Bundesregierung will nicht pauschal Gedenkfeiern für Nazi-Kollaborateure verurteilen

Sevim Dağdelen fragte noch einmal nach, warum die deutsche Regierung nicht die UN-Resolution zur Bekämpfung der Glorifizierung des Nazismus unterstützt hat, die Antwort fiel schmallippig aus

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Im Dezember hat die UN-Vollversammlung eine Resolution zur Bekämpfung der Glorifizierung des Nazismus und anderer Praktiken mit großer Mehrheit verabschiedet, die Rassismus, rassistische Diskrimination, Xenophobie und damit verbundene Intoleranz schüren. Eingereicht hatte die Resolution Russland. Für den Resolutionsentwurf haben 115 Staaten gestimmt, 54 Staaten enthielten sich, 3 Staaten haben ihn abgelehnt. USA, Kanada und die Ukraine votierten mit Nein, die EU-Länder enthielten sich der Stimme, darunter auch Deutschland (Die neue Teilung der Welt). Sevim Dağdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke im Bundestag und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, fragte die Bundesregierung nach einmal genauer nach den Gründen der Ablehnung (Bundesdrucksache 18-3634).

In dem Hauptquartier des Euromaidan im besetzten Rathaus wurde der "Nationalheld" Stepan Bandera an prominenter Stelle geehrt. Bild vom 14. Januar 2014: spoilt.exile/CC-BY-SA-2.0

Nach der Resolution, die schon einmal 2012 eingereicht worden war, sollten Andenken an das Nazi-Regime, seine Alliierten und verbundener Organisationen verboten werden. Besorgt ist man über zunehmend mehr "extremistische" Parteien in den Parlamenten und dass traditionelle Parteien mit diesen Koalitionen eingehen. Umstritten war vor allem der Passus:

Bringt die tiefe Besorgnis über die Verherrlichung der Nazi-Bewegung, des Neo-Nazismus und früherer Mitglieder der Waffen-SS zum Ausdruck, eingeschlossen die Errichtung von Denkmälern und das Abhalten von öffentlichen Kundgebungen im Namen der Glorifizierung der Nazi-Vergangenheit, der Nazi-Bewegung und des Neo-Nazismus oder die Ehrung solcher Mitglieder und und derjenigen, die gegen die Anti-Hitler-Koalition gekämpft und mit der Nazi-Bewegung kollaboriert haben.

In der Antwort auf die Schriftliche Frage gab die Bundesregierung die Begründung:

Deutschland hat sich wie in den Vorjahren gemeinsam mit seinen Partnern in der EU der Abstimmung enthalten. Dafür war vor allem ausschlaggebend, dass der Entwurf Personen, die sich in den 1940er Jahren für die Unabhängigkeit der baltischen Staaten von der Sowjetunion eingesetzt haben, pauschal eine Verbindung zu den nationalsozialistischen Verbrechen unterstellt. […] Darüber hinaus enthält der Entwurf weitere problematische Formulierungen in Bezug auf das Recht auf Meinungsfreiheit, die Integrität der Vertragsorgane und des Universal Periodic Review-Verfahrens sowie in Bezug auf die Unabhängigkeit des VN-Sonderberichterstatters über zeitgenössische Formen des Rassismus, der Rassendiskriminierung, der Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz.

Am 3. Dezember hatte Staatsministerin Dr. Maria Böhmer auf die Frage von Andrej Hunko von der Linkspartei ebenfalls erklärt, dass die Resolution "Personen, die sich in den 1940er-Jahren für die Unabhängigkeit der baltischen Staaten von der Sowjetunion eingesetzt haben, pauschal eine Verbindung zu den nationalsozialistischen Verbrechen unterstellt". Deswegen hätten sich "einige EU-Mitgliedstaaten für eine Ablehnung (Neinstimme) des Entwurfs ausgesprochen". Weil man einheitlich auftreten wollte, habe sich die Bundesregierung als Kompromiss für eine Enthaltung eingesetzt.

