Eurozone bleibt Spielball des Dollars

Der Wirtschaftsweise Bofinger fordert mit guten historischen Gründen die EZB auf, am Devisenmarkt zu intervenieren, weil ein starker Euro schlecht für die Eurozone ist

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Wenn der "Wirtschaftsweise" Peter Bofinger geldpolitische Maßnahmen gegen den starken Euro fordert, sind seine Argumente kaum von der Hand zu weisen. Denn ganz zweifellos werden, wie er sagt, die "Bemühungen der Peripherieländer, wieder wettbewerbsfähiger zu werden, indem sie etwa ihre Arbeitskosten senken, durch den starken Euro konterkariert". Das ist freilich ein Problem, mit dem Europa konfrontiert wird, seit die westliche Welt 1973 von fixen zu marktabhängigen Wechselkursen gewechselt ist.

Durch den Euro, der auch aufgrund dieser Problematik eingeführt wurde, hat sich die Lage jedoch nur für Deutschland verbessert, während sich die Staaten der Peripherie dadurch neue Schwierigkeiten aufgehalst haben, die offenbar noch schwerer zu bewältigen sind als die alten. So hatte ein schwacher Dollar schon vor dem Euro stets zu einem europäischen Konjunktureinbruch geführt, nur hatten die Devisenmärkte damals andere Schlüsse für die "weichen" südlichen Währungen als für die "harte" D-Mark gezogen.

Die überaus solide D-Mark wurde als Fluchtwährung genutzt, während die südlichen Währungen und der Franc weiter nachgaben. Das war deshalb besonders problematisch, weil die gemeinsame Agrarpolitik der EU europaweit einheitliche Preise verlangte, die durch Wechselkursschwankungen empfindlich gestört wurden. Die EU-Staaten hatten daher strenge Währungsabkommen getroffen, bei denen die Kurse nur innerhalb einer geringen Bandbreite schwanken durften, was bei jedem Schwächeanfall des Dollar zu schweren Zerwürfnissen innerhalb Europas führte. Denn typischerweise wurde der Bundesbank dann vorgeworfen, aufgrund ihrer traditionellen Hartwährungspolitik zu hohe Zinsen festzulegen, während die BuBa den südlichen Staaten Schlendrian und Verschwendung nachsagte.

Trotz wilder Ausschläge findet sich der Dollar seit den 1970er Jahren im Abwärtstrend (Handelsgewichteter Dollar-Wechselkurs). Grafik: St Louis Fed

Durch den Euro hat sich das Problem indes auf eine andere Ebene verlagert. Das jedenfalls nicht zugunsten der südlichen Peripherie, die den Beitritt zur Eurozone großteils nur deshalb geschafft hatte, weil der Dollar in den Jahren, in denen die Maastricht-Bedingungen zu erfüllen waren, von seinem absoluten Tiefststand im Jahr 1995 um knapp die Hälfte angestiegen war. Und wenn sich Europa überhaupt an wirtschaftlich halbwegs angenehme Zeiten erinnert, dann fallen diese stets mit einem starken Dollar zusammen, der nicht nur den Exporteuren gute Preise und hohe Umsätze verschaffte, sondern auch im Inland den Druck außereuropäischer Konkurrenten erheblich gemindert hat.

So war noch 1998 allgemein angenommen worden, dass neben Deutschland und Frankreich gerade noch einige mittel- und nordeuropäische Länder von Anfang an am Euro teilhaben sollten. Doch hatten aufgrund des ungewöhnlich starken Dollar in den zwei Jahren vor der Einführung auch Belgien, Irland, Portugal, Spanien und mit einigen Tricks sogar Griechenland und Italien die Drei-Prozent-Hürde geschafft. Die südlichen Länder mussten aber ihre lange geübte Praxis aufgeben, ihre internen Faktorpreiserhöhungen durch Währungsabwertungen auszugleichen, was vorerst durch niedrige Zinsen und eine starke Kreditexpansion überdeckt wurde.

Deutschland war hingegen seit einem halben Jahrhundert daran gewöhnt, auf einen schwachen Dollar mit Lohnzurückhaltung und Produktivitätssteigerungen zu reagieren, weshalb nun vor allem die südlichen Länder an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Denn nachdem der Dollar ab 2002 immer schwächer wurde unterzog sich nur Deutschland einer ernsten Abmagerungskur, die allerdings doppelt ertragreich war, weil die europäischen Konkurrenten nun nicht mehr auf gewohnte Weise dagegenhalten konnten.

Pünktlich nach jedem Höchststand des Euro landet Europa in der Rezession. Grafik: St Louis Fed

In der Zwischenzeit fiel der Dollar weiter und erreichte im Sommer 2008 mit knapp 1,60 Dollar je Euro sein All-time-low. Kurz zuvor hatten in den USA Immobilienpreise und Börsenkurse absolute Höchstpreise erziel, weshalb auch die europäischen Finanzmärkte längst schon Boomzeiten ausgerufen hatten. Nur war in der europäischen Realwirtschaft davon kaum etwas zu bemerken, was allgemein mit "strukturellen Schwächen" begründet wurde, die etwa in zu starken Regulierungen, unflexiblen Arbeitsmärkten und zu hohen Steuern gesehen wurden, aber kaum im starken Euro.

