Bildungsreform nach "britischen Werten"

Kulturkampf um das britische Bildungswesen

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Der britische Bildungsminister Michael Gove hat einen Kulturkampf im britischen Bildungswesen gestartet, der auf der Insel Schlagzeilen macht. Er ist für die Durchsetzung einer Bildungsreform verantwortlich, die von der Lehrergewerkschaft NUT aufs Schärfste bekämpft wird. Bereits 2013 sprach sie ihm auf ihrem Gewerkschaftstag das Misstrauen aus. Gove ist der erste britische Bildungsminister, dem diese zweifelhafte Ehre zuteil wird.

Es vergeht kaum eine Woche ohne Michael Gove. Die Richtung seiner Stellungnahmen ist klar: Das Bildungssystem soll anhand "britischer Werte" umgewandelt werden. Dafür soll das 1988 unter Thatcher eingeführte "national curriculum", der nationale Bildungsplan, umgewandelt werden. Im kommenden Schuljahr sollen Schüler in England und Wales anhand dieses neuen Lehrplanes unterrichtet werden.

Aus dem neuen Lehrplan weht ein konservativer Wind, der Kritikern sauer aufstößt. Als jüngste Maßnahme wurde bekannt, dass neuere amerikanische Literatur wie etwa "Wer die Nachtigall stört" von Harper Lee oder "Von Mäusen und Menschen" von John Steinbeck aus dem Pflichtkanon entfernt werden soll. Stattdessen wird der Schwerpunkt auf englische Klassiker gelegt. Es ist auch diese Verengung des Blickfeldes auf die britischen Inseln, die Kritiker verärgert.

Der Bildungsminister wehrt sich gegen Kritik mit drastisch ausformulierten offenen Briefen. Vermengt wird das ganze mit einer Privatisierungsstrategie, die noch aus den Zeiten der Labour-Regierung stammt. Genau diese Privatisierungen erzeugen aber bisweilen Ergebnisse, die Goves Intentionen entgegenstehen.

Private christliche Schulen haben große Freiheiten

Denn die neuen privatisierten "free schools" und "academies" sind nicht vom nationalen Lehrplan betroffen. Ihnen wird ein weit reichender Gestaltungsraum ermöglicht. Insbesondere sind religiöse Organisationen zur Gründung von Privatschulen aufgerufen. Sie können nun ihre Werte unterrichten, ohne dass sich der Staat oder Lehrergewerkschaften "mit ihren relativistischen Ideen einmischen", wie es Michael Gove einmal sagte. Zu diesen Werten gehört auch, dass in solchen Schulen der Unterricht kreationistischer Ideen legalisiert ist.

Das ist alles im Sinne des Bildungsministers, so lange es sich um christliche Schulen handelt. Sobald islamische Organisationen sich die Möglichkeit der Umwandlung öffentlicher Schulen in private, religiöse Schulen nutzbar machen, wird es für ihn zum Problem. So etwa in Birmingham, wo konservative muslimische Organisationen einige Schulen betreiben. Ihnen wirft Gove eine Unterwanderungsstrategie vor und hat die Schulregulierungsbehörde OFSTED gegen die betroffenen Schulen in Marsch gesetzt.

Derzeit arbeitet Gove an neuen Gesetzen um den Einfluss islamischer Organisationen zurückzudrängen. Darüber, dass es in Großbritannien inzwischen etliche konservative christliche Schulen gibt, die sich zum Beispiel weigern, ihre Schüler über Homosexualität zu informieren oder den Sexualkundeunterricht gleich ganz weg lassen, verliert er kein Wort.

Britische Helden im Geschichtsunterricht

Doch bei anderen Themen greift der ehemalige Times Journalist zur Feder. Beliebtester Veröffentlichungsort ist die Daily Mail. So zum Beispiel zur Verteidigung seiner Pläne für den von ihm konzipierten Geschichtslehrplan unter dem Titel "Why does the Left insist on belittling true British heroes?" (Warum besteht die Linke darauf, echte britische Helden klein zu halten?)

Darin beklagt Gove eine Geschichtsschreibung, die "Werte wie Patriotismus, Ehre und Mut schlechtmacht". Gove möchte Großbritannien im Geschichtsunterricht als das Land dargestellt wissen, das auf der richtigen Seite, der Seite der Demokratie, gestanden hat. Deshalb sei Großbritanniens Rolle in der Welt, "trotz aller Fehler die als Nation gemacht wurden auch von noblem Verhalten und Mut geprägt worden".

