"Kein Frieden mit der NATO!"

Der Historiker und Geschäftsführer der Initiative "Internationale Juristen und Juristinnen gegen den Atomkrieg" Reiner Braun zu den Protesten gegen die Sicherheitskonferenz

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Während sich auf der 51. Münchner Sicherheitskonferenz Politiker und Experten hinter verschlossenen Türen treffen, um sich nach Selbstdarstellung in Gesprächen und Diskussionen "der Förderung friedlicher Konfliktlösung und internationaler Kooperation beim Umgang mit gegenwärtigen und zukünftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen" zu widmen, protestierte vor diesen Türen ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis gegen diese Zusammenkunft. Das sei notwendig, so heißt es im Aufruf, da die Konferenz entgegen ihrer Selbstdarstellung weder dem Frieden noch der Sicherheit diene, sondern vielmehr eine "Versammlung wirtschaftlicher, politischer und militärischer Machteliten vor allem aus den NATO-und EU-Staaten, die sich über Strategien zur Aufrechterhaltung ihrer globalen Vorherrschaft und über gemeinsame Militärinterventionen verständigen" darstelle.

Demo gegen die Sicherheitskonferenz. Bild: Angelika Wilmen

Herr Braun, Sie sind Geschäftsführer der deutschen Sektion der International Association of Lawers Against Nuclear Arms (IALANA), die wie andere Organisationen auch zu Protesten gegen die vom 6. bis 8. Februar stattfindende 51. Münchner Sicherheitskonferenz aufgerufen hat.Was hat Sie dazu bewegt?

Reiner Braun: Die IALANA als juristische Friedensorganisation lehnt Krieg und Gewalt ab. Dabei wenden wir uns besonders gegen Verstöße gegen das Völkerrecht, beispielsweise also gegen die Waffenlieferungen und den Bundeswehreinsatz im Nordirak, der gegen das Grundgesetz verstößt.

Die sogenannte Sicherheitskonferenz ist für uns tatsächlich eine Unsicherheits-, Militarisierungs- und Aufrüstungskonferenz. Verhandlungen, Kooperationen, zivile Konfliktlösungsmechanismen und Prävention spielen hier nur eine untergeordnete Rolle und werden bestenfalls wohl als zivil-militärische Faktoren thematisiert. Dabei haben doch die Kriege der letzten 10 Jahre erneut gezeigt, dass durch sie die Probleme der Menschheit nicht lösbar sind. Vielmehr verschärfen sie die politische und soziale Situation und sind eine humanitäre Katastrophe. Und Kriege führen auch zu immer mehr Kriegen und Konflikte, die IS ist ein eklatantes Beispiel hierfür. Denn ohne die völkerrechtswidrigen Kriege in Afghanistan und Irak würde heute keiner über IS reden müssen.

Besonders verwerflich ist aber auch der weltweite Rüstungsexport. Das Grundgesetz und gesetzliche Grenzen, so schwach sie schon sind, werden unter anderem bei der Waffenlieferung in den Irak aktuell einfach ausgehebelt. Dabei sind sie besonders kriegs- und konfliktverschärfend und töten täglich Menschen, insbesondere Zivilisten. Sie sichern allerdings die gigantischen Profite der Rüstungsindustrie.

Das Gewaltverzichtsgebot der UN und das Friedensgebot des Grundgesetzes, das sind für uns die Leitmotive unseres Handelns, und damit stehen wir in vollständiger Opposition zur sogenannten Sicherheitskonferenz, die zuallererst auf die Faktoren Krieg und Gewalt setzt und baut.

Demo gegen die Sicherheitskonferenz. Bild: Angelika Wilmen

Inwiefern denn genau? Sicherheit ist doch nicht dasselbe wie Krieg und Gewalt…

Reiner Braun: Und ob. Zumindest dann, wenn diese "Sicherheit" vor allem unter der Fragestellung thematisiert wird, wie man eine aus den Fugen geratene Welt wieder unter die hegemoniale Kontrolle der 1. Welt oder der NATO-Staaten bekommt.

