Der Streit um gerechte Sprache

Joe Marsala and Adele Girard, Hickory House, New York, N.Y., between 1946 and 1948. Foto: The Library of Congress; Quelle: Wikimedia Commons; gemeinfrei

Hallo Lesas! Es geht wieder einmal um Gender-Studies, genauer gesagt um einen feministischen Leitfaden. Beispiel: "Dix Studierx"

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Hallo Lesas! Es geht wieder einmal um Gender-Studies. Ich bitte Sie zu anfanx, dass Sie sich nicht gleich schon ein "x" für ein "u" vormachen, also sich mit gekreuzten Balken den Zugang zur U-Musik darin versperren. Es finden sich elegante Lösungen im Leitfaden zum gerechteren Sprachgebrauch, den die AG Feministisch Sprachhandeln am Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin entwickelt und online veröffentlicht hat - ("Was tun? Sprachhandeln - aber wie? Wo_rtungen statt Tatenlosigkeit!") und - u.U - Türöffna zum vergnüglichen Em_power_ment (mind).

Zuerst der elegante Lösungsvorschlag. Die herkömmliche und inkriminierte Formulierung lautet:

Den Senatssaal der Universität im ersten Stock erreicht man über den Aufzug oder das Treppenhaus.

Das zu beanstandende Wort haben Sie dank jahrelanger, wenn auch möglicherweise unfreiwilliger, Empfindlichkeitsschulung durch sprachkritische Einwürfe gegen diskriminierende Selbstverständlichkeiten im alltäglichen Sprachgebrauch längst entdeckt: das (!) "man".

Man könnte die Orientierungshilfe auch anders formulieren, schlägt der Leitfaden vor:

Den Senatssaal im ersten Stock erreichen Sie über den Aufzug oder das Treppenhaus.

Das sieht sofort besser aus, weil jedx direkt angesprochen wird und weil es dadurch freundlicher ist. Freundlichkeit ist keine zu unterschätzende Kulturleistung, soll an dieser Stelle erwähnt werden.

Der Lösungsvorschlag kommt mir sogar viel selbstverständlicher vor, dass ich mich frage, ob das Wort "man" überhaupt auf Hinweisschildern verwendet wird. Damit ist der Argwohn geweckt, handelt es sich um ein konstruiertes, krampfiges Beispiel?

Eine Schnellrecherche dazu ist leider nicht möglich. Das Krampfige zeigt sich sowieso. In der Begründung gegen die Verwendung von "man":

Diese Sprachhandlung ist diskriminierend und wenig verantwortungsbewusst. Wie Perzeptionsstudien gezeigt haben (…), werden mit ‚man’ tatsächlich Vorstellungen von → weißen → ableisierten ‚Männern’ aufgerufen. Das gleiche gilt auch für die Benennung ‚Mensch’. Folglich sind ‚man’ und ‚Mensch’ keine neutralen Bezeichnungen, sondern re_produzieren immer wieder Vorstellungen von weißen ableisierten ‚Männern’ als prototypisch für das Allgemeinmenschliche. Damit sind viele Personen, die sich in dieser Kategorisierung nicht repräsentiert fühlen, ausgeschlossen. Außerdem werden durch solche Formen Personengruppen nicht differenziert benannt.

Weiße, ableisierte Männer

Weiße, ableisierte Männer? Männer der westlichen Mehrheitsgesellschaft, die sich als Norm setzen, womit andere, die der Norm nicht entsprechen, ausgeschlossen und also diskriminiert werden, auf subtile Art. Präziser wird das im Glossar des Leitfadens (S.38) so erklärt:

Ableismus, ableisiert, disableisiert: Ableismus ist das strukturelle Diskriminierungsverhältnis, das Nicht/beHinderung bzw. Dis/Ableisierung konstruiert. Personen, die in einer Gesellschaft nicht-beHindert sind, sind ableisiert.

Oder, für Laien zugänglicher, auf Wikipedia:

Ableism und Disablism sind aus dem Englischen stammende Begriffe (engl. able = fähig, to disable = unfähig machen, disabled = behindert, Suffix -ism = -ismus) [1] aus dem Bereich der Behindertenbewegung bzw. der Disability Studies.

Sie dienen der Benennung einer Form der Behindertenfeindlichkeit: der Beurteilung von Menschen anhand ihrer Fähigkeiten - die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung werden im Gegensatz zu denen von Nicht-Behinderten als mangelhaft bewertet. Hieraus können Diskriminierung oder gesellschaftliche Vorurteile gegen Menschen mit Behinderungen entstehen.

Felix von Leitner hat dazu auf seinem Blog Anfang März mit Witz und List auf Abgründe verwiesen, die sich auftun, wenn man gebräuchliche Begriffe auf ihr Exklusionspotential hin untersucht:

Wissenschaft ist Ableismus (..), denn es diskriminiert Unwissende. Aber Vorsicht mit dem Wikipedia-Artikel, denn sie leiten das über able = fähig her, die Negation wäre unfähig, das ist ja auch inhärent diskriminierend. Hier sind die Disability Studies meiner Ansicht nach in der Pflicht, ein weniger diskriminierendes Wort zu finden.

