Katzencontent: Katze rettet virales Marketing

Katzenheldin Tara rettet im Video einen kleinen Jungen vor einem Hund. Alles nur Marketing für die umstrittene Fracking-Technik?

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"My cat saved my son" heißt das Video eines gewissen Roger Triantafilo, das in den vergangenen Wochen weltweit angeklickt wurde. Sohn Jeremy trudelt mit dem Kinderrad ins Bild, da fährt irgendein Dämon in den Nachbarshund und der fällt über das Kind her. Wie der Blitz schießt Katze Tara dazwischen und schlägt den Hund in die Flucht. Fotos von den Verletzungen ("Zum Glück war’s nicht schlimm") runden das Ganze ab.

Millionenfach wurde das Video aufgerufen. Die Spiegel und Focus taten das Ihre, um es im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen, und gaben die rührende Geschichte weiter. Sogar im Rahmen der Google Executive Management Tour 2014 hat David Roberts es kürzlich als Beispiel gezeigt. Motto: Alles ist möglich, wenn wir es mit der richtigen Haltung angehen,

Etwas Filmanalyse

Das Filmchen setzt alle dramaturgischen Regeln um, die aktuell zwischen Hollywood und dem Boulevard kursieren, etwa die drei Akte des Drehbuchlehrers Syd Field Exposition – Konfrontation – Auflösung, mit zwei deutlichen Plotpoints: 1. Hund greift an, 2. Katze greift ein. Auch eine Heldenreise des kleinen Jeremy kann erkennen, wer mag: Jeremy muss in die Anderwelt, besiegt mithilfe eines treuen Gefährten (Katze) den Antagonisten (Hund) und lernt was fürs Leben (es gibt zwei kleine Fortsetzungsvideos mit Jeremy und Katzenheldin).

Wesentliche Nachrichtenfaktoren werden berücksichtigt: Neuigkeit, Dramatik, Kuriosität, Konflikt, Gefühle. Als Identifikationsfigur dient der junge Vater. Insgesamt wird der Boulevard mit seiner Vorliebe für kleine Kinder und Tiere gut bedient.

Wer Journalismus ausübt oder lehrt, freut sich über eine neue Variante der beliebten Mann-beißt-Hund-Formel, die man im Grundlagenwerk "Einführung in den praktischen Journalismus" von Walther von La Roche nachlesen kann: "Cat bites dog" – und rettet Kind.

Herzloser Vater?

Man kann darüber spekulieren, ob Jeremys im Gegensatz zur harmlosen Bemerkung seines Vaters recht spektakuläre Verletzungen mit dem Ablauf der Handlung korrespondieren oder nicht. Zumindest zeigt er beim Aufstehen keine nennenswerte Beeinträchtigung – das ist auch einem der YouTube-Zuschauer aufgefallen.

Jeremy danach.

Und der Vater, Roger Triantafilo, hat das alles gewissenhaft mit seiner Videokamera in HD festgehalten? Er ist nicht sofort losgestürzt, um den Hund zu verjagen, sondern hat während des dramatischen Geschehens weiterhin tapfer drauf gehalten?

Okay, vielleicht hat er einfach wie jeder anständige Kalifornier eine Überwachungskamera installiert und musste die Aufzeichnung nur auswerten? Falls das zutrifft, hat er nicht nur eine, sondern mindestens drei Kameras geschickt aufgebaut, die das Geschehen in unterschiedlichen Einstellungen und Perspektiven festgehalten haben, darunter einer, die nur vom Nachbargrundstück aus gedreht worden sein kann.

Dabei ist unser Roger ansonsten kein auffälliger Social-Media-Aktivist. Er hat keinen Facebook-Eintrag, wurde vor dem Zwischenfall nur einmal im August 2013 auf Google+ aktiv und auf YouTube im Wesentlichen nur rund um das Katzen-Ereignis. Eigentlich sonderbar für einen jungen Mann, der angeblich an der Staatlichen Universität von Berkeley studiert hat und bei einem Energie-Unternehmen namens Aera Energy LLC arbeitet.

Rogers letzte Aktivität: Nach zwei weiteren Videos um Katze und Sohn hatte er zahlreiche Follower. Nun gab er an, eine Animation über die umstrittene Technologie des Frackings besonders zu schätzen:

Eine halbe Million Leute haben auch dieses Video gesehen. Sonst gibt es keine weiteren Spuren von Roger Triantafilo. Ein Schelm, wer hier an eine eigens angelegte Kunstfigur einer PR-Agentur denkt.

Was lehrt uns das?

  1. Das Video "My cat saved my son" ist großes Kino.
  2. Mit Katzencontent kann man offenbar alles vermarkten.
  3. So funktioniert virales Marketing.
  4. Journalisten von Qualitätsmedien wie Spiegel und Focus merken auch nicht alles. Sie könnten aber bitte doch ein zweites Mal hingucken, bevor sie ein virales PR-Video weiterverbreiten.
  5. Vielleicht meldet sich ja mal die Agentur, die den Scoop gelandet hat.

Befangenheitserklärung: Die Autorin hat als eine der ersten die Online-Petition gegen Fracking an den bayerischen Landtag unterzeichnet: "Ausgfrackt is!"