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Berichte der UN- und OSZE-Beobachter: wenig hilfreich zur Klärung der Situation in der Ukraine

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Wird eine Situation von Gewalt beherrscht, von Auseinandersetzungen, in denen Machtinstinkt, die Lust am Kampf, Durchsetzungsvermögen, Propaganda und überhaupt der Sinn für Kriegslisten zählen und Behutsamkeit als Schwäche gilt, die zur Seite stehen muss, dann ist die Stunde für seltsame Kämpfer-Heroen gekommen, die im Licht einer auf einmal so großen öffentlichen Aufmerksamkeit eine zuvor nicht gekannte Wichtigkeit bekommen. Wie zum Beispiel der "Volksbürgermeister" von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow. Er verkündete nun laut RT, dass ukrainische Truppen schwere Verluste im Osten der Ukraine erlitten hätten. Im Zweitraum zwischen dem 2. und dem 12. Mai seien 650 Personen getötet oder verwundet worden.

Einzelheiten verrät RT nicht. Wieviele genau getötet wurden, ob die Getöteten oder Verwundeten allesamt Soldaten waren oder ob sich darunter auch zivile Personen befanden, von wem sie getötet oder verwundet wurden, unter welchen Umständen dies passierte, das alles erfährt man nicht. Das Selbstverständnis der "Selbstverteidigungskräfte" im Osten der Ukraine legt die Lesart nahe, dass sämtliche Gewaltakte aus einer defensiven Haltung resultieren. Die Aggression kommt demnach vor allem aus Kiew, von einer Regierung ohne jede Legitimität, die von rechten, zu jeder Gewalt bereiten Kräften getragen wird.

Dezidierte Parteigänger und Berichterstattung

Wer Berichte über die Ukraine liest - vorausgesetzt, man nimmt die Positionen von beiden Seiten, die der Regierung in Kiew und die ihrer Gegner, zur Kenntnis - kennt diese Perspektive. Legt man normale Kriterien an, so wird man der Aussage von Ponomarjow gegenüber skeptisch sein, er neigt zu Übertreibungen; der vor einigen Wochen in Slawjansk festgenommene britische Journalist Graham W. Phillips (vgl. Kriegsgefangene oder "ungebetene Gäste"?) schildert1 ihn als jemanden, der von kritischer Berichterstattung nicht viel hält, aber viel von scharfen Freund/Feind-Unterteilungen. Er ist ein dezidierter Parteigänger, der Kritiker einsperren lässt und dem Gewalt nicht fremd ist.

Von Graham W. Phillips, der für RT arbeitet und in Slawjansk als Reporter unterwegs ist, ist zu erfahren, dass die Stadt Slowjansk die ganze gestrige Nacht über unter Granatenbeschuss stand. In westlichen Berichten sucht man vergeblich nach genaueren Nachrichten darüber.

Das ist das Problem, dem der Leser ausgeliefert ist, wenn er mit dem Schlagabtausch auf höherer diplomatischer Höhe konfrontiert ist. Wenn etwa Moskau Kiew zur sofortigen Einstellung von Kämpfen im Osten der Ukraine auffordert. Nur Propaganda? Nur der trickreiche Versuch, die Schuld der anderen Seite zuzuweisen? Immerhin, die EU droht erneut mit Sanktionen gegen Russland, falls die russische Regierung nicht dazu imstande ist, die "pro-russischen Kräfte" im Osten der Ukraine in Schranken zu halten. Für die EU ist Putin bekanntlich die Schlüsselfigur, die solches bewerkstelligen könnte.

"Alarmierende Verschlechterung der Menschenrechtssituation im Osten der Ukraine"

Die gleiche Forderung - nur, dass Russland nicht erwähnt wird - kommt auch von der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR), Navi Pillay: Sie appellierte gestern an die "Personen, die Einfluss auf die bewaffneten Gruppen haben, die für die meiste Gewalt im Osten der Ukraine verantwortlich sind, dass sie ihr Möglichstes tun, um diese Männer, die darauf bedacht zu sein scheinen, das Land auseinander zu reißen, in Schranken zu halten".

Anlass für ihre Forderung ist der Bericht, erstellt von einem 34-köpfigen UN-Monitoring Team. Darin ist von einer "alarmierenden Verschlechterung" der Menschenrechtssituation im Osten der Ukraine die Rede. Aufgeführt werden gezielte Tötungen, Folter, Prügel, Entführungen, Einschüchterungen, und Fälle von sexuellen Belästigungen auf, die "meist von Gruppen begangen wurden, die gegen die Kiewer Regierung opponieren".

Auch der OSCE-Bericht vom 12. Mai wirft Gruppen aus dem Osten der Ukraine, die gegen die Kiewer Regierung agieren, Menschenrechstverletzungen vor.

Sie werden in beiden Berichten mit einiger Genauigkeit aufgelistet. Wer allerdings von beiden Berichten - die Genauigkeit und Sorgfalt für sich in Anspruch nehmen, die aufzählen, dass sie hundertfach Interviews geführt haben, Dokumente eingesehen, mit allen möglichen Personen, vom Augenzeugen bis zum Amtmann, gesprochen haben - Aufklärung erwartet, um solchen Bühnen-Aussagen wie von Ponomarjow zu entgehen, der wird enttäuscht. Weil sich von Anfang bis zum Ende ein elementarer Webfehler zeigt: Es wird aus Kiewer Sicht berichtet.

Das fängt an damit, dass man Aussagen der Kiewer Generalstaatsanwaltschaft, geleitet vom Sowboda-Mann Machnitski, ohne jeden Blick auf dessen Position im Konflikt, unrelativiert als neutrale Quelle behandelt und setzt sich fort mit einer Betrachtung der Ereignisse in Odessa, die von der gleichen Wahrnehmungsbeschränkung gekennzeichnet sind: Aktionen von Mitgliedern des rechten Sektors (vgl. Gab es Drahtzieher der Tragödie von Odessa?) finden so gut wie keine Beachtung.

Aus dieser Schieflage nun zu schließen, dass die Menschenrechtsverletzungen, welche die Berichte den Anti-Kiew-"Selbstverteidigungsgruppen" vorwerfen, bloße Erfindung sind, ist aller Wahrscheinlichkeit nach falsch. Wichtig wäre es aber gewesen, dies auf einer soliden Grundlage zu zeigen. Mit solchen Berichten verspielen die UN- und die OSZE-Beobachter viel Kredit, bei ohnehin schwindenden Reserven. Das ist sehr ärgerlich für alle, die sich von keiner Streitpartei vereinnahmen lassen wollen.