Die Bundesregierung versteckt sich also hinter der Einigkeit, lehnt aber gleichzeitig "jede Verherrlichung des Nationalsozialismus kompromisslos ab". Das ist deswegen paradox, wie in der Kleinen Anfrage von Dagdelen und der Linksfraktion erläutert wird, weil eben in baltischen und osteuropäischen Staaten wie in Litauen, Lettland, Ungarn und auch der Ukraine, wo im Januar jährlich der Gedenkmarsch für Stepan Bandera und der Organisation ukrainischer Nationalisten (OUN) begangen wird. Es liegt auf der Hand, dass Moskau damit vor allem die Ukraine und deren Unterstützung durch den Westen unter Druck setzen wollte, Farbe zu bekennen.

Die Bundesregierung stieß sich an der "problematischen Formulierung", die zweimal in der Resolution vorkommt und die auch diejenigen umfasst, die gegen die Anti-Hitler-Koalition gekämpft und mit der Nazibewegung kollaboriert" haben. Man habe vorgeschlagen, diese Passage zu streichen oder hinter den Worten "und mit der Nazibewegung kollaboriert" einzufügen: "und an der Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt waren".

Im Hinblick auf den ukrainischen Nationalhelden Stepan Bandera und die OUN, die an einem Massaker in Lemberg beteiligt war und zeitweise mit den Nazis paktiert hatte, wäre auch diese Formulierung für Deutschland problematisch geworden, schließlich finden eben in der Ukraine weiterhin Gedenkmärsche wie zuletzt Anfang Januar statt und ist auch die ukrainische Regierung weiterhij geneigt, Bandera zu vereinnahmen, um seinen "patriotischen" Kampf gegen die Sowjetunion mit dem jetzigen Kampf gegen Russland zu verbinden.

Näher geht die Bundesregierung nicht darauf ein, warum sie nicht "pauschal" Kollaborateure verurteilen will. Hingewiesen wird auch auf mögliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit, ohne dies weiter auszuführen. Man wollte die Passagen streichen, mehr Argumente, also mehr Angriffsfläche für die äußerst fragwürdige Ablehnung der Resolution, will man nicht geben, der Solidaritätsdruck scheint zu groß zu sein, um womöglich Risse in der gegenwärtigen Anti-Russland- und Pro-Ukraine-Koalition über Fragen zum Faschismus und faschistischer Bewegungen zu riskieren. Die Bundesregierung verweist zum Selbstschutz lediglich darauf, dass der "Umgang mit der eigenen Geschichte vor allem Aufgabe der betroffenen Gesellschaften und Regierungen" sei, also kann man getrost wie in der Ukraine, ohne auch nur ein Wort zu verlieren, eine rechtsnationalistisch geprägte Übergangsregierung und jetzige Regierungsparteien unterstützen, die rechtsnationalistische Mitglieder beispielsweise in Form von Milizenkommandeuren besitzen. Gefeiert wird in der Ukraine offen der Jahrestag der Gründung der 14. Waffen-SS-Division "Galizien", die an Massakern beteiligt war. Das war auch im April 2014 unter der damaligen Übergangsregierung in Lwiw geschehen. In den baltischen Staaten gibt es ähnlichen Waffen-SS-Feiern.

Für Sevim Dağdelen ist es "gerade vor dem Hintergrund des 70. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus unerträglich, dass die Bundesregierung die Verherrlichung von Angehörigen der Waffen SS für unbedenklich erklärt. Es ist ein geschichtspolitischer Tabubruch, dass die Bundesregierung sich sogar schützend vor die baltischen Staaten und die Ukraine hinsichtlich ihrer Feiern für Nazi-Kollaborateure stellt. Ich fordere die Bundesregierung auf in Zukunft jede Verherrlichung faschistischer Massenmörder unmissverständlich zu verurteilen."