Umfrage: Keine Außenpolitik ist die beste Außenpolitik

Steinmeier will Graben zwischen dem Willen der politischen Eliten und dem der Bevölkerung "überbrücken"

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Der 2003 verstorbene Ständerat Sigmund Widmer prägte für die schweizerische Haltung im Kalten Krieg das Bonmot "keine Außenpolitik ist die beste Außenpolitik". Dieses Heraushalten, das die Eidgenossenschaft damals praktizierte, würde in Deutschland heute deutlich besser ankommen als die Außenpolitik, die die politische Elite dort aktuell anstrebt.

Das legen zumindest die Ergebnisse einer von der Körber-Stiftung in Auftrag gegebenen und vom Institut TNS Infratest Politikforschung Ende April und Anfang Mai durchgeführten Erhebung nahe, die der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Vormittag vorstellte:

Von 1000 repräsentativ ausgewählten Bürgern beantworteten 60 Prozent die Frage, ob sich Deutschland bei internationalen Krisen künftig stärker engagieren soll, mit "Nein". Lediglich eine Minderheit von 37 Prozent befürwortet die von Bundespräsident Joachim Gauck, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und zahlreichen anderen Angehörigen der politischen Elite gepredigte "Übernahme von Verantwortung".

Frank-Walter Steinmeier auf der Auftaktveranstaltung zur Konferenz "Review 2014 - Außenpolitik Weiter Denken".

Als die Rand Corporation vor 20 Jahren eine ähnliche Frage stellte, sprachen sich noch 62 Prozent für mehr außenpolitisches Engagement aus. Die nun gemessene neue Zurückhaltung liegt nicht an Bildungsdefiziten: Das weltpolitische Geschehen interessiert nämlich 68 Prozent der Befragten stark oder sehr stark. Als Erklärungen für ihre Meinung nennen die Bürger selbst zu 73 Prozent, dass Deutschland genug eigene Probleme habe, um die es sich zuerst kümmern solle. Etwa die Hälfte ist der Ansicht, dass die Geschichte ihrer Heimat Zurückhaltung gebietet.

Als weitere Ursache für die Umkehrung des Meinungsbildes kommen die Kriege seit 1994 infrage, was auch Steinmeier einräumt: Der Kosovokrieg, der in diesem Balkanteil das Organisierte Verbrechen an die Macht spülte und zur Folge hatte, dass die als Kriegsgrund angeführten ethnischen Säuberungen unter umgekehrten Vorzeichen durchgeführt wurden. Der Afghanistankrieg, der zeigte, dass die Taliban auch in 15 Jahren nicht besiegt werden konnten. Der Irakkrieg, der dafür sorgte, dass die Terrorgruppe al-Qaida im Zweistromland heute deutlich stärker ist als 2003. Und der Libyenkrieg, der einen gescheiterten Staat hinterließ. Hinzu kommen als neue Einsatzziele gehandelte Gebiete wie Syrien und die Ukraine, deren Ausgangslagen ähnliche Ergebnisse erwarten lassen.

Darauf, dass die Ursache für die neue Mehrheitsmeinung auch in den Ergebnissen dieser Kriege zu suchen sind, deutet das Umfrageergebnis zu Militäreinsätzen hin, die lediglich von 13 Prozent der Befragten befürwortet, aber von 82 Prozent abgelehnt werden. Ein deutlicher Unterschied zur Kriegsbegeisterung vor hundert Jahren, auf die in diesem Sommer noch häufig Bezug genommen werden wird.

In sozialen Medien tritt diese Bürgermeinung "Raushalten" Steinmeier zufolge noch stärker zutage. Die Konsequenz daraus heißt für ihn allerdings nicht, dem Volkswillen zu entsprechen. Stattdessen will er "Brücken bauen", um den "sehr breiten Graben" zwischen der Meinung der Bevölkerung und dem der politischen Eliten zu überwinden. Zu diesem Zweck waren auf der Auftaktkonferenz "Review 2014 - Außenpolitik Weiter Denken" zahlreiche Elitenvertreter anderer Länder eingeladen, die durchwegs betonten, dass sich Deutschland als "konstruktive Gestaltungsmacht" in der Ukraine, in Afrika, im Nahen Osten und anderswo unbedingt stärker einmischen müsse.

Ein weiteres für die Auftraggeber überraschendes Ergebnis der Körber-Umfrage ist, dass sich mit 53 Prozent fast genauso viele Bürger mehr Zusammenarbeit mit Russland wünschen wie mit den USA, die bei 55 Prozent liegen. Noch mehr - nämlich 61 Prozent - plädieren für eine stärkere Zusammenarbeit mit China. Das einzige Land, bei dem die Deutschen mehrheitlich für weniger Zusammenarbeit eintreten, ist die Türkei: Hier könnten unter anderem Vorfälle, wie sie durch das False-Flag-Leak ans Licht der Öffentlichkeit kamen, für Vorbehalte sorgen.

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