Geheimdienstakten zum Oktoberfestattentat bleiben geheim

Bundesregierung will "selbst ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens unter keinen Umständen hinnehmen"

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Am 26. September 1980 sprengte eine Bombe auf dem Oktoberfest in München 13 Menschen in den Tod und verletzte weitere 211 teilweise so schwer, dass sie ihr restliches Leben lang litten oder noch leiden. Damals kam die Polizei recht schnell zum Ergebnis, dass die Bombe von einem Einzeltäter namens Gundolf Köhler gezündet wurde, der dabei selbst sein Leben verlor. Im Laufe der letzten fast 35 Jahre kamen jedoch immer mehr Merkwürdigkeiten ans Tageslicht, die Zweifel an dieser Einzeltätertheorie wachrufen.

So meldete sich beispielsweise eine Krankenschwester aus Hannover, die unmittelbar nach dem Attentat einen jungen Mann mit abgerissener Hand behandelte, der sich ausgesprochen merkwürdig benahm und die Klinik vorzeitig verließ. Er könnte möglicherweise ein Mittäter gewesen sein, dessen Hand damals unter den verstreuten Leichenteilen gefunden und nicht eindeutig zugeordnet werden konnte. Weil sich zur Hand passende Fingerabdrücke zwar nicht in Gundolf Köhlers Auto, aber in dessen Unterlagen fanden, verbuchten die Ermittlungsbehörden das Körperteil schließlich als Überbleibsel des Täters und ließen sie 1997 ohne vorherigen Gentest vernichten.

Weil viele der Merkwürdigkeiten auf die Wehrsportgruppe Hoffmann verweisen, forderte die Linkspartei in einer kleinen Anfrage, dass die Bundesregierung die im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat angelegten Geheimdienstakten dem Bundestag zugänglich macht. Das lehnte das Bundesinnenministerium jetzt ab. Als Grund gibt Ministeriumsvertreter Günter Krings an, die Informationen seien "so sensibel, dass selbst ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens unter keinen Umständen hingenommen werden kann".

Vorher wird in dem Antwortschreiben, das Telepolis vorliegt, unter anderem erklärt, dass die Aufdeckung der Identität von Quellen, die sich in einem "extremistischen und gewaltbereiten Umfeld bewegen", dazu führen könnte, "dass das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der jeweiligen Personen gefährdet wäre". Dazu, warum der Schutz von Informanten nicht einfach (wie in anderen Fällen üblich) durch Schwärzung von Namen und anderen Erkennbarkeitsdaten gewährleistet werden kann, macht Krings keine Angaben.

Denkmal für die Opfer des Oktoberfestattentats. Foto: Muenih. Lizenz: Public Domain.

Dafür geht aus der Antwort hervor, dass beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zwischen 1980 und 1985 insgesamt fünf Quellen Angaben zum Oktoberfestattentat machten. Beim Bundesnachrichtendienst, der eigentlich nur für die Auslandsspionage zuständig ist, liegt eine Quellenmeldung aus dem Jahr 1981 vor. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass es in der Meldung um die Wehrsportgruppe Hoffmann geht, deren Kader sich nach einem bundesweiten Verbot im Januar 1980 teilweise in den Libanon absetzten und dort mit arabischen Extremisten zusammenarbeiteten.

Bei der BND-Quelle handelt es sich möglicherweise um den ehemaligen Informanten Ulrich Behle, auf den die Geheimhaltungsbegründung der Bundesregierung insofern nicht passen würde, als er sich bereits selbst als Ex-V-Mann geoutet hat. Ihm hatte nach eigenen Angaben ein Kellner in einer Bar in Damaskus erzählt, dass seine Wehrsportgruppe hinter dem Oktoberfestattentat steckte und dass es dort eine zweite Bombe gegeben habe. Das würde zu Aussagen von Oktoberfestbesuchern aus Ingolstadt passen, die von einer Stichflamme und einer möglichen Fehlzündung eines Sprengkörpers berichteten.

Das BfV legte seine Erkenntnisse zum Oktoberfestattentat dem Antwortschreiben des Bundesinnenministeriums nach chronologisch in der Sachakte "Sprengstoffanschlag (Oktoberfestattentat) am 26. September 1980" ab, die bisher weder thematisch untergliedert noch vernichtet wurde. Der BND hat einen Teil seines Aktenäquivalents dazu vor einem Jahr an das Bundesarchiv abgegeben, wo es "unter der Bezeichnung B206/3009 für jedermann einsehbar" ist. Der nicht öffentliche Teil dieser Akte soll weiterhin geheim bleiben.

Ob die Bundesanwaltschaft, die seit dem 11. Dezember 2014 erneut zum Oktoberfestattentat ermittelt, Zugang zu diesem Aktenmaterial hat, ist unklar. Auf eine Anfrage von Telepolis heißt es dazu aus Karlsruhe, man gehe "im Rahmen des wiederaufgenommenen Ermittlungsverfahrens […] allen Ansatzpunkten zur Aufklärung der Hintergründe des Oktoberfestattentats erneut und umfassend nach" und ersuche "alle in Frage kommenden Behörden […], gegebenenfalls vorhandene Akten und Unterlagen zu dem Attentat zu übermitteln. "Mit Blick auf die laufenden Ermittlungen" könne man jedoch "zu weiteren Einzelheiten keine Auskünfte erteilen".

Eine Stelle, die dem Ersuchen des Generalbundesanwalts nachkam, ist das bayerische Innenministerium, das unlängst die Spurenakten des Landeskriminalamtes und etwa 80 Wehrsportgruppe-Hoffmann-Aktenordner aus dem Hauptstaatsarchiv freigab. Der Opferanwalt Werner Dietrich, der die neuen Ermittlungen durchsetzte, geht jedoch davon aus, dass es in Behörden noch Akten gibt, die nicht mit dem Oktoberfestattentat verschlagwortet und nicht von der Bundesanwaltschaft angefordert wurden, aber trotzdem zur Aufklärung beitragen könnten.

In der Augsburger Allgemeinen hat sich währenddessen Max Strauß, der Sohn des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten, mit einer eigenen Theorie zum Oktoberfestattentat zu Wort gemeldet: Der damals über seinen Vater in Lagebesprechungen eingebundene ehemalige Polithoffnungsträger hält einen Auftrag der italienischen Geheimloge Propaganda Due (P2), die in Italien eine wichtige Rolle in den Stay-Behind-Aktivitäten spielte, für wahrscheinlicher als eine einsame Tat eines Geologiestudenten - Beweise oder Indizien dafür bleibt er bislang schuldig.

Mehr zu diesem Thema finden Sie im Telepolis-Dossier Gladio, Stay behind und andere Machenschaften

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