Vielleicht wurde dieser Faktor aber auch deshalb kaum beachtet, weil der Dollar mit dem Ausbruch der Finanzkrise (und der damit verbundenen "Flucht in den sicheren Hafen" der USA) wieder deutlich stärker wurde. Dadurch ließe sich aber auch der rätselhafte Sachverhalt erklären, dass der Konjunktureinbruch in Europa trotz der "schwersten Finanzkrise seit dem 2. Weltkrieg" zuerst nicht übermäßig schlimm ausgefallen war. Dafür spricht, dass sich der Dollar ein Jahre später zu seiner nächsten Schwächephase herabgelassen hatte, woraufhin die Schonzeit für Europa vorbei und die erste Phase der Eurozonenkrise einsetzte. Das drückte nun aber den Außenwert des Euro, und im Gleichschritt mit dessen Abwertung gingen auch die Spannungen in der Eurozone zurück, was freilich nur bis zum nächsten Dollar-Einbruch währte. Als der Dollar im Jahr 2011 neuerlich auf knapp 1,50 abgesackt war, landete ganz Südeuropa in einer Krise, die von den vielen "Experten" als unbewältigbar betrachtet wurde. Freilich erwies sich auch das als Fehleinschätzung, denn nachdem der Dollar im Sommer 2012 wieder auf 1,20 geklettert war, galt auch die Eurozonenkrise als beendet.

Nun soll hier keinesfalls Korrelation mit Kausalität verwechselt werden, nur ist der Euro seither wieder nach oben geklettert und bereits so knapp an den Problembereich von 1,40 herangekommen, dass EZB-Präsident Mario Draghi zuletzt schon recht abstruse Betrachtungen anstellen musste, um den Höhenflug einzubremsen. So richtig ging es mit dem Euro freilich erst am Freitag letzter Woche nach unten, denn da wurde bekannt, was wohl bereits als Folgeschäden der jüngsten Dollarschwäche betrachtet werden muss - nämlich enttäuschende Zahlen vom deutschen Außenhandel und der italienischen Industrieproduktion, die auch in Frankreich gerade erst negativ überrascht hatte.

Warum nicht mit Gelddrucken beliebig hohe Dollarkäufe tätigen, um den Eurokurs zu drücken?

Da sich der Dollar aber bereits seit vergangenem Sommer auf Talfahrt befindet und die negative Wirkung erfahrungsgemäß recht rasch eintritt, hätten die Wirtschaftsexperten vielleicht längst schon etwas skeptischer sein sollen. Und wenn es denn so ist, dass ein schwacher Dollar zwingend zu schwachem Wachstum in Europa führt, sollte Bofingers Aufruf wohl nicht so einfach beiseite gefegt werden, wie es gerade geschieht. Bofinger fordert:

Die EZB müsste eben in großem Stil amerikanische Staatsanleihen kaufen - die dafür nötigen Euro-Beträge kosten sie nichts, und auf die US-Anleihen gäbe es sogar noch Zinsen.

So hat sich China durch Wechselkursmanipulationen mittlerweile gut 15 Jahre mit hohem Wachstum erkauft, und schon vor zehn Jahren hatten US-amerikanische Ökonomen vorausgesagt, dass Europa früher oder später dazu werde übergehen müssen, den Euro mit Dollarkäufen zu schwächen - wofür aus Sicht der USA wohl kein Zeitpunkt besser geeignet wäre als gerade jetzt, da China seine Käufe vor einem halben Jahr drastisch reduziert hat und auch die US-Notenbank ihre Anleihenkäufe zurückfährt.

China zeigt allerdings auch auf, wohin eine Interventionspolitik führen kann. So sitzt Chinas Zentralbank jetzt auf einem gewaltigen Berg von Dollar-Papieren, die sie nur unter höchster Diskretion verkaufen kann, will sie keinen Dollar-Crash provozieren, von dem sie selbst am stärksten negativ betroffen wäre.

Hier stellt sich aus europäischer Sicht die Frage, was geschehen würde, wenn die EZB mit Euros, die sie selbst zum Nulltarif produziert hat, Dollars ankauft, die daraufhin an Wert verlieren. Denn nach den gültigen Regeln der EZB gehen derartige Verluste eins zu eins zulasten ihres Ergebnisses und in der Folge zulasten des Eigenkapitals. Das würde zuerst die Ausschüttungen an die Zentralbanken der Mitgliedsländer reduzieren, die dann ihrerseits weniger an ihre Staatsbudgets ausschütten könnten. Würden die Verluste dann das sehr geringe Eigenkapital der EZB bestimmte Mindestschwellen unterschreiten lassen, könnte das zu Nachschusspflichten führen, was bei den budgetär direkt betroffenen Mitgliedsstaaten dann wohl kaum recht gut ankommen würde.

