Vermögensungleichverteilung als Chance?

Ein Paradoxon zwischen Vermögensausgleich und zunehmender Vermögensungleichverteilung - Teil 1

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Im ersten Teil dieser dreiteiligen Artikelreihe, die sich mit der Vermögensungleichverteilung beschäftigt, wird gezeigt, dass die Theorie freier Märkte keine fortlaufend steigende Vermögensungleichverteilung zulässt. Trotz dieses Paradoxons wird sie weiterhin als ordnungs- und wirtschaftspolitische Referenz umkämpft.

In den letzten Jahrzehnten ist die Vermögensungleichverteilung in den Privathaushalten immer weiter gestiegen.1 Einen Grund für diese Entwicklung findet man in der ungleichen Einkommenssituation der Haushalte. Die OECD misst diese Ungleichheit seit Jahrzehnten und dabei hat sie folgenden Trend empirisch beobachtet. In der folgenden Abbildung ist abzulesen, dass die Einkommensschere aus dem Jahr 1980 zwischen gut und schlecht verdienenden Haushalten der OECD Länder immer weiter auseinander klafft. Die Einkommensungleichheit von 1980 wuchs bis zum Jahr 2010 nochmals um mehr als 10% an.

Quelle: OECD

Dass es seit geraumer Zeit eine Spaltung zwischen Armen und Reichen gibt, ist nichts Neues. Es stellt sich dabei eher die folgende Frage: Ist die fortlaufend-steigende (!) Vermögensungleichverteilung der letzten Jahrzehnte für die künftige Entwicklung der monetär organisierten Gesellschaften von Relevanz?

Die Wirtschaftspolitiker nutzen in der Regel zur Beantwortung dieser Frage zwei Paradigmen, die sich seit Jahrzehnten im Dauerstreit befinden. Die Theorie freier Märkte2 ist eines dieser Paradigmen3 und besagt, dass eine Vermögensungleichverteilung völlig in Ordnung sei und aus ihr keine volkswirtschaftlichen Schäden folgen. Bemerkenswert ist, dass die Theorie freier Märkte bei genauerer Betrachtung keine Begründung für eine fortlaufend-steigende (!) Vermögensungleichverteilung zulässt.

Die Theorie freier Märkte beschreibt, dass sich die Haushalte und die Unternehmen in einem Austauschverhältnis befinden. Die Haushalte verkaufen ihre Arbeitskraft an die Unternehmen und dafür bekommen sie ihren Lohn. Je mehr die Unternehmen also produzieren und Arbeitskräfte einstellen, umso besser. Von dem Lohn kaufen die Haushalte den Unternehmen die Konsumgüter ab, die somit Einnahmen erzielen.

Dieses Austauschverhältnis kreist um ein Marktgleichgewicht, das durch einen Preismechanismus angesteuert wird. Der steigende Preis eines Gutes bedeutet, dass es knapper angeboten werden kann und somit seine Nachfrage abnimmt. Ein fallender Preis eines Gutes bedeutet, dass das Gut im Überfluss angeboten werden kann und somit seine Nachfrage steigt. Wenn exakt so viele Güter nachgefragt werden, wie angeboten werden, spricht der Markttheoretiker von einer Markträumung. Der Markt kann durch diese Preismechanismus ein Maximum an Befriedigung der Bedürfnisse der Haushalte mit knappen Ressourcen bewerkstelligen, die effizient und effektiv eingesetzt werden. Sollten die Haushalte einen Teil ihrer Löhne nicht für die Konsumgüter ausgeben und zu viel sparen, bleiben die Unternehmen auf ihren Konsumgütern sitzen. Dadurch fällt der Preis der Konsumgüter und die Nachfrage kann wieder steigen. Die Anhänger der Theorie freier Märkte finden den Konsumverzicht nicht weiter problematisch, da das Geld, das gespart wird, als Kapital über den Finanzsektor wieder an die Unternehmen fließt.

