Wie "offensichtlich inkorrekte" Daten weiter Schaden anrichten

Der Bremer Biologieprofessor Alexander Lerchl fordert Konsequenzen aus dem Mobilfunkstudienskandal

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Die als Erforscherin wissenschaftlicher Unredlichkeit auch über die akademische Welt hinaus bekannt gewordene Medieninformatikerin Debora Weber-Wulff macht in ihrem Blog Copy, Shake, and Paste aktuell auf einen Fall aufmerksam, der bereits 2008 aufgedeckt wurde, aber immer noch Schaden anrichtet.

Es geht um zwei an der Medizinischen Universität Wien (MUW) durchgeführte und mit Mitteln aus einem EU-Projekt geförderte Studien, deren Ergebnisse fälschlicherweise nahelegen, dass niederfrequente magnetische und hochfrequente elektromagnetische Felder von Mobiltelefonen und Stromleitungen unterhalb von Grenzwerten menschliche DNS schädigen können.

Nach der Veröffentlichung von acht Aufsätzen zu diesen Studien kam heraus, dass die Laborantin Elisabeth K. die Ergebnisse, die dies suggerierten, wahrscheinlich manipuliert hat. Obwohl die Daten im Nachhinein nicht nur physikalisch wenig plausibel, sondern auch statistisch merkwürdig wirken, waren sie vor der Veröffentlichung weder den Autoren der Aufsätze aufgefallen, noch denjenigen, die die eingereichten Texte überprüfen sollten.

Medizinische Universität Wien (MUW). Foto: Gryffindor. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Lediglich der Biologieprofessor Alexander Lerchl von der Bremer Jacobs-Universität vermutete, dass da etwas nicht stimmt: Er sorgte für eine interne Untersuchung, bei der herauskam, dass den Daten "mit großer Wahrscheinlichkeit ein wissenschaftliches Fehlverhalten zugrunde liegt". Daraufhin kündigte K. und man zahlte Forschungsgelder in sechsstelliger Höhe zurück. Außerdem zog K.s Vorgesetzter Hugo R. die "offensichtlich inkorrekten" Mobilfunkstudien offiziell zurück.

Die Studien waren jedoch auch Grundlage für acht Aufsätze, die in Zeitschriften bekannter Wissenschaftsverlage erschienen. Obwohl der Rektor der MUW die Herausgeber dieser Zeitschriften über das Ergebnis der Untersuchung in Kenntnis setzte, zogen sie diese Aufsätze bislang nicht zurück. Bei Springer erklärt man dies gegenüber Telepolis damit, dass man als Verlag nicht in die Entscheidungen der Herausgeber der Zeitschriften eingreifen könne. Bei Elsevier war bis zur Fertigstellung unserer Meldung niemand für eine Stellungnahme dazu erreichbar.

Deshalb werden die "offensichtlich inkorrekten" Forschungsergebnisse von Mobilfunk- und Stromleitungsgegnern bis heute weiter zitiert. Mittelbar sorgt die ausgebliebene Einziehung der Aufsätze Lerchls Ansicht nach außerdem dafür, dass "weite Teile der Bevölkerung nach wie vor verunsichert [sind], ob sie sich durch Handygebrauch einen Hirntumor einhandeln könnten".

Deshalb plädiert der Biologe in einem Aufsatz für das Laborjournal für ein "3P-Modell", das helfen soll, negative Auswirkungen von Fehlverhalten in der Wissenschaft einzudämmen: Die drei "P" stehen in diesem Modell für "Publicity", "Post-Publication-Review" und "Punishment".

Unter dem Stichwort "Publicity" fordert Lerchl, dass man die Öffentlichkeit "umfassend" über jeden Fall informiert und dass dabei die Namen von Universitäten, Instituten und Forschern genannt werden dürfen. "Post-Publicaton-Review" bezeichnet das nachträgliche Auseinandernehmen von Studien, wie dies bereits jetzt auf Plattformen wie PubPeer, Research Gate und Retraction Watch geschieht. Und unter "Punishment" regt der Bremer Biologe gesetzliche Grundlagen für "adäquate Sanktionierungsmöglichkeiten im Fall von Datenmanipulationen" an, die deutlich über Rügen und Antragsausschlüsse hinausgehen.

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