Überwachung: Doppelzüngigkeit beim "französischen Patriot Act"

Der Regierung wird vorgeworfen, dass sie das Ausmaß der Überwachungsmöglichkeiten für Geheimdienste verharmlost

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Um nur einen Punkt herauszugreifen: Das neue Gesetz Frankreich: Geheimdienstüberwachung ohne richterliche Ermächtigung) autorisiert die geheimdienstliche Überwachung, wenn "essentielle ökonomische und wissenschaftliche Interessen Frankreichs" betroffen sind. Die Spielräume, die diese weich markierten Kategorien eröffnen, sind offensichtlich. Wann ökonomische und wirtschaftliche Kerninteressen berührt werden, darüber befinden hauptsächlich die politischen Maßgaben, nicht juristische. Das neue französische Geheimdienstgesetz vollzieht eine Schwerpunktverlagerung der Kontrolle über die Überwachung, weg vom juristischen hin zum politischen. Dass damit viele Möglichkeiten zum Missbrauch geschaffen werden, daran stoßen sich gegenwärtig nur wenige in der französischen Öffentlichkeit. Das ist ein bemerkenswertes Phänomen.

Im Parlament hat das Gesetz kaum Opposition. Es wird von den regierenden Sozialdemokraten eingebracht, die konservative UMP hat ihr Einverständnis erklärt und bleibt den Debatten fern. Gestern waren zur Vorstellung des Gesetzesentwurfs etwa 30 Parlamentarier in der Nationalversammlung (577 Abgeordnete) anwesend. Die Medien konstatieren den sonderbaren Fakt, dass nur die Abgeordneten der "Grünen" (Europe Écologie - Les Verts) und des Front National sich im Namen der Bürgerrechte gegen das Geheimdienstgesetz stellen. Die Kritiker in den beiden Lagern der großen Parteien sind rar.

Selbstverständlich gibt es Bürgerrechtsorganisationen, Datenschützer und Juristen, die "Expansion von Überwachungsbefugnissen" kritisieren und und den Gesetzesentwurf dem berüchtigten amerikanischen "Patriot Act" gleichstellen. Aber Kritik und Empörung scheinen zu verpuffen, ohne Wirkung zu bleiben. Es gibt Webseiten, die das neue Gesetz genau analysieren, aber deren Wirkung auf Debatten ist kaum zu spüren. Noch nicht?

Auch im Fall des Hadopi-Gesetzes zur umfassenden Überwachung und anschließender Bestrafung von "File-Sharern" hat es vor einigen Jahren ziemlich gedauert, bis sich die Opposition zum Gesetz derart mobilisierte, dass sich der Widerstand im Parlament deutlicher zeigte und das Gesetz in der Öffentlichkeit großen Kontoversen unterzogen wurde. Möglicherweise geschieht dies auch beim neuen Gesetz zur Arbeit der Geheimdienste. Nur: Die Opposition gegen das Gesetz würde zu spät kommen. Es wird derzeit mit einem Eilverfahren durchs Parlament gebracht.

Gegen eine öffentlich wirkungsvolle Gegenrede spricht auch, dass die Öffentlichkeit in Frankreich seit den Attentaten im Januar und den dazu folgenden Solidaritätskundgebungen augenblicklich nicht "den Nerv" für Kontroversen und Skrupel gegen ein Überwachungsgesetz hat, das mit dem Emblem "Anti-Terror"-Gesetz versehen ist. Doch ist die Demonstration einer wachen Gegenwehr gerade bei diesem Gesetz nötig, weil es, wie oben angedeutet, den politischen Faktor der Autorisierung von Überwachung stark betont. Bürgerrechtler müssen, wie es aussieht, auf die vage Hoffnung bauen, dass eine Mobilisierung, die das Gesetz im Nachhinein in die Mangel nimmt, die Missbrauchsspielräume durch genaues Auf-die-Finger-schauen begrenzen kann.

Ein realer Ansatzpunkt dafür ist durch einen Passus im Gesetzesentwurf gegeben, der dem Überwachten gestattet, die Kontrollinstanz, die "Commission nationale de contrôle des techniques de renseignement" (CNCTR) anzurufen, wenn sie oder er illegal überwacht wird. Ein Richter würde in diesem Fall entscheiden. Nicht auszuschließen ist die Möglichkeit, dass ein eklatanter Fall öffentlich würde und das Gesetz neu in die Debatte bringt. Aber das sind pure Spekulationen.

Die Mehrheitsverhältnisse sprechen derzeit eindeutig für das neue Gesetz. Dass die Sozialdemokraten dabei nicht unbedingt nur gute Gefühle haben, zeigt sich an der "gespaltenen Zunge", die sie laut Textanalysen offenbaren. Der Observateur hat die Texte, mit der Regierungsvertreter das Gesetz präsentieren, mit dem Gesetzestext verglichen und dabei mehrere signifikante Ungleichheiten festgestellt.

So würde Jean-Jacques Urvoas zum Beispiel vor den Abgeordenten davon sprechen, dass es sich um eine Überwachung handele, die auf Personen beschränkt sei, die eine verstärkte Drohung darstellen, mit ernsthaften Motiven. Der Gesetzestext selbst liefert sieben Gründe - wie zu Anfang genannt ökonomische oder wissenschaftliche Kerninteressen - die die öffentliche Ordnung stören könnten und damit eine Überwachung rechtfertigen, die "Verhinderung von Terrorismus" ist nur einer der Gründe.

Die Publikation Nextinpact hat die "falschen und wahren Aussagen" zum neuen Gesetz gegenübergestellt. Daraus läßt sich ablesen, dass die neue Gesetzgebung Massenüberwachung ermöglicht, aber auch dass das bisherige Gesetz dagegen kaum Schutz bot. Der Unterschied ist, dass nun umstrittene Methoden legitimiert werden.