Das synthetische Genom - ein Schritt zum Minimalorganismus

Synthetische G4-Morphologie mittels eines Transmissionselektronenmikroskops (Pfeil). Bild: PLOS / Yang et al./CC-BY-SA-2.5

Die Synthese und Transplantation eines Bakterien-Genoms könnte zu einem Organismus führen, dessen Erbgut auf ein Minimum reduziert ist

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Der Genomforscher J. Craig Venter und seine Mitstreiter verkündeten im Jahr 2010 die vollständige Synthese eines Bakterien-Genoms. Durch Transplantation des synthetischen Genoms in eine andere Zelle gelang es sogar, eine Bakterien-Art in eine andere zu verwandeln. Venter behauptete, damit eine "synthetische Zelle" erschaffen zu haben - erntete damit jedoch den Widerspruch vieler Kollegen. Die Synthese eines kompletten Genoms ist aber noch auf andere Art bedeutsam: Sie ermöglicht die Entwicklung des Minimalorganismus, eines der großen Ziele der synthetischen Biologie (Weitere Erfolge auf dem Weg zur Synthetischen Biologie).

"Dies ist der erste selbst-replizierende Organismus auf der Erde, der einen Computer als Eltern hat", mit diesem Satz trat J. Craig Venter im Jahr 2010 vor die Weltpresse. Er hatte ein künstliches Bakterien-Genom hergestellt und damit eine Bakterien-Art in eine andere verwandelt (Gibson et al., Science 2010: Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome). Diese angeblich "synthetische Zelle" machte weltweit Schlagzeilen, auch wenn viele namhafte Wissenschaftler Venters Interpretation nicht teilen konnten (Der nächste Schritt der Gottwerdung).

Aber auch diese Wissenschaftler mussten zugeben, dass es sich um eine technische Glanzleistung handelte. Das ist man von Venter, eine der schillerndsten Figuren der Genomforschung, allerdings auch gewohnt: Schon die Sequenzierung des menschlichen Genoms hatte er derart angetrieben, dass diese Mammutaufgabe in vergleichsweise kurzer Zeit bewältigt werden konnte. Und bei der Erzeugung des synthetischen Genoms scheute Venter keine Mühen: 20 hochkarätige Wissenschaftler - darunter ein Nobelpreisträger - hatten mehr als 10 Jahre daran gearbeitet und dabei 40 Millionen US-Dollar ausgegeben. Am Ende konnte das gesamte Genom des Bakteriums Mycoplasma mycoides - immerhin 1,08 Millionen Nukleinbasen lang - künstlich synthetisiert werden.

J. Craig Venter. Bild: PLOS / Liza Gross. Lizenz: CC-BY-2.5

Wenn man es allerdings genau nimmt, war der nur der erste Schritt eine rein künstliche Synthese: 1000 DNA-Fragmente, die jeweils 1080 Nukleinbasen des bakteriellen Genoms abdeckten, wurden von Maschinen hergestellt. Doch schon im nächsten Schritt war wieder die Natur gefragt - zusammengebaut wurden diese Fragmente durch Hefezellen. Diese setzten die Fragmente schrittweise zu größeren Molekülen zusammen, bis schließlich das ringförmige Bakterien-Genom fertig gestellt war.

Der nächste Schritt war der entscheidende: Das synthetische Genom von M. mycoides wurde in die verwandte Art M. capricolum transplantiert - zwei Arten, die genetisch etwa so weit voneinander entfernt sind wie der Mensch von der Maus. Bei einigen Zellen war die Transplantation erfolgreich: Die Bakterien produzierten nur noch Proteine, die typisch für M. mycoides sind. Das synthetische Genom hatte eine Bakterienart in eine andere verwandelt.