Ob die Haushalte sparen, hängt vom Kapitalmarktzins ab. Ist dieser hoch, so lohnt sich das Sparen. Ist dieser niedrig, ist es besser, sein Geld für die Konsumgüter auszugeben, was die Konsumgüternachfrage ansteigen lässt. Ein steigendes Überangebot von Kapital durch gestiegenes Sparvermögen mindert den Zins, also den Preis für das Kapital im Finanzsektor, sodass die Unternehmen wiederum mehr Kapital aus dem Finanzsektor nachfragen werden und mehr in ihre Produktion investieren können. Sparen die Haushalte weniger und fragen mehr Konsumgüter nach, so steigt der Zins für Kapital, da es verknappt und so wird es auch weniger nachgefragt von den Unternehmen. Für die Markttheoretiker ist der Finanzsektor also auf lange Sicht ein Durchlaufposten für steigendes Sparvermögen. 4

Der freie Markt soll einen sich selbst regulierenden Vermögensausgleich besitzen

Wenn die Haushalte also Vermögen aufbauen, so die Überlegung, dann wird dieses Vermögen durch den Finanzsektor dem Unternehmenssektor auf indirekte Weise zugeführt im Gegensatz zur direkten Zuführung durch die Konsumgüternachfrage. Über beide Wege findet das Geld seinen Weg wieder zu den Unternehmen, die mit ihm ihre Produktion erweitern.

Dieser Zusammenhang umschreibt einen der zentralen Lehrsätze der Markttheoretiker, der meint, dass das Investitionsverhalten der Unternehmen dem Sparverhalten der vermögenden Haushalte entspricht. Die Unternehmen können mit dem Kapital aus dem Finanzsektor ihre betriebswirtschaftliche Aktivität ausbauen und damit fragen sie mehr Arbeitskräfte nach, wodurch die Löhne steigen. Folglich bieten die Unternehmen mehr Konsumgüter an, die die Arbeitskräfte der Haushalte durch den Lohnanstieg auch kaufen können.

Damit ist ein weiterer grundlegender Lehrsatz der Marktheoretiker angesprochen, der unter dem Begriff des Sayschen Theorems bekannt ist. Er meint, dass die Unternehmen ihre Güter in der Summe zu dem Wert absetzen können, den sie für die Produktion der Konsumgüter bezahlt haben. Je mehr also der Unternehmenssektor mithilfe der Einnahmen aus der Konsumgüternachfrage oder des Kapitals aus dem Finanzsektor produziert, desto mehr Produktionskosten fließen in Form von Löhnen und sonstigen Vergütungen zu den Haushalten. Je höher die Löhne und Vergütungen für die Arbeitskräfte sind, desto mehr Konsumgüter können die Haushalte wiederum kaufen oder Geld sparen.

Dieser letztgenannte theoretische "Wohlfahrtseffekt" wird in den USA unter dem Begriff "Trickle Down" erörtert. Die ärmeren Haushalte profitieren letztlich von hohen Vermögen reicher Privathaushalte, da die Unternehmen, ihre Produktion durch das Kapital aus dem Finanzsektor erweitern können. Dafür brauchen sie dann auch mehr Arbeitskräfte. Somit führt eine steigende Nachfrage an Arbeitskräften auch wieder zu steigenden Löhnen bzw. Vergütungen. Auf diese Weise wird sich der Wirtschaftskreislauf schließen und es darf auf Dauer keine fortlaufend steigende (!) Vermögensungleichverteilung geben, da die ärmeren Haushalte durch die Wachstumsimpulse der reicheren Haushalte ihre Einkommen erhöhen. So können auch die ärmeren Haushalte mehr ausgeben, sparen bzw. Vermögen aufbauen und der Abstand zwischen armen und reichen Haushalten wird auf diese Weise verringert. Der freie Markt verfügt also über einen selbst regulierenden Vermögensausgleich!

Damit ist die Erklärung aus Sicht der Theorie freier Märkte geliefert, warum es eine fortlaufend-steigende (!) Vermögensungleichverteilung gar nicht geben darf. Die fortlaufend steigende (!) Vermögensungleichverteilung ist eine Störung im markttheoretischen Wirtschaftskreislauf.