Wie man mit Bakterien Supernovae nachweisen kann

X-ray. Bild: NASA/CXC/MIT/L.Lopez et al.; Infrared: Palomar; Radio: NSF/NRAO/VLA

Forscher der TU München finden Supernova-Eisenisotop in fossilen Überbleibseln von Magnetbakterien und womöglich einen effektiven biologischen Marker für den Nachweis archaischer Supernovae in Erdnähe

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Schon seit vielen Dekaden suchen Astronomen nach Mitteln und Wegen, Supernova-Explosionen nachzuweisen, die sich vor langer Zeit in relativer Nähe zur Erde ereignet haben. Hierbei zeichnet sich ein neues Verfahren ab, das auf einer Idee beruht, die beim ersten Lesen fast schon ein wenig absonderlich anmutet, gleichwohl beste Chancen hat, sich in der Astronomie zu etablieren. Wenn im nächsten Jahr die Versuchsreihen in der Nähe von München hierzu abgeschlossen sind, verfügen Astronomie-Historiker weltweit über eine zuverlässige biologische Signatur, mit der sich kosmo-archaische und erdnahe Supernova gezielt beweisen und dokumentieren lassen.

Der stellare Codex kennt keine Gnade. Der Exitus aller Sonnen dieses Universums ist programmiert. Hat ein Stern seine Energievorräte aufgebraucht, gibt es für ihn kein Entrinnen. Dann entscheidet allein die Masse über seine Todesart.

Masse macht poststellaren Unterschied

Ohne den nötigen Kernbrennstoff, den der Stern für die Umwandlung von Wasserstoff in Helium benötigt, lässt sich der drohende Gravitationskollaps nicht länger in Schach halten. Sein Untergang ist unausweichlich. Während seines Zusammenbruchs vollziehen sich viele komplizierte Prozesse gleichzeitig. Am Ende zerreißt es den Stern in einer gewaltigen Explosion. Dabei schleudert er mit 20.000 Kilometer pro Sekunde seine mit schweren Elementen angereicherten Gashüllen ins Universum hinaus. Von diesen Supernovae vom Typ I und II und weiteren Subtypen haben sich inzwischen viele einen festen Platz in astronomischen Lehrbüchern und Katalogen erobert.

Vom einstigen sich über viele Millionen Kilometer erstreckenden Riesenstern selbst bleibt nur eine kleine, geradezu winzige, sich langsam abkühlende Sternenleiche von einigen Tausend Kilometern Durchmesser übrig, in der die Atomkerne dicht an dicht gedrängt sind. Astronomen nennen solche Gebilde in ihrer märchenhaften Sprache Weiße Zwerge. Unsere relativ massearme Sonne etwa bläht sich erst in ferner Zukunft zu einem Roten Riesen auf, um ihr Schicksal eben als einen solchen Weißen Zwerg zu vollenden und zu einem massiven kleinen Gebilde zu mutieren.

Massereiche Sterne mit mindestens acht und maximal 20 Sonnenmassen hingegen zelebrieren ihren Exitus weitaus theatralischer. Sie verabschieden sich mit einer gewaltigen, sehr lichtstarken Explosion und verlieren sich in einem extrem kompakten Körper, bei dem alle Neutronen dicht an dicht liegen (Neutronenstern) oder enden in einem Schwarzen Loch respektive als Schwarzes Loch.

Hubble-Bild von Sirius-B, einem Weißen Zwergstern, der 8,6 Lichtjahre von uns entfernt ist und den hellsten Stern am Nachthimmel begleitet: Sirius A. Bild: NASA, ESA, H. Bond (STScI) and M. Barstow (University of Leicester)

60Fe als außerirdisches Abfallprodukt

Bei der Metamorphose eines sterbenden Sterns in eine Supernova emittiert die frei werdende Energie im weißen Licht des Spektrums so intensiv wie Hundert Milliarden Sonnen gleichzeitig. Für einige Tage erstrahlt die Supernova wie eine Galaxie. Im Zuge der stellaren Explosion setzt der alte Stern jene chemischen Ingredienzien frei (Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und noch schwere Elemente), die in den Küchen der vorangegangenen Sterngenerationen gekocht wurden. Supernovae bereichern das Universum aber mit noch mehr Chemie, weil während der Explosion weitere Elemente entstehen, die in dem Stern zuvor nicht synthetisiert wurden.