Die Antworten auf diese Frage sind dann in aller Regel genauso einfallslos wie brutal: Fortsetzung und Intensivierung der militärischen Machtstrukturen, Ausbau der NATO, besonders ihrer Truppen im Osten sowie ihrer Militärstützpunkte, Intensivierung der vorhandenen Kriege, hier besonders gegen IS, wobei es de facto um nichts anderes als die hegemoniale Kontrolle einer der wichtigsten Ressourcenregion geht. Und eben: NAT0- Einfluss bis an die Grenze zu Russland ausbauen unter Fortsetzung der ökonomischen Kontakte zu Russland. Hier versucht der Westen, zwei Interessen zu kombinieren. Ob dies allerdings gelingt, ist offen. Gefährlich ist es allemal, weil nämlich keiner auf Nuklearwaffen und konventionelle Kriege zu verzichten bereit ist. Und auch der Krieg in der Ukraine soll als Mittel zum Zweck verstetigt werden.

Eine Eskalationsdynamik dieser Entwicklungen ist nicht auszuschließen, deshalb ist die Warnung vor einem auch großen Krieg, wie sie Wimmer und Gorbatschow inzwischen ausgesprochen haben, auch nicht etwa "Alarmismus" oder "Verschwörungstheorie", sondern stellt eine realistische Analyse und Einschätzung der aktuellen Situation dar. Hier ist es auch schlicht kaum zu glauben, was in NATO-Dokumenten zu einem sogenannten "major war" bereits alles geschrieben steht. Die Friedensbewegung müsste daher eigentlich noch viel, viel lauter vor solch einer Entwicklung warnen, als sie dies bereits tut.

Demo gegen die Sicherheitskonferenz. Bild: Reiner Braun

Können Sie das bitte anhand eines Beispiels einmal konkreter skizzieren?

Reiner Braun: Neben den über 40 aktuellen Kriegen und mehr als 100 kriegerischen Konflikten sind wohl die 1,7 Billionen Dollar, die wir jedes Jahr für die Rüstung ausgeben, das dramatischste Beispiel für eine verhängnisvolle Entwicklung angesichts von Hunger, Armut und Unterentwicklung. Und diese Sicherheitskonferenz hat eben die zentrale Aufgabe, den Druck für die Erhöhung der Rüstungsausgaben auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in noch mehr Ländern mehrheitsfähig zu machen und durch die Intensivierung konkreter Feindbilder dies auch in den Köpfen der Menschen abzusichern. Sie ist daher immer auch ein "Kampf um die Köpfe", weswegen auch der Bundespräsident wieder mitwirken wird, der ja seine zentrale Aufgabe ganz offensichtlich darin sieht, die Bevölkerung, salopp ausgedrückt, wieder "kriegsreif zu schießen".

Und wie verliefen die Proteste vor Ort? Was ist geschehen? In den Zeitungen war dieser Tage ja vor allem von massiven Schutzmaßnahmen für die Konferenz zu lesen und auch allgemein eine Art "ideologische Mobilmachung" gegen die Friedensbewegung, die sich zuvor auch bereits anderweitig bemerkbar gemacht hatte, zu beobachten. Stellten die Demonstrierenden denn eine "Bedrohung" für die sich demokratisch gebärdende Konferenz dar?

Reiner Braun: Nun, unsere Aktionen sind nur für jene eine Bedrohung, die Kriege führen und intensivieren wollen. Die völlig überzogenen Sicherheitsmaßnahmen offenbaren dabei mehr die Verunsicherung und Angst vor der eigenen Bevölkerung. Insofern sehe ich es eher andersherum: Die 400 Teilnehmerinnen sind in ihrer großen Mehrheit ein so großer Unsicherheitsfaktor für uns als Bürgerinnen und Bürger, dass sie deswegen abgesichert werden mussten. Der Unfrieden muss hier sozusagen vor der friedlichen Bevölkerung geschützt werden.

