Der Generalbundesanwalt, der zum Jagen getragen werden musste

Ein Kommentar von Wolfgang Neskovic zu den Ermittlungen in der NSA-Affäre

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Nun also doch. In letzter Sekunde hat Generalbundesanwalt Range die Notbremse gezogen und will nun ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen geheimdienstlicher Späh-Aktivitäten in Deutschland einleiten. Allerdings will er seine Ermittlungstätigkeit nur auf die Abhöraktion wegen des Kanzler-Handys beschränken, während die politisch und auch verfassungsrechtlich besonders skandalöse anlasslose Komplettausspähung des Kommunikationsverhaltens der deutschen Bevölkerung (vorerst) unter den Tisch fallen soll. Diese Entscheidung darf nicht das letzte Wort sein. Ein Generalbundesanwalt - einer der obersten Hüter des Rechts - taugt nichts in seinem Amt, wenn er vor einer ausländischen Macht einen derartigen juristischen Kniefall macht. In seiner herausgehobenen Stellung als Vertreter des Rechts muss gerade er Standfestigkeit zeigen, wenn es darum geht, den Anspruch des Rechts gegen die Anmaßung der Macht durchzusetzen.

Der uralte Konflikt zwischen Macht und Recht muss gerade von ihm zugunsten des Rechts entschieden werden. Die Macht des Rechts muss in einem Rechtsstaat immer stärker sein als die Macht der Macht. Richter und Staatsanwälte, die nicht das Herz und den Mut besitzen, diesen berufsethischen und verfassungsrechtlichen Polarstern zu folgen, haben ihren Beruf verfehlt.

Für die strafrechtliche Aufarbeitung der Spähaktivitäten der NSA heißt das:

Gerade dann, wenn die wichtigsten politischen Akteure (Kanzlerin, Bundesregierung und Mehrheitsfraktionen im Bundestag) bei der Aufklärung auf die Bremse treten und den Rückwärtsgang einlegen, muss der Generalbundesanwalt als Vertreter des Rechts ein Zeichen setzen und mit den Mitteln des Rechts bedingungslos für die Einhaltung des Rechts streiten. Stattdessen lässt er keinen entschlossenen Aufklärungswillen erkennen und vermittelt den Eindruck, man müsste ihn zum Jagen tragen.

Sein gesamtes Ermittlungsverhalten war von Anfang an von ängstlicher Zögerlichkeit geprägt, obwohl schon nach den ersten Enthüllungen von Snowden unschwer zu erkennen war, dass - unterstellt die in der Presse wiedergegebenen Sachverhalte treffen zu - der Straftatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 Strafgesetzbuch) erfüllt war. Diese Vorschrift schützt nicht nur die Staatssicherheit in außen- und sicherheitspolitischer Hinsicht, sondern auch allgemeinpolitische und selbst gesellschaftspolitische Informationen, sofern diese nur von fremden Geheimdiensten als interessant eingestuft werden. Danach sind die Ausspähaktivitäten der NSA gegen die Kanzlerin, aber auch die gegen den Rest der Bevölkerung grundsätzlich geeignet, den Straftatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit zu erfüllen. Hierfür können harte Strafen verhängt werden. In besonders schweren Fällen reicht das Strafmaß bis zu zehn Jahren.

Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen dieser Straftat ist der Generalbundesanwalt zuständig. Nach der Strafprozessordnung darf er ein Ermittlungsverfahren allerdings nur dann einleiten, wenn ein sogenannter Anfangsverdacht für diese Straftat vorliegt. In der Strafprozessordnung gibt es drei verschiedene Arten des Tatverdachts. Die geringste Stufe bildet der Anfangsverdacht. Dieser ist gegeben, wenn "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" für eine Straftat vorliegen (§ 152 Strafprozessordnung).

Solche sind dann gegeben, wenn die "Möglichkeit" einer strafbaren Handlung besteht. Es kommt also für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht darauf an, ob die Staatsanwaltschaft eine spätere Verurteilung für wahrscheinlich oder sogar für überwiegend wahrscheinlich hält, sondern es geht ausschließlich darum, ob - aufgrund bestimmter "tatsächlicher Anhaltspunkte" - die "Möglichkeit" einer strafbaren Handlung gegeben ist.

Die Hürde für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist also ziemlich tief angesetzt. Erst im Ermittlungsverfahren entscheidet sich, ob der Anfangsverdacht eine Anklage rechtfertigt oder das Verfahren einzustellen ist. Aufgabe des Ermittlungsverfahren ist es demnach, insbesondere mit den in der Strafprozessordnung vorgesehenen Zwangsmitteln (z.B. Beschlagnahme, Durchsuchungen, Zeugenvernehmungen usw.) Tatsachen zu Tage zu fördern ("zu ermitteln"), die der Staatsanwaltschaft eine Entscheidung über Anklage oder Einstellung ermöglicht. Auch aus dieser Zielstellung des Ermittlungsverfahrens erhellt sich, dass eine voraussichtliche Prognose für den Ausgang des Verfahrens bei der Frage, ob ein Anfangsverdacht vorliegt, grundsätzlich bedeutungslos ist.

Gemessen an dieser rechtlichen Ausgangslage, verdient das Verhalten von Range scharfe Kritik.

Seine Entscheidung, zwischen dem Abhören des Handys der Kanzlerin und dem Ausspähen des Kommunikationsverhaltens der restlichen Bundesbürger zu differenzieren, ist in einer breiten Öffentlichkeit zu Recht auf Unverständnis und Kopfschütteln gestoßen. Zur Rechtfertigung hierfür hat er angeführt, dass "bislang keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für konkrete strafbare Handlungen oder strafrechtlich greifbare Sachverhalte" vorlägen. Die Vorermittlungen hätten "bis heute keine Erkenntnisse darüber erbracht, ob und wie britische oder US- amerikanische Nachrichtendienste in Deutschland auf den Telekommunikations- und Internetverkehr zugreifen oder gezielt bestimmte Personengruppen mit elektronischen Mitteln ausspähen".

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