Um diese Charaktereigenschaften herauszustreichen, möchte Gove den Geschichtslehrplan auf die Geschichte der britischen Inseln fokussieren. Andere Aspekte der Weltgeschichte werden weitgehend gestrichen. Kolonialgeschichte kommt nur vor, um die Rolle berühmter Abenteurer und Eroberer herauszustreichen. So soll beispielsweise über "General Wolfes Eroberung Kanadas" unterrichtet werden.

Die Lehrergewerkschaft NUT kritisiert in einer umfangreichen Stellungnahme, dass die Herkunftsgeschichte der in Großbritannien lebenden migrantischen Gemeinschaften überhaupt nicht thematisiert wird. Dann müsste auch die Kolonialgeschichte dieser Länder aufgearbeitet werden, was in den Klassenzimmern zu Fragen über die historische Rolle Großbritanniens bei der Entstehung heutiger Konflikte in Ländern wie Afghanistan, Irak oder Pakistan führen könnte.

Für die Entstehung von Fragen braucht es eine Ausbildung zu analytischem Denken. Das spielt im neuen Lehrplan keine Rolle. Stattdessen gibt es eine Rückkehr zu chronologischem Auswendiglernen von Ereignissen und großen Persönlichkeiten.

Leistungsbezogene Gehälter für Lehrer

Unter anderem dafür wurde Gove in einem offenen Brief von über 100 Personen aus dem Bildungswesen kritisiert. Der reagierte mit einem weiteren Artikel in der Daily Mail: "I refuse to surrender to the Marxist teachers hell-bent on destroying our schools" (Ich weigere mich, vor den marxistischen Lehrern zu kapitulieren, die alles tun, um unsere Schulen zu zerstören).

Darin bezichtigt er die Gegner seiner Bildungsreform als "enemies of promise", also als "Feinde des Versprechens". Ihm gehe es darum, jedem Kind unabhängig seiner sozialen Herkunft eine gute Bildung zu verschaffen. Eine gut vernetzte Clique von Marxisten, die sich im Bildungswesen eingegraben hätten, würden versuchen dies zu verhindern.

In dem Artikel findet sich ein direkter Angriff auf die Lehrergewerkschaft NUT. Deren Mitglieder seien "die Ultramilitanten, die mit Streiks drohen. Sie sind gegen unsere Pläne, guten Lehrern einen höheren Lohn zu zahlen, weil sie gegen die Anerkennung von Exzellenz sind. Sie hassen academies weil deren Schulleitungen die Bedürfnisse der Kinder vor die Bedürfnisse der Gewerkschafter stellen."

Leistungsbezogene Gehälter für Lehrer sind ein Schlüsselaspekt von Michael Goves Bildungsreform. Zukünftig soll es keine landesweit gültigen Tarifverträge für Lehrer mehr geben. Schulleitungen kriegen vom Bildungsministerium ein Budget zugeteilt, mit dem sie Lehrer entsprechend von ihnen selbst definierten Kriterien bezahlen dürfen.

Der Unmut unter den Lehrern deswegen ist groß. Unter anderem deshalb, aber auch wegen der stark angewachsenen Arbeitsbelastung, plant die NUT für den zehnten Juli einen Streik. An diesem haben sich inzwischen verschiedene andere Gewerkschaften aus dem öffentlichen Dienst angeschlossen, so dass am zehnten Juli über eine Million Menschen gegen die Sparpolitik der Regierung streiken könnten.

Die konservativen Aspekte des Lehrplanes erstrecken sich auch auf andere Bereiche. Im Bereich Wissenschaften werden Praxiserfahrung und Experimente zugunsten von Auswendiglernen verdrängt. In Erdkunde müssen die Schüler zukünftig die Namen der wichtigen Flüsse und Städte auswendig wissen, aber Inhaltsbausteine über Klimawandel und nachhaltige Entwicklung werden aus dem Pflichtprogramm entfernt.

Goves Bildungsreform wird inzwischen von seiner eigenen Expertengruppe abgelehnt, die ursprünglich mit der Ausarbeitung des neuen nationalen Lehrplanes beauftragt war. Doch wenn es derzeit einen Politiker in Großbritannien gibt, der sich nicht um Kritik schert, dann ist es der Bildungsminister.

Anmerkung: Eine Zusammenfassung der Bibliothek des britischen Unterhauses über die Kontroverse zur Bildungsreform mit weiterführenden Links gibt es hier.