In China besteht dieser budgetäre Konnex hingegen nicht, so dass es lange Zeit auch niemanden gestört hatte, dass China durch die stetige Yuan-Aufwertung alljährlich plangemäß drei bis fünf Prozent auf seine Devisenbestände abschreiben musste.

Allerdings ist Europa von vornherein in einer anderen Situation, denn während China einen langsam fallenden Dollarkurs orchestrieren wollte, sollte die EZB - so wie die Schweiz gegenüber dem Euro - eine absolute Untergrenze einziehen, die sie um jeden Preis verteidigen würde. Dazu müsste sie nur alle Dollars aufkaufen, die unter einem bestimmten Preis angeboten werden, woraufhin niemand Dollars noch billiger verkaufen würde. Da der EZB Euros unbegrenzt zur Verfügung stehen, kann sie dies auch jederzeit durchsetzen, sofern ihre institutionellen Verhältnisse dies erlaubten. Würde sie diese Politik aber konsequent durchziehen, dann könnte der Dollar nicht ins Minus rutschen und die EZB auch nicht in die Verlustzone geraten, sondern könnte sogar Kursgewinne bilanzieren, sollte der Dollar noch stärker werden.

Die Frage ist nur, ob das gelingt - und das ist ausschließlich eine Frage, wozu die EZB bereit ist. Denn tatsächlich kosten die EZB die eigenen Euros "nichts", wie Bofinger betont hat. Nur trifft das - anders als in China - nicht für die Mitgliedsländer zu, die direkt von EZB-Verlusten betroffen sein könnten, aber über keine eigene Gelddruckmaschine mehr verfügen. Das könnte wiederum dafür sorgen, dass der EZB eben nicht erlaubt wird, für Wechselkursmanipulationen ausreichende Summen in die Hand zu nehmen, die dann nämlich jedenfalls "unbegrenzt" sein müssten, soll diese Politik erfolgreich sein. Denn andernfalls müsste die EZB wohl tatsächlich gewaltige Mengen in den Markt pumpen, würde dadurch aber kaum den gewünschten Effekt erzielen.

Blöffen am Pokertisch?

Vielleicht lernt Europas aber aus den Erfahrungen der Schweiz, die bei ihrer Franken-Limitierung anfangs verschämt herumgenudelt hatte, was Unmengen an Geld verschlang. Erst als die Schweizerische Nationalbank ihre unbedingte Verteidigungsbereitschaft erklärt hatte und das auch glaubhaft machen konnte, waren die Spekulationen plötzlich so gut wie beendet und die SNB musste kaum noch weitere Mittel einsetzen; also genau so, wie auch nach der Erklärung der EZB "notfalls unbegrenzt" strauchelnde Anleihen aufzukaufen, keinerlei Käufe erforderlich waren.

Interveniert die EZB hingegen diskret und ohne glaubwürdiges Commitment, dann dürften in ihren regelmäßigen Dollar-Bestandsmeldungen bald gewaltige Beträge aufscheinen. Dann ist jedoch absehbar, wie sehr die konservativen Kräfte zum Aufstand blasen und das Experiment für gescheitert erklären werden. Nicht zuletzt zeigt China auch auf, wie schwer es ist, massive Interventionen auf Dauer zu "sterilisieren", wie es vermutlich auch die EZB versprechen würde. Darunter wird verstanden, die Geldmengenausweitung, mit der die Dollars gekauft wurden, an anderer Stelle auszugleichen, so dass die Zentralbank-Geldmenge unter dem Strich konstant bleibt.

Hier stellt sich freilich die Frage, in wie weit diese Euros in ausländischen Devisenreserven landen und der Eurozone entzogen werden. Dann könnte im schlechtesten Fall die EZB Europa ohne Not die Kredite kürzen, während sich im besten Fall das Luxusproblem ergibt, dass die Euros als Privatkredite in Europa landen und das Wachstum so sehr antreiben, dass Löhne und Güterpreise stark anziehen. Aber auch wenn die EZB dann auf die Bremse steigen müsste - was angesichts der seit Jahren stagnierenden Privatkredite ja nicht wirklich als drängendes Problem erscheint - hätte das der Bevölkerung endlich mal wieder gute Zeiten verschafft, die zwecks Geldwertstabilisierung verhängten drastische Maßnahmen jedenfalls in einer weit besseren konjunkturellen Situation erfolgen könnten, als sie derzeit absehbar ist.

Nur erscheint dieses Szenario wohl noch weniger realistisch als jenes, in dem es der EZB gelingen würde, einen tatsächlich glaubhaften Dollar-Plafond einzuziehen. Aber nur dann würde sich der Aufwand einer Währungskontrolle in so engen Grenzen halten können, dass diese auf Dauer zustimmungsfähig bliebe. Am schlimmsten wäre es hingegen, würde die EZB zwar ihre Interventionsbereitschaft verkünden, aber dabei aus falsch verstandener Transparenz beispielsweise kommunizieren, welche Summen sie dafür aufzuwenden gedenkt. Denn dann wäre ihr Scheitern garantiert, das dann wohl kaum zur Folge hätte, dass sie künftig konsequenter handelt, sondern es würde vermutlich das Ende der nötigen Interventionspolitik bedeuten.