Zweifel am Versammlungsverbot in Dresden

Die Begründung für die "konkrete Gefahr" muss offengelegt werden, bislang ist sie nicht nachvollziehbar

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Die Polizeidirektion Dresden, wegen mangelnden Aufklärungswillens bei einem Mord an einem Asylbewerber gerade in Kritik geraten, hat gestern für den heutigen Montag alle "öffentlichen Versammlungen und Aufzüge" verboten. Man beruft sich "auf Informationen des Bundeskriminalamtes und des Landeskriminalamtes Sachsen", die aber nicht näher ausgeführt werden. Es heißt lediglich, dass eine "konkrete Gefahr" bestünde.

Auf den ersten Blick ist nicht ganz verständlich, warum das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit im gesamten Stadtgebiet von Dresden für jedermann außer Kraft gesetzt wurde. Die "konkrete Gefahr" soll sich nur auf die Pegida-Demo beziehen - und überdies soll nur eine Person bedroht sein. Attentäter sollen aufgerufen worden sein, "sich unter die Protestierenden (Pegida-Demonstranten) zu mischen, um zeitnah einen Mord an einer Einzelperson des Organisationsteams der Pegida-Demonstrationen zu begehen".

Soll nun bei jedem Aufruf an Unbekannt, eine Tat zu begehen, die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden können? Schafft man jetzt in Dresden, der Hauptstadt der Pegida-Bewegung, einen Präzedenzfall, den Pegida mitsamt der AfD bereits instrumentalisiert, um zu erklären, dass eben dieses Verbot bereits auf die Islamisierung Deutschlands hinweise? So zumindest hat sich der brandenburgische AfD-Landeschef Alexander Gauland gestern bei Günter Jauch geäußert. Er hatte schon die Anschläge in Paris für seine Partei und Pegida benutzt und gesagt: "Vor diesem Hintergrund erhalten die Forderungen von Pegida besondere Aktualität und Gewicht."

Dass die Polizeidirektion keine Details über die Art der Bedrohung und die Autoren veröffentlicht, ist verständlich. Nicht verständlich ist aber die angesichts des Grundrechtseingriffs und der politischen Folgen viel zu lapidare Begründung. Ist ein Tweet auf Arabisch schon Beleg dafür, dass tatsächlich eine "konkrete Gefahr" vorliegt? Und wenn sich die Drohung nur gegen eine Person richtet, warum ist die Polizei in Dresden, das LKA und BKA mitsamt Verfassungsschutz nicht in der Lage, diese eine Person, es handelt sich um den vorbestraften Pegida-Organisator Bachmann, zu schützen? Hätte man nicht diesen auffordern können, die Demo nicht zu besuchen, und ihn zusätzlich unter Schutz zu stellen, anstatt alle Kundgebungen jeder Art zu verbieten?

Es wird nicht einmal erwähnt, dass ein Sprengstoffanschlag geplant wäre, was ja noch das umfassende Verbot verständlich machen könnte. Und es leuchtet auch dem gesunden Menschenverstand nicht ein, warum islamistische Terroristen ausgerechnet Bachmann ermorden wollen, der ja keineswegs allein für Pegida steht. Islamistische Terroristen wollen gemeinhin spektakuläre Anschläge ausführen, was sie in Paris wieder vorgeführt haben, also einen Sprengstoffanschlag auf eine Menge oder ein Massaker mit Schusswaffen.

Auch Frauke Petry von der AfD Sachsen ist erfreut über das Verbot, auch wenn es sprachlich nicht ganz klappt: "Friedliches Demonstrieren scheint derzeit in Dresden nicht möglich zu sein. Es ist den Organisatoren hoch anzurechnen, dass sie freiwillig auf die Durchführung der Demonstration verzichten. Für die Demokratie in Deutschland jedoch ist dies ein trauriger Tag, wenn sich das Recht der Versammlungsfreiheit durch Gewaltandrohungen gebeugt wird."

Manche Medienkommentare lassen verzweifeln. Hinterfragen ist nicht mehr angesagt, man schürt die Angst und ist obrigkeitstreu wie Reinhard Veser von der Faz, der kokett die Parole ausgibt: "Wir sind Dresden":

Muss die Losung "Je suis Charlie" nun von "Wir sind Pegida" abgelöst werden? Für die Initiatoren von Pegida und für die Dresdner Demonstranten gilt das gleiche wie für die Satiriker von "Charlie Hebdo": Der Angriff auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Angriff auf uns alle. Sollten Islamisten tatsächlich einen Anschlag auf die Kundgebung oder einen ihrer Organisatoren planen, dann planen sie einen Anschlag auf den Kern dessen, was unser Gemeinwesen ausmacht.

