Mädchen haben schon seit 100 Jahren bessere Schulnoten als Jungen

Von einer aktuellen "Jungenkrise", die gegenüber den Mädchen ins Hintertreffen geraten, kann man daher nicht sprechen

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Jungen sind in der Schule besser in Mathematik und wissenschaftlichen Fächern, Mädchen eher in Sprachen. Das ist ein Vorurteil, nach Erkenntnissen von kanadischen Wissenschaftlern, galt das auch früher kaum. Schon fast ein Jahrhundert lang hätten Mädchen, wenn man die gesamte Schulzeit und nicht nur einzelne Tests betrachtet, besser als die Jungen abgeschnitten. Damit würde auch die in manchen Männerkreisen zirkulierende Vorstellung einer seit einiger Zeit entstandenen Benachteiligung der Jungen durch eine zunehmend von Frauen und Lehrerinnen geprägte feminine Kultur in den Bereich der Phantasie verwiesen.

Die Wissenschaftler untersuchten für ihre Studie, die im Psychological Bulletin erschienen ist, über 300 Untersuchungen aus 30 Ländern, die 538.000 Jungen und 595.000 Mädchen während der Zeit von 1914 bis 2011 umspannten, zu 70 Prozent waren es Schüler aus den USA. Die Daten der Untersuchungen vergleichen die Leistungen von Mädchen und Jungen von der Grundschule bis zur Universität. Berücksichtigt wurden auch Variablen wie das Land, das Alter der Schüler bei der Benotung, der Zeitpunkt der Untersuchungen oder die ethnische Zusammensetzung.

Mädchen schnitten, so das Ergebnis, mit durchschnittlich 0,225 zwar geringfügig, aber immer besser als die Jungen ab. Der Unterschied ist bei Sprachen am höchsten, in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern ist der Vorsprung am geringsten. Die Überlegenheit der Mädchen entwickelt sich aber erst wirklich ab der Mittelstufe. Interessant ist auch, dass seit 100 Jahren die Unterschiede in den Schulleistungen von der Grundschule bis zur Mittelstufe zunehmen, aber zwischen der Highschool und der Universität wieder abnehmen. An einem Beispiel versuchen sie den Unterschied begreiflich. In einer Klasse, die aus 50 Jungen und 50 Mädchen besteht, würde das schlechtere Abschneiden quantitativ bedeuten, dass 8 Jungen die schlechtesten Note in der Klasse haben.

Daniel Voyer von der University of Brunswick, der die Studie leitete, erklärt, dass die Geschlechtsunterschiede zwar im Wesentlich stereotypen Mustern in Leistungstests folgen, in denen die Jungen normalerweise besser in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern abschneiden: "Mädchen haben einen Vorteil bei Schulnoten unabhängig von den Lernmitteln." Schulnoten würden das Ergebnis des Lernens in dem größeren sozialen Kontext der Klasse sein und über lange Zeit hinweg Leistung und Ausdauer beinhalten. Das sei bei standardisierten Tests, die Kenntnisse zu einem Zeitpunkt erfassen, anders.

Es gebe jedoch keine "Jungenkrise" (Boy Crisis), zumindest im Hinblick auf die Schulleistungen. Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann von der Universität Bielefeld etwa spricht von einer "gravierenden Benachteiligung des männlichen Geschlechts in Erziehungs- und Berufsbildungseinrichtungen", die sich dann auch in schlechteren Noten niederschlage ("Konkurrenz, Karriere und Kollaps": Neue Männer braucht die Gesellschaft). Die waren, wie gesagt, nach der Studie immer etwas schlechter als die der Mädchen, aber die Unterschiede haben sich über die Zeit hinweg kaum verändert, was auch bedeuten müsste, dass die Unterrichtsstile keine Bedeutung für die Geschlechterunterschiede in der Schulleistung haben.

Vielleicht hat man früher die Unterschiede nur deswegen weniger bemerkt, weil die Vorurteile vorherrschten, weil nur wenige Mädchen eine höhere Bildung erhielten und weil Mädchen und Jungen getrennt unterrichtet wurden. Da fällt dies auch weniger auf, als wenn nun mindestens so viele Mädchen oder mehr als Jungen die Hochschulreife erreichen und studieren und so sichtbar wird, dass die Jungen in der Schule hinter den Leistungen zurückbleiben und auch im Studium schlechter abschneiden, auch wenn lange Zeit die höheren Posten noch für die Männer reserviert waren. Etwas anderes mag es sein, wenn es um psychische Probleme oder Verhaltensauffälligkeiten geht. Mädchen scheinen etwa fleißiger, konzentrierter und beharrlicher zu sein.

Die Autoren vermuten, dass die besseren Schulleistungen der Mädchen mit sozialen und kulturellen Faktoren zu tun haben könnten. So könnten Eltern ausgehend von dem Vorurteil, dass sich Mädchen mit der Mathematik schwerer tun, diese mehr fördern. Es könnte auch sein, dass Mädchen und Jungen unterschiedlich lernen. So scheinen Mädchen eher darauf ausgerichtet zu sein, etwas zu verstehen, was ihnen in den höheren Klassen zugute kommen könnte, während die Jungen eher auf die Leistung setzen und dabei verlieren. Oder sind sie vielleicht schlicht intelligenter, was den Erwerb von Schulwissen angeht, das eher theoretisch und weniger praktisch-technisch ist?

Zur "Männerkrise" trägt jedenfalls auch bei, dass die Männer nicht nur in der Schule und der Universität überholt werden, sondern die Frauen auch zunehmend in den Berufen die einst für die Männer reservierten Jobs übernehmen und damit auch gehaltsmäßig vorrücken, während gleichzeitig die Berufe, die geringeres Wissen verlangen, verdrängt werden, was auch seit Beginn der Finanzkrise dazu beigetragen hat, dass die Arbeitslosigkeit bei Männern höher als bei den Frauen angestiegen war.

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