Sprachspiele

Die alternativen Sprachsetzungen und Sprachformen, die der Leitfaden vorschlägt, sind leicht zu parodieren, die Lust daran nährt sich an der Zumutung, die sie an Leser stellen. Das ist Absicht, weil sie irritieren sollen. Das Binnen-I, das mich als Leser sehr stört, ist längst nicht mehr neuester Stand, weil es auf Zweigeschlechtlichkeit (genauer: Zwei-Genderung) beruht. * oder a oder x sind besser, dazu kommt das x als Suffix im Wortstamm und der dynamische _, um "kritisch auf zweigegenderte Formen hinzuweisen" oder mitgelieferte Inhalte von einzelnen Silben (Re_produktion). Auch gehe es darum, den Leser zur aufmerksamen Lektüre zu erziehen:

We_lche Mita_rbeiterin will denn i_hre nächste Fortbildung zu antidiskriminierender Lehre machen? Sie_r soll sich melden. Der Kurs ist bald voll.

Weiteres Beispiel: "Dix Studierx hat in xs Vortrag darauf aufmerksam gemacht", dazu die Sternvariante *, um eine Vielfalt von Positionierungen zu symbolisieren, und die a-Form, um männlich geprägte Assoziationen zu brechen und die Idee einer "herausfordernden stärkeren Frauisierung" aufzugreifen: "Unsa Lautsprecha ist permanent auf Demos unterwegs." etc.

Beispiele, die Lektüregewohnheiten verstören, lassen sich in dem Handbuch genügend finden. Es gibt dazu Überlegungen, die sich leicht nachvollziehen lassen: Dass sich jedx angesprochen fühlen soll, Lesegewohnheiten durchbrochen werden sollen, um Achtsamkeit gegenüber Individuen jenseits der schablonisierten, mit Vorurteilen befrachteten Wahrnehmung zu wecken.

Dazu gibt es auch beruhigende, abgrenzende Aussagen der Lehr_stuhl_inhaber* Lann Hornscheidt, Professx für Gender Studies und skandinavistische Linguistik am Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin:

Es ist vollkommen in Ordnung, wenn sich Personen als Frauen oder Männer begreifen.

Aber: Muss uns das erst gesagt werden? Welches seltsame Verständnis steht hinter einem solchen Satz?

Assoziationsräume, denen sich das kritische Bewußtsein der Genda-Stud* widmet, sind sehr groß, wie jeder weiß, der sich mit der Großdisziplin dazu, der Lyrik, befasst. Man kann damit spielen, aber es normativ ernst meinen und sogar eine Deutungshoheit daraus beziehen? Wie hölzern...

"Mörder, Diebe und Deppen" sind männlich assoziert und wahrscheinlich lassen sich noch andere Beispiele für Wörter finden, die Gewalt, Verbrechen, Dummheit evozieren und dazu männliche Assoziationen. Ich schreibe sie nicht mit Sternen, nur weil sich unter Frauen und Cis-Gender auch Killa, Verbrecha und Dümmlinge finden.

Die Frage, die ich mir dazu stelle, ist, ob solche Bewusstseinsschärfung für männliche Dominanz, die nun ja schon Jahrzehnte währt, über solche harmlosen _* a-Bausätze tatsächlich Erkenntnisse fördert? Ist da nicht ein kluger Aufsatz, der ohne Passwortzeichen auskommt, näher dran am Denken?

"Es wäre schon ein Gewinn, wenn Sie ab und zu wenigstens eine Unterstrichform verwenden"

"Es wäre schon ein Gewinn, wenn Sie ab und zu wenigstens eine Unterstrichform verwenden. Es gibt unzählige Untersuchungen, die zeigen: Wer das Wort Studenten liest, denkt nur an Männer. So verfestigen sich Vorstellungen und Machtstrukturen", so Lann Hornscheidt gegenüber dem Spiegel.

Das ist kein sehr hohes Stockwerk mehr, dass */sie/er erreichen müssten. Denkt x an die Universität, sind die Vorstellungen wahrscheinlich vielfältiger. Die Machtstrukturen zwischen Frauen und Männer, Männer und Frauen, werden uns seit vielen Jahren erklärt, das Gelände bleibt ein unbekannter Kontinent, von dem etwa die Literatur lebt, oder in der profanen Wirklichkeit, sogenannte Beziehungsgespräche. Die Unterstrichform ist demgegenüber Ornament.

P.S. Beim wiederholten Lesen fällt, sensibilisiert durch die Buchstabenblick, zu dem die Sprachkritik des Leitfadens anregt, dann doch die kritiklose Verwendung des "Sie" in dem von mir gelobten Beispielsatz - "Den Senatssaal im ersten Stock erreichen Sie über den Aufzug oder das Treppenhaus" - auf. Hat etwa die deutsche Höflichkeitsform aus Männersicht nicht auch etwas Diskriminierendes? Müssen wir nicht doch auch der altertümliche Verwendung des "Er" auch seinen Raum geben? "Den Senatssaal im ersten Stock erreicht Er über den Aufzug oder das Treppenhaus"