ARD verheddert sich in den Untiefen der Ukraine-Berichterstattung

Screenshot vom Forum des tagesschau-Blogs

Gerade erst hatte man einen Fehler in den Tagesthemen korrigiert, taucht auch schon der nächste auf - und wurden die Tagesthemen vom 20. Mai schnell in der Mediathek unzugänglich gemacht

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Heute schrieb Malte Daniljuk unter dem hoffnungsvollen Titel Glasnost bei ARD-Aktuell, dass sich die ARD erneut für ihre Ukraine-Berichterstattung entschuldigen musste. Thomas Roth entschuldigte sich für einen Bericht des Moskau-Korrspondenten Udo Lielischkies vom 20. Mai 2014, nach dem zwei Bürger der Stadt Krasnoarmeysk durch "Kugeln der neuen Machthaber" getötet wurden. Täter waren aber Angehörige einer ukrainischen Miliz.

Der Chefredakteur von ARD-Aktuell, Kai Gniffke, musste wieder wie schon zur Kritik des ARD-Programmbeirats die Feuerwehr spielen und unter dem Titel "Noch einmal Ukraine-Berichterstattung" Stellung im Blog beziehen. Sie fiel etwas weniger gewunden aus, weil man "einmal gravierend daneben gelegen" habe. Der Schwerpunkt sollte wohl auf dem "einmal" liegen. Ein solcher Fehler dürfe auch im "Eifer des Gefechts" nicht passieren, so Gniffke mit einer vielleicht nicht so geeigneten Wortwahl. Weiter heißt es:

Dieser Fehler wird möglicherweise Wasser auf die Mühlen derer sein, die uns vorwerfen, dass wir die russische Seite absichtlich schlecht aussehen lassen. Damit müssen wir leben. Umso wichtiger ist es mir, dass wir all den Menschen, die uns jeden Tag ihr Vertrauen schenken, deutlich machen können, dass wir unbewusst einen Fehler gemacht haben.

Ob der Fehler von Lielischkies "unbewusst" begangen wurde, lässt sich kaum nachprüfen. Offenbar aber ist er der Neigung gefolgt, die Bösen auf jeden Fall auf der Seite der Separatisten zu suchen oder eilfertig etwas zu behaupten, das er nicht nachgeprüft hatte, da offenbar selbst laut Gniffke schon neun Tage zuvor richtig über den Vorfall berichtet worden sei.

Im Forum ging es nicht nur über diese Sendung, die von den Tagesthemen gleich aus der Mediathek gelöscht wurde, anstatt sie dort zu belassen und mit einem Text zu korrigieren, sondern auch um einen anderen Vorfall am 20. Mai, als der Oligarch Rinat Achmetow seine Mitarbeiter für die Regierung in Kiew demonstrieren ließ (Ukraine: Oligarch versucht sich in Konfliktlösung). Malte Daniljuk verwies im Telepolis-Artikel auf einen Forenschreiber, der sagte: "Da saßen kümmerliche 300 Angestellte von Achmetow und schwenkten wie befohlen ihre Fähnchen. Und ihre Korrespondenten ... suggerierten, da sei ein Stadion voller Anhänger einer geeinten Ukraine." Diesen Vorwurf wies Kai Gniffke im Forum zurück:

Wir haben nie behauptet, dass im Stadion Zehntausende Menschen waren. Schließlich haben wir dann ein ziemlich leeres Stadion gezeigt (nicht nur bei YouTube). Landesweit waren es tatsächlich Zehntausende - vor allem Mitarbeiter von Achmetow - und genau das haben wir gesagt.

Dummerweise verwies im Telepolis-Forum Markus Kompa auf ein YouTube-Video der Tagesthemen vom 20. Mai, das den Vorwurf bestätigt. Auch dieser Beitrag stammt von Lielischkis. Die Bilder machen glauben, dass auf den Straßen der Widerstand der Massen tobte und das Stadion voll war. Anschließend werden Videoaufnahmen gezeigt, auf denen im leeren Stadion ein kleines Häufchen von ein paar hundert Menschen zu sehen ist.

Caren Miosga erklärte zur Einführung, dass man nicht wie sonst nur "schwer bewaffnete und vermummte" Separatisten sah, es sei "eindrucksvoll deutlich" geworden, "dies muss nicht die Meinung der Mehrheit sein". Weiter sagte sie, im Hintergrund ein Ausschnitt von einer Menschenmenge mit Fahnen, womit sie auch deutlich in der Wortwahl vorführte, dass es sich um einseitige Berichterstattung handelte, die das angeblich Gute und dem Bösen gegenüberstellt:

Diese Menschen schwingen ihre Fahnen nicht für ihren Fußballverein, sondern für eine vereinte Ukraine. Dominierten bislang Bilder der schwarzvermummten Separatisten mit der Kalaschnikow im Anschlag, so waren heute Zehntausende von Menschen zusammengekommen, um gegen diese prorussischen Milizen zu demonstrieren.

Der Zuschauer musste zumindest annehmen, dass Miosga von Zehntausenden Menschen im Stadion gesprochen hatte. Lielischkies zeigte dann zwar einmal ein fast leeres Stadion, in dem ein paar Menschen waren, das nächste Bild aber war wieder ein Ausschnitt, das den Eindruck erweckte, es sei voll besetzt.

Ob hier auch wieder das Unbewusste seine Finger im Spiel hatte? Zumindest bei den Online-Nachrichten der Tagesschau vom 20. Mai hat man auch lesen können:

Wie groß der Widerhall auf Achmetows Appell letztlich war, blieb unklar. Während die "Deutsche Presse-Agentur" von "Zehntausenden" Bürgern sprach, die sich an den Protesten beteiligt hätten, schrieb die Nachrichtenagentur "Reuters", die Resonanz sei "gering" geblieben.

Aber das könnte Lielischkis, Miosga und der Tagesthemen-Redaktion zu wenig Nachricht gewesen sein. Man ist vielleicht lieber dem "Nachrichten-Mainstream" gefolgt, wie das Lemminge auch machen, was schon einmal als Entschuldigung herhalten musste. In der Tagesschau vom 20. Mai von 20 Uhr hieß es, es seien "Zehntausende" dem Aufruf des Oligarchen gefolgt. Suggestiv wurde aber auch schon ein Bild eingeblendet, das durch seinen Ausschnitt wieder den Eindruck erzeugt, dass hier Menschenmassen zu sehen sind. Ob es sich um eine Aufnahme vor dem Stadion handelt, kann ich nicht sagen.

Fehlermeldung statt Erklärung?

Seltsam ist nun, dass gerade diese Tagesthemen vom 20. Mai vollständig aus der Mediathek verschwunden sind, nicht nur die Stelle mit dem eingeräumten fehler, während die Ausgabe davor oder danach ohne weiteres weiter abrufbar ist. Zu sehen sind wahlweise zwei Hinweise, warum ausgerechnet diese Ausgabe nicht angeschaut werden kann. Das macht keinen guten Eindruck und zeugt nicht von Transparenz, sondern von weiteren Versuchen, Fehler und Einseitigkeiten zu verschleiern.

Fehlermeldung statt Erklärung?

Nachtrag am 4.10.: In Internetzeiten ist es allerdings schwer, Informationen spurlos zu beseitigen. Ein Leser machte uns darauf aufmerksam, dass sich auf Web.Archive.org eine vollständige Kopie der Tagesthemen findet. Ob sich nun die ARD für das Recht auf Vergessen stark machen will?