Islamisten mögen dies "planen" und darüber in den Sozialen Netzwerken schwätzen, aber gleich von einem Angriff auszugehen, ist doch etwas anderes. Zumal eben überhaupt nicht klar ist, wie ernst die Bedrohung ist und von wem sie ausgeht. Möglicherweise will jemand Bachmann Angst einflößen, ohne Islamist zu sein? Auf jeden Fall scheint die Logik zu zählen, dass der Feind meines Feinds zum Freund wird. So richtig positionieren will sich Jan Bielecki in der Süddeutschen nicht. Eher mau schreibt er: "Es darf auf Dauer aber keine Lösung sein, Demonstrationen zu verbieten, wenn sie nur brutal genug bedroht werden." Der Spiegel zitiert Politologieprofessor Hans Vorländer, der Dresden in einem "Belagerungszustand" sieht: "Das ist eine Stadt unter Stress mit einer tief gespaltenen Bürgerschaft." Da sorgt die Polizei mit dem Versammlungsverbot für Verstärkung.

Man bewegt sich in wahnhaften Welten

Nach Paris und Brüssel neigen die Sicherheitsbehörden und die Politik zu erhöhter Vorsicht. Aber es ist gefährlich mit der Angst zu spielen. Das wurde schon zu oft gemacht, um Sicherheit gegen Bürgerrechte auszuspielen. Nach Paris wurde gleich wieder die Vorratsdatenspeicherung gefordert, obgleich es diese in Frankreich gibt, jetzt kann ein Grundrecht schnell ausgehebelt werden, weil angeblich eine "konkrete Bedrohung" vorliegt. Immerhin beschäftigt sich der Innenausschuss des Sächsischen Landtags heute mit dem Versammlungsverbot. Grüne und Linke fordern, die Gründe für das Verbot auf den Tisch zu legen. Die Afd nutzt die Stimmung weiter aus: "Durch die konstante Verunglimpfung der Demonstranten durch Union, SPD, Linke und Grüne wurde die Situation nicht entspannt, sondern nur weiter verschärft", erklärte Fraktionschefin Frauke Petry. "Dresden Nazifrei" und "No Pegida" äußerten Verständnis für das Verbot. Terror vereint, so ist er, aber auch die Warnung vor ihm, auch gedacht. "Dresden Nazifrei" hatte zunächst noch so reagiert;

Solche Anschlagsdrohungen, denen wir uns übrigens von Seiten Pegidas seit Wochen ausgesetzt sehen, verurteilen wir generell! Sie sind keine Form politischer Auseinandersetzung. Gleichzeitig vertrauen wir weiterhin dieser Einschätzung nicht und teilen die Bedrohungslage nicht. Tatsächlich glauben wir, dass hier eine Umkehr der tatsächlichen Gefahr stattfindet, wenn Pegida von Täter_innen zu Opfern gemacht wird.

Aber es heißt auch:

Würden jedes mal, wenn im Internet ein Djihadist eine Drohung ausspricht, Demonstrationsverbote dieser Größenordnung ausgesprochen, wäre die Welt bald eine grundrechtsfreie Zone.

Das DeutschlandRadio hatte vor der Terrorwarnung ein Gespräch mit dem Risikoforscher Ortwin Renn geführt. Er machte klar, dass das Risiko, zum Opfer eines Terroranschlags in Deutschland zu werden, "extrem gering" sei. Eine Pilzvergiftung sei bedrohlicher. Die Terrorgefahr gleicht damit der Gefahr der Islamisierung in Dresden. Man bewegt sich in wahnhaften Welten. Für die Übertreibung des Risikos gab er auch den Medien Schuld: "Je öfter eine besondere Bedrohung visuell und informativ zur Verfügung steht, desto eher erscheint sie auch real." Man tappt also in die Falle der Medienagenturen der Terrortruppen und interessierter Politiker:

Wir haben weltweit ungefähr 8.000 Terroropfer in den letzten zehn Jahren, wenn man reinen Terrorismus nimmt, also nicht Bürgerkrieg. Das ist natürlich auch immer eine Frage, wo man das verändert, aber in Europa sind es weit unter tausend. Und von daher ist also, wenn man 300 Millionen Menschen sieht, die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich getroffen zu werden, extrem gering. Nur die symbolische Kraft jedes Mal ist groß. Und natürlich, was die Terroristen auch inzwischen wissen: Je zufälliger die Opfer, desto größer ist hinterher die Angst.