Wie wir lernen, Donald Rumsfeld zu verstehen

Bild: NFP (Filmwelt)

Der hässliche Amerikaner: Der Dokumentarfilm "The Unknown Known" zeigt ein ambivalentes Bild amerikanischer Politik

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Wenn man ihn sieht und hört, wirkt er mitunter wie eine Figur von einer anderen Galaxie: Donald Rumsfeld, Kriegsherr, Präsidentenberater, zweimal US-Verteidigungsminister - unter Gerald Ford und George W. Bush - und einer der "Falken" des "Kriegs gegen den Terror". Oscar-Preisträger Errol Morris hat ihn portraitiert. Ist er ein bornierter Ideologe? Ist er böse? Weder noch.

Man begegnet stattdessen einer sonderbaren Mischung aus Bürokrat und flexiblem Strategen, aus schlauem Taktiker und kühlem Machtpolitiker, aus einem Mann, der nachdenklich und selbstkritisch einzelne Fehler einräumt und rechthaberischem Besserwisser, der sich behaglich zurücklehnt und selbst glaubt, alle, aber auch wirklich alle späteren Fehlentwicklungen bereits vorausgeahnt und einkalkuliert zu haben.

In sechs Jahren Pentagon schrieb er die Wahnsinnsmenge von über 20.000 internen "Memos", also im Durchschnitt über zehn pro Tag: Tagesbefehle von der Kommandobrücke und philosophische Meditationen; sehr unpraktisch und ineffizient, denn wer soll das verarbeiten, wie soll man es in eine hierarchische Struktur einspeisen?

Intern wurden sie "Snowflakes" genannt, "Schneeflocken". Aber so schnell wie diese schmelzen die Produkte von Donald Rumsfelds Diktierwut keineswegs dahin. Rumsfeld ist ein Fakten-und Begriffsfetischist und einer, der Wortspiele liebt. Wie das berüchtigte, das dem großartigen Dokumentarfilm von Morris seinen Namen gibt:

Es gibt bekanntes Bekanntes; es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es bekanntes Unbekanntes gibt: Das heißt, wir wissen, es gibt Dinge, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch unbekanntes Unbekanntes - Dinge also, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Und es gibt unbekanntes Bekanntes - Dinge von den wir nicht wissen, dass wir sie wissen.

So Donald Rumsfeld am 12. Februar 2002 bei seiner berühmtesten Pressekonferenz, bei der er über das "Unknown Known" philosophiert.

Morris' Film rekonstruiert Rumsfelds Leben als Politiker und zeigt etwa, dass dieser sich schon früh mit dem CIA-Direktor George Herbert Bush verbündete, dem späteren Präsidenten Bush der Ältere und dass er zu klug war, um sich von Richard Nixon in den Watergate Skandal verwickeln zu lassen.

Sarkasmus und Selbstironie

Der Schwerpunkt liegt auf Rumsfelds Zeit als Verteidigungsminister. Nie wolle er verantwortlich sein für ein Desaster wie "Pearl Harbour", einen Überraschungsschlag, der die eigene Seite auf dem falschen Fuß erwischt - aus einem "Mangel an Phantasie", wie er es formulierte. Dann kam der 11. September 2001. Aus dieser Erfahrung, diesem Trauma heraus muss man Donald Rumsfeld erklären, um sein Handeln zu verstehen.

Errol Morris: "What do you worry about, when you go to bed?"
Donnald Rumsfeld: "Intelligence ... Pearl Harbour was a failure of imagination."

Intelligenz und süffisanter Sarkasmus, auch eine gewisse Selbstironie, die nur für sehr dogmatische Feinde Amerikas überraschend sein dürfte, charakterisieren Rumsfeld, so wie er in diesem Film erscheint. Auch ansonsten weicht das Bild, das Morris zeichnet, sehr stark von Rumsfelds Image ab, das ihn auf einen stur-verbissenen neokonservativen Ideologen reduziert.

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Man erlebt stattdessen einen hochintelligenten Mann, der mit sich im Reinen ist, zu seiner Politik steht und sie auch dort, wo sich der europäische Betrachter innerlich sträubt, erstaunlich schlüssig begründen kann. Und der sich zugleich in vielen Momenten überraschend selbstkritisch zeigt. Vor allem aber hat Rumsfeld überraschend großen Charme.

Den Regisseur mag das wohl selbst am meisten überrascht haben. Errol Morris gelang vor zehn Jahren mit "The Fog of War" das genaue Porträt und eine Entlarvung von Robert McNamara, der als Ex-Verteidigungsminister unter Präsident Johnson für die Eskalation des Vietnamkriegs und Flächenbombardements, Napalm und "Agent Orange" verantwortlich war. Diesmal mag der Regisseur etwas Ähnliches erhofft haben.

Aber der große Unterschied ist, dass McNamara im Rückblick mit sich, seinen Entscheidungen und ihren Folgen gehadert hat. Rumsfeld hadert nicht. Er steht zu dem was er tat. Wer Enthüllungen erwartet, Geständnisse oder plumpe Ausreden, der wird enttäuscht.

