Hadsch Mohamed Hitler?

Hamed Abdel-Samad über faschistische Tendenzen in der islamischen Religion

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Die Integrationsschwierigkeiten muslimischer Migranten dienen neoliberalen Eliten als quasibiologische Rechtfertigung sozialer Unterschiede und ihre Kultur rechtsradikalen Gruppen als Vorwand für ausländerfeindliche Agitation. Was aber, wenn der Islam selbst massive antihumanistische Werte verkörpert und gegenemanzipatorische Haltungen vertritt?

Diese These entwickelt der Politologe und Schriftsteller Hamed Abdel-Samad in seinem neuen Buch Der islamische Faschismus. Anders als zum Beispiel der Sozialwissenschaftler Hartmut Krauss "Keine zwangsläufige Dominanz des Westens", der in seinen Analysen die unterschiedlichen kulturhistorischen Voraussetzungen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Islam und Faschismus berücksichtigt und beide begrifflich auseinander hält, ist für Samad bereits im Ur-Islam das Grundmuster faschistoiden Gedankengutes enthalten. Ein Gespräch mit dem Autor.

Herr Abdel-Samad, welches sind die Komponenten im Islam, die nach Ihrer Meinung Gemeinsamkeiten mit dem Faschismus aufweisen und wann sind diese entstanden?

Hamed Abdel-Samad: Die Aufteilung der Welt in Gut und Böse, Gläubige und Ungläubige. Zwar gibt es keinen Rassismus im Islam auf Basis der ethnischen Abstammung, aber die Herabsetzung und Entmenschlichung der Nichtmuslime ist mit der Rassenlehre des Faschismus schon vergleichbar. Im Koran werden die Ungläubigen als schlimmer als die Tiere bezeichnet. Somit wird die Gewalt gegen diese Ungläubige und sogar deren totale Vernichtung legitimiert. Das Führerprinzip und der unbedingte Gehorsam, die Ablehnung der Moderne und des Individualismus, Gruppenzwang und Kultur der Einschüchterung sind weitere Parallelen.

Das Dschihad-Prinzip ist fast mit dem Konzept des Kampfes im Faschismus identisch. Der Kampf als eine heilige Tätigkeit: Man kämpft nicht, um zu leben, sondern man lebt, um zu kämpfen. Und sollte dieser Kampf ein Ziel haben, dann das, die Weltherrschaft zu erreichen und eine neue Weltordnung zu schaffen. Alles entstand nicht erst mit dem Aufstieg des modernen Islamismus, sondern bereits mit der Gründung des Islam im 7. Jahrhundert.

"Einfluss des europäischen Antisemitismus stärker als die antijüdischen Passagen im Koran"

Wie beurteilte der Islam das Judentum vor der Gründung Israels und welche Umstände sind ausschlaggebend dafür, dass sich seitdem antisemitische Tendenzen verstärkt haben?

Foto: Droemer Verlag

Hamed Abdel-Samad: Im Koran selbst gibt es eine ambivalente Haltung zum Judentum. In den Anfängen des Islam war der Koran freundlich zu den Juden und suchte die Gemeinsamkeiten mit ihnen. Doch später grenzte sich der Islam vom Judentum ab und die Sprache des Korans wurde gegenüber Juden immer feindseliger. Alle Juden wurden aus der arabischen Halbinsel vertrieben. Bald aber eroberte der Islam neues Terrain und beherrschte die meisten Gebiete, wo Juden leben. Aus Pragmatismus ließ man die Juden als Bürger zweiter Klasse leben, solange sie die muslimische Herrschaft anerkannten und höhere Kopfsteuer entrichteten.

Je schwächer die islamische Welt wurde, desto feindseliger wurden Muslime gegenüber Juden. Auch vor der Gründung Israels kam es oft zu starken Spannungen zwischen Muslimen und Juden in Ägypten Algerien und Palästina. Da war aber der Einfluss des europäischen Antisemitismus auf Muslime stärker als die antijüdischen Passagen im Koran.

Israel hat aber selber die säkulare Palästinenser-Opposition ausgeschaltet und stattdessen die islamistischen Hardliner unterstützt...

Hamed Abdel-Samad: Man hat die Hamas nicht unterstützt, sondern bekämpft und man hat die säkulare Opposition auch nicht ausgeschaltet, aber ihr den Wind aus den Segeln genommen. Das war ein Fehler, denn Israel hätte solche Kräfte viel früher unterstützen können. Aber auch viele säkulare Palästinenser wollten die Idee nicht aufgeben, Israel zu vernichten, deshalb war die Kooperation mit ihnen nicht möglich.

