Neue Top-Role-Models zwischen Himmel und Erde

Reliquie Papst Johannes XXIII Foto: Justin Ennis; Lizenz: CC BY 2.0

Die Fabrik der Heiligen: Der Papst kanonisiert zwei Päpste. Für Kritiker ist das "hoch problematisch"

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Das Beeindruckende am Katholizismus ist seine Opulenz und Raffinesse; dass der Drang zum Ausufern auch im Bösen nicht bereit war, sich zügeln zu lassen, brutale Bahnen schlug und die Raffinesse sich geschmeidig mit einer brutalen Machtpolitik und einer dicken Portion Opportunismus verbinden kann, ist die höllische Seite. Sie kann man beim kürzlich verstorbenen Kirchenkritiker Karlheinz Deschner nachlesen, der Dimension angemessen auf über 5.000 Seiten. Doch steht nun wieder eine Feier an, ein Tera-Giga-Mega-Event, zu sehen am Sonntag, den 27. April ab 9.30 Uhr live vom Petersplatz auf Sky 3D (!) und zig anderen Kanälen.

Rom habe das noch nicht erlebt, sagte heute ein aufgeregter Rundfunkreporter. 1.700 Busse allein aus Polen, der Himmel über Rom voll mit Hunderten von Chartermaschinen auf Anflug, das Innenministerium rechnet mit 800.000 Besuchern, bei der Zeremonie würden 200 hochrangige Geistliche begleitet von Sonnen-oder Regenschirmträgern die Kommunion zelebrieren.

Das Novum: Gleich vier Päpste stehen im Mittelpunkt der Feier, zwei lebende, der amtierende Franziskus und der emeritierte Benedikt XVI und die beiden toten, legendären, Johannes XXIII und Johannes Paul II, die heilig gesprochen werden. Wobei im Vatikan noch spekuliert wird, ob Benedikt in der körperlichen Verfassung ist, die ihm eine Teilnahme erlaubt.

Die Parallelen sind augenfällig: Papst Benedikt nannte die Anhänger der katholischen Kirche auf Twitter "Athleten Christi", der eingangs genannte Fernsehsender mit dem himmlischen Namen ist bekannt für die Übertragungen von Giga-Mega-Sportereignissen; die unüberschaubare Zahl von Andachtsbildern und anderen Devotionalien, die mit den Konterfeis der neuen Heiligen produziert werden, hat Parallelen zu den Trophäen im Fußballgeschäft, den Trikots der Idole, die weltweit verkauft werden, und den kleinen Paninibildern. Sport und Kirche haben gemeinsam, dass sie das Versprechens-Kapital haben, um viele von einem erfolgreichen, schönen, gelungenem Leben träumen zu lassen, der Wirtschaft und Politik scheint dieses Kapital, das zum Aufbruch mobilisiert, gerade auszugehen.

Insofern ist die katholische Kirche ziemlich fit auf der Höhe der Zeit. Mögen ihr noch so viele Gläubige den Rücken kehren, zum Beispiel wegen des unfassbaren Missbrauchskandals - im Januar wurde bekannt, dass Benedikt in zwei Jahren, 2011 und 2012, 400 Priester wegen Kindesmissbrauchs suspendiert hatte - mit Veranstaltungen wie der Doppel-Heiligsprechung wird die weltweite Aufmerksamkeit eines Massenpublikums wieder auf das "Gute" gerichtet, auf Vorbilder.

Religionssoziologisch gesehen, betonen Heiligsprechungen den Grenzverkehr zwischen Erde und Himmel, Diesseits und Jenseits, Immanenz und Transzendenz.

Michael N. Ebertz

Dazu braucht es gar nicht so sehr die Wundertätigkeit, wie die Heiligsprechung von Johannes XXIII zeigt, dem eigentlich das notwenige "zweite Wunder" fehlt. Der Kandidat mus einen "heroischen Tugendgrad" aufweisen, so der Religionssoziologe Michael N. Ebertz in einem Interview. Schaut sich der Fußballnachwuchs die Tipps von den Stars ab, so schaut sich der vom Glauben Berührte das Leben der Heiligen ab.

Der Heiligenkult, wenn man ihm eine positiven Aspekt abgewinnen will, mal beiseite gelassen, dass er auch ein gutes Gegengewicht gegen fundamentalistische Elemente des Monotheismus abgibt, ist immerhin nicht die alte Politik der Angsteinjagerei, der Strafen und der Verdammnis.

"Statt nun das Fegefeuer wieder zu entfachen, an das kaum noch einer glaubt, hat sich Johannes Paul II. auf die Heiligen besonnen", der neue Papst könne diesen Kurs nicht so einfach verlassen, so Ebertz. Kritiklos will er die neue Motivationsschiene der Päpste aber nicht sehen:

Wenn nun heute die Päpste anfangen, einander durch die Bank heilig zu sprechen, dann ist das die nochmalige Steigerung einer Selbstsakralisierung der Institution Kirche und des Papstkults durch einen Kult um die Person der Päpste. Ich halte das für hoch problematisch.

Eine Institution, deren Spitzenpersonal so um sich selbst kreise, wirke leicht unglaubwürdig. Das läßt sich bekanntermaßen auch über viele Institutionen sagen.