Ehrenhaftes Duell zwischen Gentlemen

Denn Rumsfeld ist bereit, einzelne Fehler und Misserfolge zuzugeben. Er ist aber auch bis heute überzeugt, in den meisten Fällen das aus seiner Sicht Richtige getan zu haben. Neben einer guten Argumentation weiß er sich ansonsten gut darzustellen. Er vermeidet Fehler, er bleibt zurückhaltend, lauert auf Fragen mehr, als dass er dem Fragesteller entgegenkommt.

"Everything seems easy in retrospect. Its a failure of imagination." Donald Rumsfeld

In gewissem Sinn ist das ein Zweikampf, ein ehrenhaftes Duell zwischen zwei Gentlemen, die wissen, dass sie Gegner sind, die sich aber immer achten. Rumsfeld sträubt sich, versucht zugleich die Maske des Leutseligen, der nur Gutes will, zu bewahren, wie er doch von dieser Konfrontation selbst spürbar fasziniert ist. Recht ungeniert legt der Pensionär seine Sicht der Welt im Allgemeinen und des Irak-Kriegs im Besonderen dar. Er gibt den einsamen, unverstandenen Helden. Aber falsch ist nicht alles hier.

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Morris’ anspruchsvollem Gesprächs-Dokumentarfilm gelingt eine faszinierende Innenansicht aus den Hinterzimmern der Macht. Morris versucht hineinzukriechen in Hirn und Herz des Mannes, der für zwei Kriege verantwortlich ist, und unsere Welt verändert hat. Morris ist zwar ein erklärter Kritiker der Bush-Administration und hat mit seinem Film "SOP - Standard Operating Procedure" die erschütternden Details und moralischen Abgründe des Abu-Ghraib-Skandals akribisch rekonstruiert. Hier nun hat er hat einen unvoreingenommenen, angenehm unparteiischen Film gedreht.

I've simply read too much history.

Donald Rumsfeld

Es gibt manche, die Morris jetzt vorwerfen, Rumsfeld nicht hart genug ran genommen zu haben, ihm ein breites Forum geboten zu haben. Da ist etwas dran. Die Frage ist allerdings, wie man so einem Mann denn überhaupt nähert. Der Mann ist ein Medienprofi und man würde ihm nicht gerecht werden, wenn man jetzt so tut, als könne man mit ein paar Sätzen mit ihm und seiner Politik fertig werden. Wenn Rumsfeld hier eine Maske aufhat, dann sitzt die ganz gut, nur ab und zu verrutscht sie doch ein bisschen.

Andererseits gehört das leichte Verrutschen der Maske, also Momente, in denen Rumsfeld zornig wird, in denen er Emotion zeigt, Morris direkt kontert, auch zu dem Medienspiel, das Rumsfeld spielt. Er ist ja jemand, der sich immer den Medien gestellt hat. Rumsfeld hätte ja auch sagen können, er mache diesen Film gar nicht, weil er weiß, wo Morris steht. Aber nein - er nimmt das auf als Angebot zum Duell unter Gentlemen. Er hat auch Lust, die scharfen Fragen zu bekommen und sie zu kontern. In gewissem Sinn macht Rumsfeld hier ein Experiment mit sich selbst.

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Die Tugend des Dokumentarfilmers ist zudem, dass er sich seinem Objekt sine ira et studio und mit Neugier nähert, dass er sich für den Gegenstand interessiert. Wenn man vorher schon weiß, was man sagen will, dann muss man so ein Interview nicht führen. Auch entspricht es nicht unserer eigenen Zuschauerhaltung.

Wir alle wollen ja auch Dramen sehen, in denen Schurken vorkommen, die stark sind und nicht nach 10 Minuten von der Bühne verschwinden. Dass ist unsere eigene Ambivalenz: Wir selber als Zuschauer genießen einen Voyeurismus, den der Film bedient. Wir dürfen mit Rumsfeld zwei Stunden in einem Raum verbringen.

Man kann Morris allerdings vorwerfen, ein wenig der Wirkung von Rumsfelds Charme erlegen zu sein - in manchen Momenten hätte er schärfer nachfragen und naheliegende Einwände formulieren können.

Kenntnisse über die Geschichte der US-Politik seit Vietnam erleichtern das Verständnis des ambitionierten Films. Die Suche nach Erklärungen gelingt in Maßen. Morris lässt Rumsfeld sprechen und seine Weltsicht ausbreiten, in der Hoffnung, dass dieser sich selbst entlarven könnte. Dagegen montiert er - etwas plump, aber nicht falsch - Statistiken mit Zahlen der Toten und der Kriegskosten.

Man sollte von Politikern, auch von intelligenten, aber vielleicht nicht erwarten, dass sie zu ihren eigenen Historikern taugen. Da bürdet Errol Morris seinem Filmgegenstand zu viel auf.