"Hitler und Mussolini als Vorbilder"

Wie hat der Islam in den 1930er und 1940er Jahren auf den Faschismus reagiert? Gab es Kollaborationen mit den Nazis?

Hamed Abdel-Samad: Die Muslimbrüderschaft ist in der gleichen Epoche entstanden wie die faschistischen Bewegungen in Italien und Deutschland. Aus den Trümmern des 1. Weltkrieges ist auch der moderne Islamismus hervorgegangen, der den Zerfall des Osmanischen Reiches beklagte und von der Einheit aller Muslime und die Wiederherstellung des islamischen Kalifats träumte. Die Mischung aus Niederlage, Minderwertigkeitskomplexen und Allmachtsvisionen verbinden Faschismus und Islamismus. Der Gründer der Bewegung sah Hitler und Mussolini als Vorbilder, lehnte die Demokratie ab und gründete Terrormilizen nach dem Vorbild des SA und SS.

Während des 2. Weltkriegs betrieb die Muslimbruderschaft Propaganda für die Nazis. Es wurde behauptet, Hitler habe den Islam heimlich angenommen und nannte sich nun Hadsch Mohamed Hitler. Manche ägyptische Historiker behaupten die Muslimbrüder hatten nicht nur Sympathien für Nazis entwickelt, sondern arbeiteten eng mit Nazi-Geheimdiensten während des zweiten Weltkrieges zusammen. Dokumentiert ist die enge Zusammenarbeit des Muftis von Jerusalems mit der Wehrmacht. Dieser hatte den Dschihad für Hitler ausgerufen, rekrutierte Muslime auf dem Balkan für den Kampf an der Seite der SS und erhielt von Hitler eine Radiostation bei Berlin, von wo aus er antisemitische Propaganda in die arabische Welt sendete.

"Selbst verschuldete Probleme"

Es gibt über den Islam die Theorie, dass zum Beispiel Ägypten vor 200 Jahren eine relativ liberale und unprüde Gesellschaft gewesen wäre, die seinerzeit Flaubert in seinem Reisetagebuch beschrieben hat. Erst die Unterdrückung durch die Kolonialmächte hätte einen repressiven Islam hervorgebracht. Was sagen Sie dazu?

Hamed Abdel-Samad: Meiner Ansicht nach zielt die Auffassung, die islamische Welt als Objekt der Geschichte zu betrachten und nicht als Akteur, in eine falsche Richtung. Auch einige deutsche Islamwissenschaftler vertreten diese These: Jahrhunderte lang hätte sich die islamische Welt quasi im friedlichen Dornröschenschlaf befunden und erst der Kolonialismus hätte die reaktionären Seiten hervorgebracht. Diese Erklärung ist einfach zu flach.

Die Entwicklung des Islamismus hat etwas mit dem muslimischen Weltbild, den selbst verschuldeten Problemen, den politischen Ansprüchen des Islam und der selbstgewählten Isolation der islamischen Welt zu tun: Man lehnte beispielsweise den Buchdruck ab und hat ganz selten einen europäischen Schriftsteller oder Wissenschaftler übersetzt.

Zwischen dem letzten Kreuzzug im 13 Jahrhundert und dem Napoleon Feldzug in Ägypten Ende des 18 Jahrhunderts liegen 508 Jahre, in denen die islamische Welt von westlichen Angriffen verschont wurde. Wo war die islamische Welt in dieser Zeit? Die Türken standen vor Wien und der Wahhabismus ist in Saudi Arabien entstanden, lange vor dem Kolonialismus. Natürlich hat der Westen Fehler gemacht, doch die Wurzeln der Probleme sind selbstgemacht.

Wie sieht heutzutage die Faschismus-Rezeption in den islamischen Ländern aus? Wie populär sind dort antisemitische Schriften wie "Die Protokolle der Weisen von Zion" und "Mein Kampf"?

Hamed Abdel-Samad: Schon bevor die Araber die Werke von Kant, Shakespeare und Rousseau übersetzten, hatten sie die gefälschten "Protokolle" und Hitlers "Mein Kampf" übersetzt. Während nur wenige Araber die Werke europäischer Literaten und Aufklärer lesen, sind die antisemitischen Schriften seit Jahrzehnten Dauerbestseller. Das ist ein Zeugnis von geistiger Armut und der Verhaftung in Verschwörungstheorien.

Im Zuge des Streits um die Mohammed-Karikaturen fielen die Reaktionen der islamischen Welt sehr harsch aus. Gibt es denn in den islamischen Staaten Zeitungen, die antisemitische Karikaturen abdrucken?

