Das Bedauern der Ratten

Neurowissenschaftler glauben anhand von Gehirnscans gezeigt zu haben, dass auch Ratten falsche Entscheidungen nachträglich bedauern können

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Etwas zu bedauern, ist eine komplexe Angelegenheit. Man hat eine Handlung vollzogen und realisiert im Nachhinein, dass eine andere Entscheidung besser gewesen wäre bzw. dass Folgen eingetreten sind, die nicht beabsichtigt waren. Es handelt sich also um einen Akt der Selbstreflektion, die einen Raum der Möglichkeiten eröffnet, in dem sich eine Person imaginiert. Neurowissenschaftler der University of Minnesota glauben nun herausgefunden zu haben, dass nicht nur Menschen, sondern auch schon Ratten, die angeblich auch die Fähigkeit haben sollen, lachen zu können (Lachen wie die Laborratten), Bedauern empfinden zu können. Bislang habe man Bedauern bei nichtmenschlichen Lebewesen nicht erkennen können.

Die Wissenschaftler gehen in ihrer Studie, die in Nature Neuroscience erschienen ist, vom Unterschied zischen Enttäuschung und Bedauern aus. Enttäuschung stellt sich ein, wenn man nicht bekommt, was man erwartet hat, während Bedauern bedeutet, dass eine andere Entscheidung zu einem besseren Ergebnis geführt hätte. Nicht in Betracht gezogen wurde die Bedeutung von Bedauern als Mitgefühl oder Mitleid, was allerdings auch schon bei Ratten gefunden wurde (Das Mitgefühl der Ratten). Bei Menschen hat man beobachtet, dass beim Bedauern der orbifrontale Kortex aktiv ist. Ist dieses Areal, das am Lernen und an Entscheidungen, auch bei der Bewertung von erwarteten Folgen, beteiligt ist, beschädigt, sollen Menschen kein Bedauern zeigen können.

Auch das ventrale Striatum soll an der Bewertung der Folgen von Entscheidungen beteiligt sein. Bei Ratten ließ sich beobachten, dass beide Areale bei Belohnung und Bewertung von Folgen beteiligt sind. Um zu testen, ob Ratten auch Bedauern zeigen, bauten die Wissenschaftler eine räumliche Entscheidungsaufgabe auf. Vier Ratten wurden geschult und mussten sich gewissermaßen wie in einem Selbstbedienungsrestaurant bei einer unterschiedlichen Länge der Schlange vor der Kasse nach und nach für die Annahme oder Ablehnung von vier Nahrungsangebote, die sich im Geruch unterschieden und jeweils in einer Zone angeboten wurden, entscheiden. Es musste immer eine bestimmte Zeit (=Kosten) abgewartet werden, bis die Ratten auf die vorerst nur riechbare Nahrung zugreifen konnten. Bei Ablehnung erfolgte dies durchschnittlich nach 5 Sekunden unabhängig von der Wartezeit.

Der Aufbau war "ökonomisch" ausgerichtet. Die Zeit, die wartend in einer Zone verbracht wurde, ging für die anderen Zonen verloren. Da die Ratten Futterpräferenzen hatten, mussten sie sich also "überlegen", wann sie abwarten wollten und wann sie zuschlagen sollten. Wenn sie eine "Belohnung" erhielten, warteten sie sie durchschnittlich 20-25 Sekunden, bis sie zur nächsten Zone gingen. Um zu testen, ob sich die Ratten wirklich "ökonomisch" verhalten, wurde bei Tests in einer Zone dreimal so viel Futter angeboten wie in den anderen drei Zonen. Um mehr zu erhalten, waren die Ratten auch bereit, länger zu warten.

Um die neuronale Reaktion zu erfassen, wurde die Aktivität von 951 Neuronen des orbitofrointalen Kortex und von 633 Neuronen des ventralen Striatums aufgezeichnet. Mehr als 80 Prozent der Neuronen reagierten auf Belohnungen, die Reaktionen unterschieden sich im Hinblick auf die unterschiedlichen Belohnungen. Die Ratten entschieden sich allerdings nicht immer für ein für sie gutes Geschäft, sondern schlugen auch schon mal ein gutes Angebot aus, für das sie weniger lang als erwartet warten mussten, um dann auf ein Angebot zu stoßen, für das sie länger als normalerweise warten mussten. Eine solche Entscheidung kam den "ökonomisch" denkenden Mäusen also teurer.

Die Ratten bemerkten, dass sie einen Fehler begangen hatten, weswegen sie mit einem Verhalten reagierten, dass die Wissenschaftler als Bedauern interpretieren. Sie legten eine Pause ein und blickten auf die verlassene Zone mit dem entgangenen Angebot zurück, dann warteten sie eher die "teure" Belohnung ab, womöglich aus dem Grund, dass ihnen die nicht auch noch entgeht. Bedauern würde dann zu einer Verhaltensänderung führen. Das Bedauern zeigte sich für die Wissenschaftler an den Reaktionen im orbitofrontalen Kortex, die kurz die entgangene Belohnung beim Zurückblicken repräsentierten und die sich deutlich von einer Enttäuschung unterschieden, die eintritt, wenn die Ratte in Kontrollversuchen ohne eigenes Verschulden ein schlechteres Ergebnis als erwartet erhält. Die neuronale Repräsentation haben weniger die vermisste Belohnung als die Handlung dargestellt, die die Ratte hätte machen sollen, um die bessere Option zu erhalten. Das würde auch die Hypothese bestätigen, da auch Menschen nicht das bedauern, was sie nicht erhalten haben, sondern das, was sie hätten machen sollen.

Die Frage bleibt, ob die Reaktion auf die "falsche" Entscheidung einem Bedauern (aus egoistischen Motiven heraus) entspricht oder nicht doch eher eine Enttäuschung eines ökonomisch auf Erwartungen basierten Handelns darstellt. Während Bedauern sich auf die Vorstellung einer falschen Handlung in der Vergangenheit bezieht, bezieht sich eine Enttäuschung auf etwas, das in Zukunft erwartet wird und nicht eintritt. Andere Studien haben, so erklären die Wissenschaftler, neuronale Repräsentationen von kontrafaktischen Optionen in Ratten, Affen und Menschen gezeigt, die mit den als Bedauern interpretierten Reaktionen übereinstimmen. Es bleibt allerdings offen, ob der Unterschied etwa zwischen Enttäuschung und Bedauern an neuronalen Aktivitätsmustern abgelesen werden kann oder er nur der Introspektion zugänglich ist.