EU-Politik: Der Trick beim TTIP

Demnächst sollen neue EU-Kommissare für transatlantischen "Freihandel" sorgen, das EU-Parlament wird nur für ein Plazet gebraucht

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Medial hergestellte Aufmerksamkeit gilt derzeit, wenn es um europäische Politik geht, in erster Linie dem Aushandeln einer Personalie durch die beteiligten Staatschefs: Der Job des Präsidenten der EU-Kommission ist neu zu besetzen. Das jetzt frisch gewählte Europäische Parlament hat dann dem Vorschlag des Europäischen Rates Zustimmung zu geben - oder diesen abzulehnen. Die zweitgenannte Verhaltensweise ist kaum zu erwarten, denn die Abgeordneten der ganz großen Koalition in der "Mitte" - Eurokonservative, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne - werden Konflikte nicht riskieren wollen, sie müssen Zusammenhalt zeigen, gegen die Kritiker am rechten und am linken "Rand" ihres Parlaments. Eigentlich ist es auch nicht dramatisch, wer nun Kommissionspräsident wird, denn ein Kurswechsel in der Politik Brüssels steht so oder so nicht an.

Die beiden Chefunterhändler Dan Mullaney (USA) und Ignacio Garcia Bercero (EU) vor dem Start der fünften Verhandlungsrunde am 19.5.. Bild: USTR.gov

Neu zu besetzen sind demnächst auch die Ämter der EU-Kommissare. Da wird es interessanter, weil heikle Sachfragen zu bewältigen sind. Am wichtigsten ist die Handelspolitik, in diesem Ressort ist ein "großartiges Projekt" (so die deutsche Bundeskanzlerin) bis 2015 zur Umsetzung zu bringen, die "Transatlantic Trade and Investment Partnership - TTIP", zwischen der EU und den USA. Vom künftigen EU-Kommissar für Handel verlangt Angela Merkel "Leidenschaft im Amt". Die wird er brauchen, denn TTIP hat strukturprägende Bedeutung für die künftigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in den Ländern der EU - und es gibt massive zivilgesellschaftliche Proteste gegen dieses Vorhaben.

Das "Freihandelsabkommen", wie es in Politik und Medien hierzulande verharmlosend genannt wird ("Investment" wird dabei verschwiegen), soll den "Marktzugang liberalisieren". Hinter dieser nett klingenden Formel verbergen sich Risiken und Gefahren: Mit TTIP gerieten bisherige einzelstaatliche ökologische und soziale Standards bei Produkten und in der Produktion in Unsicherheit. Internationale Konzerne erhielten die Möglichkeit, bisher noch in öffentlicher Hand betriebene Daseinsvorsorge zu "privatisieren", gemeinwirtschaftliche Betriebe wegzukonkurrieren. Betroffen wären davon vor allem Gemeinden, der gegenwärtige Trend zur Rekommunalisierung würde abbrechen.

Wenn staatliche oder kommunale Maßnahmen den Profiterwartungen von privaten Unternehmen, den Investoren also, in die Quere kommen, soll - außerhalb des Justizsystems - ein Schiedsgericht von Anwälten über Schadenersatzforderungen entscheiden - ein Verfahren, das sicherlich die Bereitschaft fördern würde, den Wünschen von Kapitalstrategen keinen Stein in den Weg zu legen.

Für das TTIP-Abkommen ist politikberatend und werbend insbesondere die Bertelsmann-Stiftung tätig (eigene Darstellung) . LobbyControl kritisiert, das sei unvereinbar mit der "Gemeinnützigkeit", die der Stiftung zuerkannt ist; sie ist finanziell verschränkt mit dem Konzern Bertelsmann, der an den TTIP-Regelungen naheliegenderweise ein durchaus eigennütziges geschäftliches Interesse hat.

Als einflussreicher Befürworter von TTIP wirkt der CDU-Politiker Elmar Brok, einer der Prominenten im Europäischen Parlament, früher nebenher Manager bei Bertelsmann. Brok preist das Abkommen als "Konjunkturprogramm zum Nulltarif" an; es werde europäischen Unternehmen üppige Absatzmöglichkeiten in den USA eröffnen. Dass die TTIP-Verhandlungen von Vertretern der EU-Kommission und der US-Regierung hinter verschlossenen Türen geführt werden (bisher gibt es nur geleakte Informationen über Inhalte des Abkommens), hält dieser europäische Volksvertreter für richtig; das Europäische Parlament solle sich darüber nicht beschweren, denn es habe ja "das letzte Wort". Geht ein demokratischer Entscheidungsprozess so, transatlantisch?

In der Bundesrepublik widerspricht vor allem die NGO attac den Intentionen des TTIP-Abkommens und kritisiert die Prozeduren bei dessen Vorbereitung. Bedenken äußerte auch die SPD, sie steht aber nicht in Opposition zu dem Projekt insgesamt, sondern will es aufbessern.

TTIP-kritisch treten die Grünen auf, noch kritischer hat sich die Partei Die Linke positioniert. Beide werden aber nicht verhindern können, dass ein "letztes Wort" im Europäischen Parlament positiv ausfällt. Der Trick bei diesem höchst folgenreichen Werk ist: Es wird in Geheimverhandlungen hergestellt, in den Details ist es gar nicht so leicht durchschaubar, die Regierenden in der EU versichern, für notwendige Korrekturen bei der Entwurfsarbeit sorgten sie schon, mitreden können die EU-Parlamentarier nicht - und nach der Vollendung des Vertragstextes darf die europäische Volksvertretung ihm Legitimation verschaffen, pauschal. "Es gilt als sehr unwahrscheinlich, dass die EU-Abgeordneten Nein sagen", heißt es in der "Frankfurter Allgemeinen" ( gemeint: die vorgeschriebene Mehrheit der Abgeordneten.) Ob anschließende Ratifizierungen durch die nationalen Parlamente in der EU dann noch erforderlich sind, ist verfassungsrechtlich eine offene Frage.

Falls europäische Bürgerinnen und Bürger sich in Kenntnis dieses Verfahrens setzen, kann bei ihnen Zweifel am Sinn des Urnenganges bei der Europawahl aufkommen: Wozu braucht es Volksvertreter, wenn deren Mitwirkung bei gesellschaftlichen Strukturplanungen gar nicht vorgesehen ist? Es gibt ja Regierungschefs, interessierte Berater, EU-Kommissare. Die machen das schon, ganz souverän.