Eines dieser charakteristischen Supernova-Produkte ist das radioaktive Eisenisotop 60Fe, das gemessen am Alter der Erde und infolge seiner Halbwertszeit von 2,62 Millionen Jahren auf unserem Planeten nicht vorkommt. Sollte sich irgendwann einmal vor langer Zeit in Erdnähe eine Supernova ereignet haben, müsste das Eisenisotop 60Fe irgendwann durch die irdische Atmosphäre gelangt sein und sich in den Meeren verflüchtigt oder sich in hochkonzentrierter Form irgendwo abgelagert haben. Schließlich wird nach einer Supernova-Explosion sehr viel 60Fe ins All geschleudert.

Bildkomposition des Supernova-Überrestes SN 1006 im Radiobereich (Rot), im Röntgenlicht (Blau) und im sichtbaren Licht (Gelb). Bild: Radio: NRAO/AUI/NSF/GBT/VLA/Dyer, Maddalena & Cornwell, X-ray: Chandra X-ray Observatory; NASA/CXC/Rutgers/G. Cassam-Chenaï, J. Hughes et al., Visible light: 0.9-metre Curtis Schmidt optical telescope; NOAO/AURA/NSF/CTIO/Middlebury College/F. Winkler and Digitized Sky Survey

Einer Extrapolation zufolge könnte eine durchschnittliche Supernova mit der etwa 20-fachen Masse der Sonne, die sich in 100 Lichtjahren ereignet hat, eine Druckwelle generieren, bei der das freigesetzte 60Fe gleichmäßig in alle Richtungen verstreut wird. Und zwar in einer Intensität, dass in einem Zeitraum von etwa zehntausend Jahren mehrere hundert Millionen Atome dieses Isotops pro Quadratzentimeter auf die Erde niedergehen würden. "Bei einer Ausbreitungsgeschwindigkeit von einigen tausend Kilometern pro Sekunde wären diese Atome allerdings einige Millionen Jahre unterwegs gewesen. Aufgrund der hohen Halbwertszeit des 60Fe überlebt ein wesentlicher Anteil der Atome die lange Reise", heißt es in einer alten DPG-Pressemeldung, die sich auf eine Studie aus dem Jahr 1999 bezieht.

Magnetosome als Schlüssel

Für den Astro-Kernphysiker Shawn Bishop von der Technischen Universität München war all dies Inspiration genug, sich mit einem ungewöhnlichen Bakterium zu befassen, das infolge seiner kulinarischen Vorliebe für Eisen ein ideales Speichermedium für das Supernova-Isotop sein und als biologischer Supernova-Marker herhalten könnte, mit dem sich kosmo-archaische und erdnahe stellare Explosionen dokumentieren lassen.

Magnetospirillum gryphiswaldense. Bild: TU München

Magnetospirillum gryphiswaldense, so der wenig appetitliche Name des bizarren Einzellers, fühlt sich im Schlamm von Gewässern zuhause. Es lebt wie viele magnetotaktische Mikroorganismen in den oberen Sedimentschichten der Ozeane und reichert dort im Zellinnern mit Vorliebe Eisen in winzigen Magnetit-Kristallen (Fe3O4) an.

Derlei Strukturen sind pro Kristall etwa nur 80 Nanometer groß (1 Nanometer = 1 Millionstel Millimeter) und formieren sich kettenförmig zur Magnetosomen, die selbst wiederum von einer biologischen Membran umgeben sind. Damit sich in Magnetospirillum gryphiswaldense überhaupt Magnetosome bilden können, muss das Bakterium große Mengen Eisen aus seiner Umgebung absorbieren. Hat es genug davon in die Zelle eingebaut, kann es sich nahezu perfekt am Erdmagnetfeld orientieren und im Schlamm von Gewässern unterscheiden, wo unten oder oben ist und in welchen Wasserschichten günstige Wachstumsbedingungen vorherrschen. So gesehen wirken die eisenhaltigen Magnetosome als zellulärer Mini-Kompass, der dafür sorgt, dass sich die komplette Bakterienzelle einer Kompassnadel gleich im Erdmagnetfeld ausrichtet.

