Offene Gesichter in einer offenen Gesellschaft

Das unverschleierte Gesicht ist wesentlicher Bestandteil des Zusammenlebens - der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärt das "Burka-Verbot" in Frankreich für rechtmäßig

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Seit das Gesichtsvollverschleierungsverbot, bekannt als "Burka-Verbot", 2010 in Frankreich verabschiedet wurde, war man gespannt darauf, wie sich die EGMR-Richter dazu stellen würden: Ein Fall für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte?. Heute wurde die Entscheidung dazu von der aus 17 Richtern bestehenden Großen Kammer bekannt: Das Verbot wurde für rechtmäßig erklärt.

Vor Gericht gebracht hatte die Sache eine französische Muslima, die angab, den Nikab oder eine Burka nicht regelmäßig, aber gelegentlich außer Haus zu tragen. Sie werde von niemandem dazu gezwungen. Gegen das französische Gesetz, das die Vollverschleierung in der Öffentlichkeit mit einem Bußgeld von 150 Euro ahndet, machte sie persönliche Freiheitsrechte geltend, die in Artikel 8 und 9 der europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind. Zudem machte sie geltend, dass das Verbot gegen das Diskriminierungsverbot, Artikel 14 der europäischen Menschenrechtskonvention, verstoße.

Der letzte Punkt wurde von der Großen Kammer einstimmig abgelehnt, bei den anderen Punkten gab es ein mehrheitliches Votum gegen den Antrag der Muslima. Wie aus der Entscheidung ersichtlich wird, sparten die Richter aber nicht mit kritischen Einlassungen zum französischen Gesetz.

So wurde moniert, dass das Gesetz gegenüber den Sicherheitsargumenten, die von den französischen Gesetzgebern vorgebracht wurden, nicht angemessen sei. Um die Identität einer Person festzustellen, genüge es doch, dass der Schleier bei einer Kontrolle gelüftet werden müsse, dazu brauche es kein Gesetz gegen den Schleier. Auch die dem Gesetz innewohnende Stoßrichtung gegen den Islam wurde kritisiert.

Realitätsbezogen verwiesen die Richter auf die Diskussion, die das "Burkaverbot" begleitete und die von markanten und polemischen Äußerungen gegen die Religion geprägt war. Zwar nahmen die Richter zur Kenntnis, dass sich das Verbot im Wortlaut nicht gegen islamische Gesichtsschleier richtet, sondern gegen alle möglichen Arten der Gesichtsvermummung, aber sie verweigerten den buchstabentreuen und realitätsblinden Scheuklappenblick auf den bloßen Gesetzestext und berücksichtigten die politische Dimension des Gesetzes, die ja auch den wesentlichen Ausschlag für das Zustandekommen gab.

Bemerkenswert an der positiven Stellungsnahme zum französischen Gesetz ist die Bedeutung, welche der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem unverschleierten Gesicht gibt. Das Gesicht spiele eine signifikante Rolle in der sozialen Interaktion. Für das Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft sei das nichtverhüllte Gesicht maßgeblich.

Die Richter schlossen sich der Auffassung von Verschleierungskritikern an, die geltend machten, dass offene Beziehungen zwischen Menschen durch die Vermummung behindert würden. Die Freiheit des Individuums fände seine Grenzen in den Freiheitsrechten der Anderen, die ebenfalls geschützt werden müssen. Das Schlüsselwort hier sei das Zusammenleben.

Das Gericht konnte akzeptieren, dass die Barriere, die durch die Verschleierung des Gesichts gegen andere errichtet wird, vom französischen Staat als ein Bruch des Rechtes der Anderen verstanden wird, in einem sozialen Raum zu leben, der das Zusammenleben einfacher macht.