Demo gegen die Sicherheitskonferenz. Bild: Angelika Wilmen

Und wie verlief die Demonstration heute nun genau? Gab es Störungen von außen oder aus der Demonstration selbst heraus? Und wie haben sich Sevim Dagdelem und Konstantin Wecker gemacht?

Reiner Braun: Bunt und vielfältig präsentierte sich die Demonstration, die bei deutlichen Minusgraden lautstark durch München zog. "Nein zu Krieg und nein zu NATO, wir wollen Frieden!" In der Breite und Vielfalt war dieser Demonstrationszug mit etwa 5.000 Menschen beeindruckend. Pax Christi und Linke, IPPNW und Versöhnungsbund, DFG-VK-Fahnen sowie das Münchner Friedensbündnis und Montagsmahnwachen-Transparente waren neben vielen anderen Initiativen mit dabei und gaben ein buntes Bild des Friedenswillens gegen diese Unsicherheitskonferenz, die Krieg als Mittel der Politik propagiert und immer militaristischer bewirbt, ab. Und auch Sympathien der Bevölkerung begleiteten die Demonstration. In ihrer Rede wandte sich Sevim Dagdelem eindringlich gegen die NATO als Kriegsbündnis und forderte deren Abschaffung. Und Konstantin Wecker brachte in seinen Friedensliedern die Friedenssehnsucht und den Friedenswillen zum Ausdruck.

Fakt ist und bleibt aber zugleich: Eine neue Politik des Friedens muss erst noch erstritten werden. Moderatere Worte wären keine Friedenspolitik. Friedenstaten sind notwendig. Sie stehen jedoch noch aus - auch und gerade nach der Reise von Merkel und Hollande nach Kiew und Moskau.

Demo gegen die Sicherheitskonferenz. Bild: Angelika Wilmen

Und in Anbetracht dieser Tatsachen: Wie soll und wird es nun für die Friedensbewegung weitergehen?

Reiner Braun: Bei all der positiven Wertung der Demonstration darf nicht übersehen werden: Die Wiederbelebung der Friedensbewegung, die mit den Demonstrationen des Friedenswinters am 13. Dezember 2014 begonnen hat, ist ein längerer und kein einfacher Prozess. Noch sind wir weit von der notwendigen Massenbewegung der 80er Jahre entfernt. Diese ist aber angesichts der Kriege, der weltweiten Militarisierung und der fast permanenten Aufrüstung mehr als notwendig.

Die Herausforderung, hier vor Ort, in jeder Region weiter verstärkt am Ball zu bleiben, wird daher auch die nächsten Wochen und Monate bestimmen, in denen viele weitere Aktionen folgen werden, die auch notwendig sind, wenn das stärkste Militärbündnis der Welt überwunden werden soll. Der 70. Jahrestag der Befreiung Deutschlands und Europas von Krieg und Faschismus im Mai 2015 soll dabei zum nächsten unübersehbaren Zeichen gegen jede Form von Kriegen, für Abrüstung sowie für eine Politik der Kooperation und des Dialogs werden. Am 9. Mai gibt es deswegen eine bundesweite Demonstration…

Reiner Braun, geboren 1952 in Braunschweig, studierte Germanistik und Geschichte sowie Journalistik. Er ist seit 1981 in der Friedensbewegung aktiv, war ab 1982 Büroleiter und später auch Initiator der "Krefelder Initiative gegen den Atomtod". Ab 1982 war er aktiv bei den "Naturwissenschaftlern für den Frieden", von 1987 bis 2001 ihr Geschäftsführer. Aktuell ist er Geschäftsführer der deutschen und internationalen IALANA (International Lawyer against Nuclear Arms) und zudem Autor und Herausgeber verschiedener Bücher zu Frieden und Nachhaltigkeit, darunter unter anderem "Einstein und Frieden", "Joseph Rotblat - one life for peace" und "Future of Food".