Probeentnahme am Seebohrkern

Um zu prüfen, ob sich Magnetospirillum gryphiswaldense als Supernova-Marker eignet, begab sich Bishop mit seinem Team ins Labor und experimentierte mit dem Magnetbakterium. Dabei stellten sie fest, dass künstlich produziertes 60Fe im erwarteten Verhältnis in die Magnetosomen eingebaut wird, und dass sich dieser Vorgang mit dem Beschleuniger-Massenspektrometer (AMS) am Maier-Leibnitz-Laboratorium in Garching bei München zweifelsfrei nachweisen lässt.

Auch das 2002 in den Orbit geschossene und dort immer noch aktive Gammastrahlenobservatorium INTEGRAL der ESA/NASA/RKA entdeckte 2007 völlig unerwartet in der Galaxis radioaktives Eisen, sprich 60Fe. Die Eisenatome waren gleichwohl außerhalb der Sterne verteilt und fanden sich im interstellaren Gas. 60Fe scheint offenbar für einige Überraschungen gut zu sein. Bild: ESA. Illustration by D. Ducros

Nunmehr machten die Forscher die Probe aufs Exempel und untersuchten 1,7 Millionen bis 3,3 Millionen Jahre alte Abschnitte eines Seebohrkerns im Pazifischen Ozean, der bis in eine Tiefe von 4000 Meter reicht. Nachdem sie dort mehrere Hundert Proben mit einer Masse von je rund vier Milligramm entnommen hatten, analysierten sie die Überreste der Bakterienfossilien mit dem AMS in Garching. Zu ihrer Freude konnten sie die Magnetitkristalle aus den urzeitlichen Mikroben lösen und in einer 2,2 Millionen Jahre alten Probe tatsächlich Spuren des seltenen Eisenisotop 60Fe finden. "Es liegt nahe, dass es sich dabei um die Relikte von Magnetit-Ketten handeln, die von Bakterien auf dem Meeresboden gebildet wurden, als ein Supernova-Regen auf sie niederging", erklärt Bishop.

Vielversprechende Daten folgen noch

Bislang hat Bishop seine Ergebnisse nur auf einer Tagung der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft (APS) im April des letzten Jahres in Denver (Colorado/USA) vorgestellt, aber noch in keinem Fachmagazin thematisiert. Allerdings spricht vieles dafür, dass sich das Supernova-Eisen zu einer Zeit in den fossilen Magnetosomen von Magnetospirillum gryphiswaldense eingenistet hat, als der Homo habilis in den Savannen Afrikas gerade seine Blütezeit erlebte und als erster Hominide einfache Steinwerkzeuge anfertigte.

Im Innern des Tandem-van de Graaff Beschleunigers, dem Herzstück des Beschleunigerlabors am Maier-Leibnitz-Laboratorium in Garching bei München. Bild: LMU München

Welcher Stern jedoch vor mehr als 2,2 Millionen Jahren das Zeitliche segnete und zur Supernova wurde, ist unbekannt. Selbst mit Blick auf das reale Vorkommen des radioaktiven Eisenisotops gebe es keine hundertprozentige Garantie, betont Bishop: "Mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent konnten wir 60Fe nachweisen."

Dies könnte sich aber bald ändern. Denn nach einer kürzlich beendeten zweiten Tiefseebohrkern-Analyse läuft das Beschleuniger-Massenspektrometer in Garching für die nächste Probe wieder auf Hochtouren.

Es ist insgesamt unsere dritte Messrunde an diesem Bohrkern. Und wir benötigen noch drei weitere Strahlzeiten mit unserem Doppelbeschleuniger, um alle Messungen abzuschließen. Wir müssen noch viele Proben untersuchen

Shawn Bishop gegenüber Telepolis

Bis die astrophysikalische Bedeutung des Bakteriums endgültig geklärt sei, müsse man sich noch etwas in Geduld üben, weil derzeit viele andere Wissenschaftlerteams den Tandembeschleuniger für ihre Studien nutzen. "Könnten wir diesen einfach für fünf bis sechs Wochen 'entführen', wären wir mit unserem Projekt weitaus früher fertig", scherzt Bishop. Im Frühsommer 2015 seien aber alle Messungen abgeschlossen.

Ich möchte nur so viel sagen: Die Daten, die wir von dem zweiten Tiefseebohrkern haben, sehen sehr vielversprechend aus.