Die Pflegerobbe Paro - ein unmoralisches Angebot?

Sind Zuwendungsroboter als Pflegehilfe für Demenzpatienten vertretbar?

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Wer privat oder beruflich mit dementen Menschen zu tun hat, weiß wie schnell man bei einer 24-Stunden-Betreuung am Ende seiner Kräfte und/oder am Ende seines finanziellen Budgets angelangt ist. Die Pflege von Dementen erinnert oft an die Arbeit von Sisyphos.

Vielfach erfolgt die Rettung für die Betreuenden (seien es professionelle Pflegekräfte oder Angehörige), indem die Demenzpatienten in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Da werden Türen verschlossen oder bei Pflegebetten die Seitenwände hochgezogen, sodass der Patient das Bett nicht verlassen kann. Ob dies ohne die konkrete Entscheidung eines Gerichts zulässig ist, ist nicht eindeutig geklärt und wird offensichtlich regional unterschiedlich gehandhabt.

Da die Einschränkung der Bewegungsfreiheit vielfach im privaten Umfeld erfolgt, wird dies üblicherweise von Außenstehenden nicht wahrgenommen. Noch weniger auffällig wird die Einschränkung der Bewegungfreiheit, wenn den Demenzpatienten von den zuständigen Ärzten Antipsychotika verordnet werden, was in Pflegeeinrichtungen und geriatrischen Reha-Einrichtungen wohl häufiger vorkommt, auch wenn die Verabreichung von Antipsychotika bei dementiellen Patienten möglicherweise zu einem erhöhten Mortalitätsrisiko führen kann.

Pflegerobbe Paro. Alle Fotos: © Beziehungen pflegen GmbH

Vor diesem Hintergrund verblüffte es doch, dass man sich für die Pflege hierzulande zwar allerlei Serviceroboter vorstellen kann, welche bewegungseingeschränkte Personen beispielsweise in einen Rollstuhl heben können, aber einer mechanisierten Unterstützung der Pflege dementer Patienten im emotionalen Bereich reserviert bis ablehnend gegenübersteht. Die sogenannte emotionale Robotik, die in Japan auch in der Form von Humanoiden entwickelt und seit einigen Jahren in Form der Pflegerobbe Paro auch in Deutschland in kleinem Umfang eingesetzt wird, betrachtet man hierzulande oft als nicht mit der Würde der Patienten vereinbar.

Mit der vor Jahren über Europa hereingebrochenen Tamagotchi-Welle hatten die ersten synthetischen Haustiersurrogate noch problemlos den Weg in die deutschen Haushalte geschafft. Tamagotchis konnten als pflegeleichte Haustiere mit Strom und Zuwendung überleben, waren stubenrein und nicht nur in engen Hochhauswohnungen eine bedenkenswerte Alternative zum letztlich vom Hungertod bedrohten Meerschweinchen oder Goldhamster. Was bei Kindern damals großen Anklang gefunden hatte, wurde inzwischen weiterentwickelt. Mit dem Dinosaurier Pleo folgte eine weit weniger abstrakte Umsetzung eines künstlichen Haustiers, das nur mit Strom gefüttert werden muss und nicht auf das Sofa pinkelt. Eine andere Evolutionslinie der japanischen Roboterentwicklung führt zur Pflegerobbe Paro, die mit einem Preis von über 5.000 Euro dem Bereich des Kinderspielzeugs deutlich entwachsen ist und in Japan nun schon seit mehreren Jahren in der Betreuung von Demenzpatienten eingesetzt wird.

Vor dem historischen Hintergrund der Spielzeugroboterentwicklung in Japan ist es kein Wunder, dass die Pflegerobbe Paro dort entstand: Die technikverliebten Japaner sind ganz offensichtlich Robotern gegenüber deutlich aufgeschlossener. Einer jungen Sattelrobbe nachempfunden, nutzt der Roboter das Kindchenschema perfekt und gewinnt meist schnell das Interesse der Patienten. Kaum einer dieser Patienten dürfte in seinem Leben schon einmal direkten körperlichen Kontakt zu einem Sattelrobbenbaby gehabt haben. Somit kann eine negative gedankliche Verknüpfung bei den Patienten weitestgehend ausgeschlossen werden.

Eingesetzt werden die therapeutischen Pflegerobben nicht als Pflegerersatz, sondern als Instrument bei der Pflege, um die oftmals depressive Stimmung der Patienten aufzuhellen oder überhaupt einen Zugang zum Patienten zu bekommen: Mit Hilfe der eingebauten Sensoren unter dem weißen oder bräunlichen Fell kann Paro sowohl Helligkeit und Geräusche, als auch Berührungen registrieren und passend reagieren. Wird die Robbe angesprochen, antwortet sie mit Bewegungen und Tönen. Auf Kraulen reagiert sie mit einem wohligen Brummen - auf Schläge mit Protest.

Die in Deutschland oft geübte Zurückhaltung bei der Nutzung von Spielrobotern im Bereich der Pflege Dementer scheint in erster Linie kulturell begründet zu sein. Man lässt Kinder mit Puppen spielen - auch mit solchen, die über mechanische Funktionen verfügen und Laute von sich geben. Für demente Erwachsene, die sich selbst teilweise wieder wie Kinder fühlen, hält man solches Spielzeug für nicht geeignet, auch wenn diese sich dafür begeistern können, die Puppen aus ihrer Kinderzeit wieder zu bespielen und spazierenzufahren.

Im Gegensatz zu Spielzeug werden Haustiere als emotionale Begleiter für Senioren mit Demenz meist akzeptiert. Der Aufwand in der Betreuung weitet sich dann jedoch zusätzlich zum Patienten auf das Tier aus, das fachgerecht versorgt werden muss, auch wenn der Patient dies selbst nicht mehr leisten kann.

Was an einem Kuscheltier für Erwachsene abseits von kulturellen Berührungsängsten ethisch verwerflich sein soll, lässt sich nur schwer nachvollziehen, fördert es doch in der Mehrzahl der Anwendungsfälle das Wohlbefinden der Patienten und gibt ihnen einen Kuscheleffekt, den ihnen die professionelle Pfleger nicht geben können. Nicht nur Kinder fühlen sich mit ihrem Kuscheltier vielfach besonders wohl - auch mancher Erwachsene benötigt auf Reisen sein ganz persönlichen Kopfkissen, um in der Fremde nachts einen ruhigen Schlaf zu finden.

Probleme mit den emotionalen Robotern haben offensichtlich weniger die im Einsatz mit dem Instrument geschulten Pfleger mit praktischer Erfahrung, als vielmehr die von der theoretischen Seite kommenden Autoren wie der katholische Theologe Jürgen Manemann, der den Einsatz von Emotionsrobotern bei pflegebedürftigen Menschen als gefühllos bezeichnet. Eine solche Sichtweise betrachtet die Nutzung emotionaler Roboter als Einfallstor für eine vollautomatisierte Krankenpflege, übersieht dabei jedoch geflissentlich, dass die heute oft praktizierte Minutenpflege mit der Stoppuhr und die Verordnung von ruhigstellenden Medikamenten die Würde der Patienten noch stärker beeinträchtigt, weil sie sich dagegen nicht wehren können. Der Pflegerobbe können sie bei Nichtgefallen jederzeit ihre Zuneigung entziehen.

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