Hamed Abdel-Samad: Natürlich gibt es die. Es gibt auch antisemitische TV-Serien. Vor ein paar Jahren lief im ägyptischen Fernsehen die Serie "Fares Bela Gawad" ("Ein Ritter ohne Pferd"), welche die "Protokolle der Weisen von Zion" als Wahrheiten dargestellt und vermarktet hat. Einer der Schauspieler dieser Serie, der sich bis heute positiv auf die "Protokolle" bezieht, war kurz als potentieller Kulturminister im Gespräch.

Existieren rechtsradikale Tendenzen innerhalb der hiesigen islamischen Communities?

Hamed Abdel-Samad: Ja, Salafisten, Dschihadisten und die grauen Wölfe kann man als Rechtsradikale bezeichnen. Sie sind auch in Deutschland aktiv und leben von der Kluft zwischen Muslimen und der deutschen Gesellschaft. Sie wirken an Schulen und sind mancherorts sehr erfolgreich. Der Konflikt in Syrien befeuert natürlich vor allem die Salafisten. Sie haben es geschafft, hunderte junge deutsche Muslime in den Dschihad nach Syrien zu schicken.

Inwiefern ist es sinnvoll, die totalitären Eigenschaftsmerkmale einer 1400 Jahre alten Religion semantisch-begrifflich mit denen des Faschismus zu identifizieren, die in einer anderen Zeit und in einem anderen gesellschaftlichen Kontext entstanden sind?

Hamed Abdel-Samad: Klar kann man Mohamed und den Koran nicht als faschistisch bezeichnen, da sie zum 7. Jahrhundert gehören. Man kann sicherlich nicht mit den Maßstäben von heute Mohamed und den Koran beurteilen. Aber Mohamed und der Koran sind nicht im 7. Jahrhundert geblieben, sondern sind heute allgegenwärtig und haben politische Macht. Der deutsche und italienische Faschismus haben auch Wurzeln in der Geschichte beider Länder. Auch der moderne islamischer Faschismus speist sich direkt aus den Urquellen des Islam und beruft sich auf den politischen Anspruch dieser Religion. Im Glaube an einen heiligen Auftrag und an den Endsieg des Islam liegt die Stärke des Islamismus.

Aber der Faschismus war eine Reaktion auf verschiedene Modernisierungsprozesse in der Gesellschaft wie etwa Industriekapitalismus, technische Revolution, Demokratie, Arbeiterbewegung, während die Positionen des Islam ohne solche Binnenkonflikte entwickelt wurden. Der Faschismus ist religiöse Politik, der Islam eine Religion mit starken politischen Untertönen...

Hamed Abdel-Samad: Wie gesagt, beide Bewegungen sind aus den Trümmern des 1. Weltkrieges entstanden. Der Faschismus fand nur in Italien und Deutschland starken Widerhall, weil beide Länder in Widerstreit mit der Moderne und den anderen Staaten gelegen haben, weil sie selbst verspätete Nationen waren. Der Kuchen in der Welt war damals bereits zwischen anderen Mächten wie England und Frankreich aufgeteilt, sie wollten aber ebenfalls einen Platz an der Sonne haben, aber sie waren zu spät dran: Ihre Ansprüche passten nicht mehr zu der gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Diese Spannungen haben die Welt in den 1. und 2. Weltkrieg getrieben und in dieser Spannung leben wir heute immer noch: Man kann sowohl den Islam als verspätete Religion und die meisten islamischen Staaten als Nationen bezeichnen, welche die modernen staatlichen Institutionen viel zu spät eingeführt haben und somit in Spannung mit dieser Welt leben. Die Diskrepanz zwischen der Realität und den Ansprüchen schafft eine ungeheure Kränkung. Diese Kränkung haben Islam und Faschismus gemeinsam.

Wir erleben spätestens seit der Ära Bush auf Seiten des Westens einen radikalen Rechtsnihilismus (Irak-Krieg, Guantanamo, Abu Graib, NSA, etcetera.; hierzulande Kosovo-Krieg, Hartz IV etcera), der die Prinzipien der Aufklärung massiv untergräbt. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Demokratie nicht vom Islam, sondern von innen heraus, von den politischen und wirtschaftlichen Eliten des Westens gestürzt wird?

Hamed Abdel-Samad: Die Demokratie hat viele Feinde. Ich identifiziere diese Feinde in meinem muslimischen Lager. Die Feinde in Ihrem Lager können Sie oder andere identifizieren. Das ist eine gute Arbeitsteilung.