult im Kult

13 inzwischen veröffentlichte CD-Alben mit Musik zur Sendereihe spiegeln auch den musikalischen Erfolg der Serie wider. Insbesondere bei Nachteulen, Astro-Nerds, Schlaflosen oder Nachtarbeitern erlangte die Space Night schnell Kultstatus.

Innerhalb des Kults avancierte desgleichen eine andere Sendung selbst zum Kult, ein anderer Protagonist zur Kultfigur. Denn neben den Folgen "Space Art" und "Space Cowboys" erzielte vor allem Alpha Centauri gute Einschaltquoten und bescherte Harald Lesch erstmals Popularität.

Völlig ohne Effekthascherei, Musik oder Animationen dozierte der Professor für Astrophysik der LMU München monologartig in einem spartanisch eingerichteten fiktiven Klassenzimmer vor einer Tafel über das Universum. Den Erfolg dieser Sendereihe dokumentieren 217 Sendungen, die von 1998 bis 2007 produziert wurden. Weitere Sendereihen mit Lesch (z. B. Lesch & Co.; Alpha bis Omega), Sondersendungen zum 40. Geburtstrag der Perry Rhodan-Serie sowie Live-Mitschnitte von Raketenstarts ergänzten das vielfarbige und abwechslungsreiche Programm der Space Night.

Einen Einschaltrekord erzielte die Space Night in der Nacht vom 20. zum 21. Juli 1994, als sich die erste bemannte Mondlandung zum 25. Mal jährte. Das Programm war zeitlich so abgestimmt, dass Zuschauer exakt um 3.56 Uhr - so wie vor 25 Jahren just zu dieser Uhrzeit - zeitgleich miterleben konnten, wie Neil Armstrongs Fuß den Staub des Mondes erstmals aufwirbelte.

Das neue Logo der Space Night. Bild: BR

Kein Wunder, dass die Presse das ungewöhnliche Nachtprogramm aus Bayern mit wohlwollenden Worten kommentierte. Für die Süddeutsche Zeitung etwa war die Space Night schlichtweg "Fernsehen als Erlösung vom Fernsehen." Der Spiegel attestierte ihr, die "schönste Serie" zu sein, "die es zur Zeit im deutschen Fernsehen gibt". Und die Zeit schrieb der Space Night zu, "Nachtschwärmern und Ruhelosen wahre Sternstunden" zu garantieren, während die Frankfurter Allgemeine über die Anhänger dieser Sendung urteilte: "Sie wollen die Nacht dazu nutzen, wozu sie geschaffen ist: Zum Träumen."