Whistleblower Bill Binney erhält Sam Adams Award

Vormaliger technischer Direktor der NSA warnt vor totalitärem Geheimdienst

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Einen Steinwurf entfernt von der US-Botschaft in Berlin trafen sich am Donnerstagabend "Unter den Linden" etliche Ex-Geheimdienstler zur jährlichen Verleihung des nach dem CIA-Analysten benannten Sam Adams benannten Whistleblowerpreises. Adams war 1968 während des Vietnamkriegs an die Öffentlichkeit gegangen, die von der US-Regierung belogen wurde. Dieses Jahr wurde die Auszeichnung an William Binney vergeben, einem der Architekten der NSA, der jedoch die massiven Eingriffe in die Bürgerrechte nach 2001 nicht mehr mittragen wollte.

Der Mathematiker William Binney arbeitete 36 Jahre lang für die NSA und fungierte zuletzt als deren technischer Direktor. Als der Geheimdienst während der Bush-Ära begann, massenhaft die eigene Bevölkerung zu überwachen und auch Daten etwa von US-Justizbehörden abgriff, erinnerte dies Binney an totalitäre politische Systeme, gegen die der Dienst einst geschaffen worden war.

Binney, der die NSA insoweit mit dem KGB verglich, verließ die den übermächtigen Geheimdienst, um die Regierung von der massenhaften Verletzung verfassungsmäßiger Rechte der US-Bevölkerung abzubringen. Seine Versuche, den Kongress und die Bundesanwaltschaft zu warnen, resultierten 2006 in einer Festnahme durch das FBI.

Die Verhaftung grenzte an Realsastire, denn wegen der Geheimhaltung durften die FBI-Agenten nicht wissen, wessen genau Binney beschuldigt wurde, während der Festgenommene zwar über Taten von Bush, Cheney und den damaligen NSA-Chef Hayden aussagen konnte, aber nicht durfte, weil den FBI-Agenten die zur Geheimhaltung erforderliche Clearance fehlte. Die jedoch besaß Binneys Kollege Thomas Drake.

Binney löste das juristische Problem, in dem er über die Staatsgeheimnisse nicht direkt aussagte, sondern darüber detailliert mit Drake telefonierte - wissend, dass das FBI Drakes Telefon abhörte.

Der Preisträger engagiert sich seither bei den Veteran Intelligence Professionals for Sanity, die sich gegen den Missbrauch von Geheimdienstinformationen (etwa zu Kriegszwecken) einsetzt.

William Binney bei der Preisverleihung. Foto: Markus Kompa

Letztes Jahr sagte Binney als bislang hochkarätigster Zeuge im Bundestag vor dem NSA-Untersuchungsausschuss aus. So erfuhren die deutschen Parlamentarier durch ihn von der bis dahin bemäntelten engen Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND und der NSA sowie deren Fähigkeit, den Großteil der innerdeutschen Kommunikation aufzufangen. Außerdem schrieb die Gruppe einen offenen Brief an Angela Merkel, in dem die Bundeskanzlerin vor Desinformation im Ukraine-Konflikt gewarnt wird.

Humor als Voraussetzung für Whistleblower

Bei der Laudatio betonte Ex-CIA-Analyst Ray McGovern Binneys Sinn für Humor, den man sich bewahren müsse, um als Whistleblower zu bestehen. McGovern war unter Reagan und George Bush senior für das morgendliche Briefing im Weißen Haus zuständig und ist inzwischen selbst ein vehementer Kritiker der US-Geheimpolitik. Er ermutigte Whistleblower, mit ihrem Schritt nicht damit zu warten, bis ein Krieg bereits im Gange sei, wie es bei Sam Adams der Fall war.

Zur Preisverleihung fanden sich denkbar renommierte Whistleblower aus der Geheimdienstwelt ein:

  • Die MI5-Analystin Annie Machon machte in den 1990er Jahren öffentlich, dass der Geheimdienst ihrer Majestät Journalisten und mit der Geheimdienstkontrolle befassten Parlamentariern hinterherschnüffelte.
  • Die vormalige GCHQ-Mitarbeiterin Katharine Gun wollte es im Vorfeld des Irakkriegs nicht mittragen, dass die britischen Abhörer im Auftrag der NSA Diplomaten ausspionieren sollten, um diese gegebenenfalls zu erpressen.
  • Der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, konnte sich nicht damit abfinden, dass der dortige Geheimdienste sich der Folter bediente - etwa in der Form, dass Menschen in kochendem Wasser getötet wurden.
  • FBI-Mitarbeiterin Coleen Rowley war mit dem eigenartigen Versagen der Bundespolizei vor dem 11. September befasst und reichte ihren Bericht eigenmächtig an zwei Senatoren weiter.
  • Kryptolinguist Thomas Drake, der für die NSA im Kalten Krieg die DDR überwachte, leakte Informationen über das damals geheimste Abhörprogramm Trailblazer, nachdem seine Kritik hieran auf taube Ohren gestoßen war.
  • Die vormalige Ethik-Beauftragte des US-Außenministeriums, Jesselyn Radack, wunderte sich über die Akzeptanz der Behörden für Folter, weshalb sie den Dienst quittierte und seither als Rechtsanwältin für Whistleblower kämpft.
  • Ein US-Anwalt von Guantánamo-Häftlingen sprach über die während der Bush-Ära eingeleiteten Abbau von Bürgerrechten und Demokratie und Ernst Fraenkels Analyse der Entwicklung des NS-Staats nach dem Reichstagsbrand, den er mit 9/11 verglich.

Unter den Gästen befand sich auch Julian Assanges "Agentin" Sarah Harrison, die Edward Snowden aus Honkong ausgeschleust hatte, sowie der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele.

Die Chancen, dass Whistleblower und solider Journalismus Kriege in unserer scheinbar aufgeklärten Informationsgesellschaft verhindern können, stehen allerdings schlecht. Kein Aufschrei war in den Medien hörbar, als Berlin der Regierung in Kiew die Militäroffensive finanziell subventionierte. Stattdessen tischen uns öffentlich-rechtliche Medien obskure Falschmeldungen über politische Gegner auf, während atlantisch gut vernetzte Schreiber unerwünschte Kritiker dämonisieren.

Die Preisverleihung wurde von der Meldung über die drakonische Verurteilung des US-Journalisten Barrett Brown überschattet, der über den privaten US-Geheimdienst Stratfor informierte.

Auch Edward Snowden wurde live aus Moskau zugeschaltet. Die Tatsache, dass Snowden nicht persönlich in Berlin anwesend sein konnte, sagt über die wirklichen Machtverhältnisse einiges aus. Statt das Ausspähen der eigenen Bevölkerung effizient zu unterbinden, bezahlt der deutsche Staat sogar hierfür rund eine Milliarde Euro an Steuergeldern.

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