Zwischenschritt zum Minimalorganismus

Für Venter strahlt dieser Erfolg weit über die Biologie hinaus - er behauptet, damit die alte philosophische Lehre des Vitalismus widerlegt zu haben. Diese glaubte an eine immaterielle Kraft, die die Grundlage allen Lebens bildet. Für Venter ist seine umgewandelte Zelle der endgültige Gegenbeweis. An ihr zeige sich, dass die Zelle wie eine Maschine funktioniert, die exakt den Anweisungen der DNA folgt. Die DNA sei die Software des Lebens. Wer die DNA manipuliert, manipuliert auch das Leben.

Diese Interpretation impliziert, dass Venter künstliches Leben erschaffen hätte. An diesem Punkt widersprechen ihm aber viele Kollegen (Nature 2010: Life after the synthetic cell). Sie weisen darauf hin, dass Venter ein natürliches Genom kopiert hat - ohne dabei etwas Neues zu erschaffen, was biologisch relevant wäre. Weiterhin brauchte Venter immer noch eine intakte Zelle (den Empfänger M. capricolum), damit sich das synthetische Genom entfalten konnte. 99 % dessen, was eine Zelle ausmacht - Proteine, Zuckerstrukturen, Fette - wurden also nicht künstlich synthetisiert, sondern von der Natur beigesteuert. Das Fazit der Experten: Eine beeindruckende technische Leistung, aber weit davon entfernt, synthetisches Leben zu sein.

Doch philosophische Fragen sind zweitrangig, wenn es um handfeste kommerzielle Interessen geht. Denn Venters Bakterium ist nur ein Zwischenschritt zum eigentlichen Ziel - dem Minimalorganismus. Diese bislang hypothetische Lebensform besteht nur aus dem Notwendigsten, was es zur eigenen Vermehrung braucht. Die Reduktion des Erbguts auf das absolute Minimum - laut Venter führt der Weg dahin über das synthetische Genom (A. Marshall, Nature Biotechnology 2009: The sorcerer of synthetic genomes).

Der Minimalorganismus entspricht dem Betriebssystem beim Computer

Doch warum ist der Minimalorganismus so wichtig? Er ist eine Voraussetzung für den Erfolg des "Bottom-up"-Ansatzes der synthetischen Biologie: Dabei werden einzelne zelluläre Funktionen wie selbständigen Module behandelt und beliebig kombiniert, um Organismen mit besonderen Eigenschaften zu erzeugen. Dies erfordert ein stabiles Grundgerüst, das die diversen Module aufnehmen kann - und diese Rolle soll der Minimalorganismus spielen. Je weniger Gene er aufweist, desto störungsfreier können die Module arbeiten. Der Minimalorganismus entspricht etwa einem Betriebssystem beim Computer, das unterschiedlichen Programmen eine verlässliche Umgebung liefert.

Damit hat der Minimalorganismus das Potenzial, eine sprudelnde Einnahmequelle zu werden. Anwendungen, die über den Bottom-up-Ansatz realisiert werden - die Produktion von Medikamenten und Biokraftstoffen etwa -, könnten ihn als Basis nutzen und dafür beträchtliche Lizenzgebühren abführen. Und angesichts der großen Kosten, die ein synthetisches Genom mit sich bringt, wäre ein Konkurrenz-Produkt kaum zu befürchten. Der Minimalorganismus könnte eine ähnliche beherrschende Marktposition einnehmen wie das Windows-Betriebssystem von Microsoft.

Doch das ist alles noch Utopie: Niemand weiß, ob sich ein Minimalorganismus realisieren lässt, und - falls ja -, ob er hält, was Forscher sich heute von ihm versprechen. Das synthetische Genom war nur ein Schritt in diese Richtung. Erst die nächsten Schritte werden entscheiden, ob ein Minimalorganismus der synthetischen Biologie zum endgültigen Durchbruch verhelfen kann.

Teil 3: Stoffwechsel nach Maß. Synthetische Biologen verändern den Stoffwechsel von Zellen, um Substanzen für den alltäglichen Bedarf zu produzieren.