Financial Times gegen Thomas Piketty

Die Aussagen Pikettys seien von den Zahlen nicht gedeckt, allerdings sind auch die Vergleichszahlen der FT systematisch falsch

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Die Financial Times ist in Sachen internationale Ökonomie weltweit vermutlich die einflussreichste private Publikation. Dementsprechend hat ihre ökonomische Abteilung einiges an Ruf zu verlieren, und genau das könnte ihr mit einer Kritik an Thomas Pikettys "Capital in the 21st Century" gelungen sein, die zwar nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, in ihrer schärfsten Aussage aber doch entweder Unkenntnis oder böse Absicht offenbart.

Nun ist ohnehin so gut wie alles, was Piketty auf mehr als 600 Seiten zusammengetragen hat, weitgehend bekannt und wird auch schon seit Jahren intensiv diskutiert. Deshalb könnte man dem FT-Kritiker vielleicht auch noch Neid und Eifersucht als Motiv für seine Kritik unterstellen, weil Piketty ohne besonders originellen eigenen Beitrag unter den Ökonomen zum Rockstar wurde, wie die FAZ feststellt, und sein Buch zum Bestseller.

Allerdings zeigt Piketty in seinem Buch sehr überzeugend, dass die Ungleichheit in den führenden westlichen Gesellschaften in den letzten drei Jahrzehnten erheblich angestiegen ist und weit überdurchschnittliche Niveaus erreicht hat. Er schlägt daher Reichensteuern und staatliche Umverteilung vor, was ihm auf der Seite der als eher links geltenden sogenannten "Saltwater"-Ökonomen aus den USA Paul Krugman und Joseph Stiglitz viel Lob und Zuspruch eingebracht hat.

I discovered that his estimates of wealth inequality - the centrepiece of Capital in the 21st Century - are undercut by a series of problems and errors. Some issues concern sourcing and definitional problems. Some numbers appear simply to be constructed out of thin air.

Chris Giles

Jetzt sieht es aber so aus, als würde gerade eine Art neuer "Reinhart/Rogoff-Skandal" mit umgekehrten Vorzeichen entstehen. Denn da waren zwei von Krugmann/Stigliz schon zuvor heftig kritisierten Star-Ökonomen der Gegenseite (mit stärker marktliberalen Ansichten; in den USA "Sweetwater"-Ökonomen genannte, weil sie an Universitäten im Landesinneren lehren) Rechenfehler nachgewiesen worden, die deren wichtigste Behauptungen konterkariert hatten (Harvard-Ökonomen geben Fehler bei folgenreicher Staatsschulden-Studie zu). So hatten Reinhart/Rogoff anhand statistischer Untersuchungen eine 90-Prozent-Schwelle behauptet, ab der Staatsschulden nur noch kontraproduktiv wären. Darauf hatten sich viele konservative Sparpolitiker gerne berufen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kernaussagen des Reinhart/Rogoff-Buches wurde genau diese Aussage durch die Korrektur der Fehler massiv in Zweifel gezogen (so wurde aus einem mehr als dreiprozentigen Wachstumsdämpfer einer von nur knapp einem Prozent), woraufhin Krugmann/Stigliz sich vor Freude kaum noch halten konnten.

Vergangenes Wochenende hat sich nun Chris Giles von der Financial Times die statistischen Angaben vorgenommen, mit denen Piketty seine Aussagen untermauert hat. Dabei hatte er ebenfalls gravierende Fehler festgestellt, was dadurch erleichtert worden war, dass Piketty seine Daten weitgehend komplett ins Internet gestellt hatte. Giles hat nun eine Reihe von offensichtlichen Fehlern festgestellt. Beispielsweise war Piketty bei einer Statistik zur Vermögensverteilung in Schweden offensichtlich um eine Zeile verrutscht und hatte anstatt der Zahlen von 1920 jene von 1908 in seine Statistik aufgenommen. Manche der Daten wurden zudem ohne weitere Begründung um bestimmte fixe Faktoren korrigiert, ebenso hatte er bei einigen Durchschnittswerten keine Gewichtung nach der Bevölkerungszahl vorgenommen, was sicherlich einige Fragen und Erklärungsbedarf aufwirft, zweifellos aber nicht zu Ergebnissen geführt hat, die die Aussagen Pikettys grundsätzlich in Frage stellen.

Das will Giles allerdings mit dem "schweren Fehler" erreichen, der ihn erst auf die Idee gebracht habe, die Daten nachzuprüfen, da er das gesamte Buch in Zweifel stelle. So sollen laut Piketty die zehn Prozent der reichsten Briten über 71 Prozent des nationalen Vermögens verfügen, womit die Vermögensungleichheit weit über dem historischen Schnitt liege und die Rekordniveaus von kurz vor dem 1. Weltkrieg erreicht habe. Dem stellt Giles nun die "Wealth and Assets Survey" der nationalen britischen Statistikbehörde gegenüber, die diese Quote mit nur 44 Prozent beziffert. Weitere Prüfungen hätten nun ergeben, dass das Kernstück des Buches - die Schätzungen der Vermögensverteilung - generell unter einer Serie von Problemen und Fehlern leide: "Es gibt Probleme mit Quellen und mit Definitionen und manche Zahlen scheinen einfach aus der Luft gegriffen zu sein."

Nachdem er die Zahlen korrigiert habe, sei ein ganz anderes Bild der Vermögensverteilung entstanden: "Pikettys Aussagen, die Vermögensungleichheit habe in den letzten drei Jahrzehnten zugenommen und sei in den USA offensichtlich größer als in Europa, scheinen nicht haltbar zu sein." Ohne diese Kernaussagen entfalle aber auch die Begründung für Pikettys Konklusion, dass der "zentrale Widerspruch des Kapitalismus" in der Tendenz des Vermögens liege, "sich immer mehr in den Händen der bereits Reichen und Mächtigen zu sammeln".

Nur hätte Giles, bevor er sich nun für die Rettung des Finanzkapitalismus feiern lässt, vermutlich gut daran getan, sich auch die von ihm präsentierten Daten etwas näher anzusehen. Denn die 41 Prozent der Statistikbehörde basierten schlicht auf den Aussagen eines Samples an befragten Haushalten, wobei unter Statistikern kein Zweifel herrscht, dass je höher das Haushaltsvermögen ausfällt, umso niedriger die Neigung ist, darüber Auskunft zu geben. Gerade beim reichsten Prozent der Bevölkerung geht die Auskunftsbereitschaft aber vermutlich gegen Null, und es ist anzunehmen, dass sich in derartigen Befragungen nicht ein einziger der tatsächlich Superreichen wiederfindet. Bei 104 britischen Milliardären mit laut Sunday Times zusammen 301 Milliarden Pfund an Vermögen (von insgesamt rund einer Billion Pfund an Finanzvermögen) macht aber allein schon deren Fehlen in der Statistik die Differenz zu den Daten Pikettys gut.

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