Sterben die Atheisten aus?

Atheist Dawkins nennt sich einen "säkularen Christen", ein britischer Genetiker glaubt, dass sich die Religiösen stärker vermehren und die Skeptiker an den Rand drängen werden

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Am vergangenen Samstag erklärte der britische Paradeatheist, der Evolutionstheoretiker Richard Dawkins, auf dem Hay Festival, er sei ein "säkularer Christ". Dawkins stellte den ersten Band seiner Ende des letzten Jahres erschienenen Biographie vor und sagte, er glaube nicht an das Übernatürliche, aber schätze die religiösen Zeremonien. Gleichwohl spielt er mit dem Außergewöhnlichen, denn seine Biographie hat den Titel: "An Appetite For Wonder".

Auf dem nämlichen Festival behauptete der Genetiker Steve Jones vom University College London, dass die Atheisten allmählich aussterben, während die Christen eine neue Blüte erleben könnten. Als Genetiker, der wie Dawkins viel über Evolutionsbiologie geschrieben hat, gibt er dafür eine ganz einfache Erklärung. Der demografische Wandel in den stärker vom Säkularismus geprägten Ländern wie den europäischen sei nicht nur die Ursache für die Vergreisung, sondern auch für die Kinderarmut.

Weil religiöse Skeptiker, zu denen er sicher auch die "säkularen Christen" des Typs Dawkins rechnet, weniger fruchtbar seien, so das immer wieder vorgebrachte Argument für einen drohenden Niedergang, dem sich auch Menschen wie Sarrazin bedienen, um den Deutschen mit dem Untergang durch eine gebärfreudige Unterschicht oder Muslime zu drohen, werden sie immer weniger. Für Großbritannien sieht der Wissenschaftler ganz schwarz, es sei das einzige Land, das seine Bevölkerung ganz austausche, sagte er, wie der Telegraph berichtet.

Religion sei in der Geschichte immer wieder geboomt, wenn eine große Bevölkerung in ärmeren Ländern schnell wächst. Das könne man nun in Zentralafrika sehen, wo es ein starkes Bevölkerungswachstum gebe, das zu einer Wiederkehr des Christentums (und anderer Religionen wie dem Islam) führen könne und die Atheisten in den geburtenarmen europäischen zur Minderheit mache.

Jones, der sich selbst als Atheist bezeichnet, sagt, Atheisten würden sich manchmal gratulieren, dass die Zahl der Gläubigen zurückginge: "Aber religiöse Menschen haben mehr Kinder. Und wo haben die Menschen die meisten Kinder? Das ist in den Tropen und in Afrika. Es ist sicher der Fall, dass die religiösen Populationen in der Zukunft zunehmen und der Skeptizismus abnehmen wird. Wir brauchen nicht mehr Wissenschaftler, sondern mehr Theologen."

Tatsächlich breitet sich in Europa (In ganz Europa geht es seit Jahrzehnten mit der Religiosität bergab), aber auch in Nordamerika und sogar in Lateinamerika weniger der dezidierte Atheismus aus, wohl aber eine größere Wurstigkeit. Man gehört vielleicht noch einer Kirche an, nimmt sogar an einigen Zeremonien teil, die aber zum Bestandteil der Kultur gehören und ihres religiösen Inhalts weitgehend entleert sind. Andere pflegen - Stichwort: Spiritualität - eine individualistische Religiosität oft aus ganz unterschiedlichen Bauteilen. Und für Areligiöse ist wohl der christliche Leitsatz: "Seid fruchtbar und mehret euch" kein großer Antrieb mehr, allerdings haben auch viele Katholiken auf der ganzen Welt mittlerweile eine gelassene Haltung gegenüber der Familien- und Sexualmoral, wie sie von der Kirche noch gelehrt wird. Radikale und fundamentalistische Christen findet man tatsächlich am ehesten in Afrika (Die gespaltene katholische Kirche), während etwa auch in den USA die Bedeutung der Religion abzunehmen scheint (aber es gibt unterschiedliche Meinungen: Werden die Menschen wieder religiöser?). Gut möglich, dass vor allem der wachsende Einfluss der Afrikaner eine Veränderung der Kirchen bewirken wird, was besonders für die katholische Kirche zu großen Spannungen und möglicherweise auch zu einem Schisma führen könnte.

Aber das Argument des Genetikers heißt ja letztlich, dass religiöse Menschen mehr Kinder als nichtreligiöse haben und deswegen allmählich die Religiösen dominant werden. Manche Evolutionstheoretiker halten deswegen das religiöse Mem auch für "gut", weil es zu mehr Fruchtbarkeit führt, was immer ein evolutionärer Vorteil einer Population ist (Religion ist doch kein Virus). Allerdings hat sich die Aufklärung auch noch in Zeiten eines großen Bevölkerungswachstums in Europa ausgebreitet und scheint es so zu sein, dass vielleicht weniger die Religion als die Armut die Ursache für eine hohe Fertilität ist. Gemeinhin werden Gesellschaften, in denen der Wohlstand wächst, weniger religiös, die Geburtenrate geht zurück und die Großfamilien lösen sich auf. Auch die zunehmende Verstädterung spielt in diesem Prozess eine Rolle. Einfach nur Trends weiterzurechnen, ohne andere Einflüsse einzubeziehen, die Veränderungen bewirken können, mag zwar theoretisch wissenschaftlich korrekt, aber dennoch wirklichkeitsfremd sein.

Studien gehen dann auch davon aus, dass Religiosität in der Regel nicht mit übermäßiger Intelligenz verbunden zu sein scheint (Intelligente Menschen sind eher Atheisten und gehen nachts später schlafen). Mit steigender Intelligenz der Menschen sinkt offenbar der religiöse Glauben. Länder mit einem hohen Anteil an gläubigen Menschen sollen, so eine soziologische Studie, zudem sozial dysfunktionaler sein als solche mit einer weniger religiösen Bevölkerung (Sind religiöse Gesellschaften "besser"?). Vor ein paar Jahren hat der damalige indische Gesundheitsminister vorgeschlagen, dass man die Elektrifizierung des Landes schneller voranbringen solle, um das Bevölkerungswachstum zu senken. Hätten die Menschen einen Fernseher, kämen sie nicht so oft auf falsche Gedanken (Fernsehen zur Reduzierung des Bevölkerungswachstums). Und ohne Licht, mithin die physikalische Aufklärung, steigt die Fertilität.

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