"Genosse Sigmar Gabriel hätte ich persönlich zum Duell gefordert!"

Interview mit Ferdinand Lassalle zur geplanten Neugründung der SPD

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Der Sozialreformer, Rechtsphilosoph und Dramatiker Ferdinand Lassalle strebt eine Neugründung der sozialdemokratischen Partei (SPD) an, weil er die Ideale u.a. der Arbeiterbewegung verraten sieht. Telepolis-Gespräch mit Lassalle über dessen Verhältnis zur ältesten deutschen Volkspartei.

Herr Lasalle, Sie wollen demnächst die Sozialdemokratische Partei Deutschlands neugründen. Haben wir denn nicht schon eine?

Ferdinand Lassalle: Formaliter: Ja! Realiter: Nein! Und daher werden wir zunächst provisorisch den Sozialistischen Arbeiterverein von 1863 neugründen, aus dem ja 1875 die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hervorgegangen ist. § 4 Parteiengesetz schreibt nämlich vor, dass sich der Name einer neuen Partei von dem einer bereits bestehenden Partei deutlich unterscheiden muss.

Wir werden dann die SPD wegen irreführender Werbung abmahnen und auf Unterlassung des Namens "Sozialdemokratische Partei Deutschlands" in Anspruch nehmen. Wenn der Name wieder frei wird, werden wir diesen als erworbenes Recht für uns beanspruchen!

Was kritisieren Sie denn an der bisherigen SPD?

Ferdinand Lassalle: Zunächst bestehe ich darauf, diese bourgeoisen Hochstapler fortan als "Nicht-SPD" zu bezeichnen. Meine Probleme begannen bereits 1918 mit der Rolle der SPD gegen den Spartakus-Aufstand. Die Verwicklung in die Ermordung der Genossin Rosa Luxemburg und des Genossen Karl Liebknecht sehe ich sehr kritisch. Große Bauchschmerzen hatte ich auch mit dem Nato-Doppelbeschluss von Kanzler Genosse Helmut Schmidt.

Als glühender Verfechter von Redefreiheit und Demokratie konnte ich mich vor allem nicht mit einem "Basta"-Kanzler wie dem Genossen Gerhard Schröder identifizieren. Indem die SPD den einstigen Sozialstaat zur Hartz-4-Diktatur pervertiert und den freien Arbeiter damit zum Bittsteller entwürdigt hat, hat sie ihre Klientel aus Arbeiterschaft und Proletariat verraten. Salonsozialist Genosse Peer Steinbrück war nicht einmal salonfähig.

Seit der Mitwirkung am Tarifeinheitsgesetz sind aus meiner Sicht in der Nicht-SPD die letzten Spurenelemente von Sozialdemokratie beseitigt. Die Schwächung kleinerer Gewerkschaften ist unsolidarisches Verhalten. Und schließlich: Wer möchte sich für eine Partei verwenden, die unwidersprochen Verräterpartei genannte wird?

Ferdinand Lassalle (1860)

Wäre für Sie denn nicht die Partei "Die Linke" attraktiv?

Ferdinand Lassalle: Ha! Lächerlich! Im linken Lager wird doch dauernd nur gestritten und gegeneinander gearbeitet. Ich hatte mich bekanntlich schon mit Marx und Engels gefetzt. Denen war in meinem Franz von Sickingen der Adel zu positiv dargestellt! Wir reden von einem historischen Drama zum Bauernkrieg! So etwas kleinkariertes! ‚Salonkommunist‘ haben sie mich geschimpft!

Diese fundamentalen und radikalen Positionen werden nie mehrheitsfähig sein. Solange Linke um Deutungshoheiten und des Karl Marx‘ Bart streiten und sich lieber mit sich selbst als mit dem eigentlichen politischen Gegner beschäftigen, ist mit diesen Burschen kein Staat zu machen! Da sehe ich in den letzten eineinhalb Jahrhunderten keine nennenswerte Lernkurve.

Steht zu einer von Ihnen kritisierten Kleinstaaterei nicht die Gründung einer weiteren Partei im linken Spektrum im Widerspruch?

Ferdinand Lassalle: Aber nein! Wenn wir die SPD neugegründet haben, wird die Nicht-SPD Konkurs gehen. Als SPD haben wir nämlich Anspruch auf die im Namen der Sozialdemokratie abgeführten Mitgliedsbeiträge, die Spenden und die Infrastruktur. Vor allem werden wir den Genossen Sigmar Gabriel im "Vorwärts" nichts mehr schreiben lassen!

Die Nicht-SPD würde vermutlich gerade einmal von der Bertelsmann-Stiftung noch getragen, aber wohl nicht sehr lange. So ist das nun einmal im Kapitalismus. Die Genossin Andrea Nahles kann dann eine Karriere als Sängerin von Arbeiterkampfliedern beginnen, und Genosse Gabriel kann für seinen Spezi Dieter Gorny Musikdiebe jagen!

Arbeits- und Sozialpolitik ist für Ihr Klientel zweifellos besonders wichtig, doch für eine Regierungspartei sicherlich nicht das einzige Thema. Worin wird sich die neue SPD von der Nicht-SPD unterscheiden?

Ferdinand Lassalle: Außenpolitisch haben wir konkrete Pläne. So treten wir durchaus für einen Verbleib in der NATO ein, da der Verzicht auf Kriege in Mitteleuropa auch bei unseren Soldatenräten Anklang findet. Wir empfehlen jedoch dringend einen Ausschluss der Vereinigten Staaten von Amerika aus der NATO. Wir sehen das notorische Bombardieren und Zündeln in fremden Ländern ohne UNO-Mandat sehr kritisch. Ein Land, das nicht einmal eine vernünftige Sozialversicherung hat, sollte sich nicht anmaßen, anderen Ländern Vorschriften zu machen!

Welche innenpolitischen Veränderungen schweben Ihnen vor?

Ferdinand Lassalle: Ich hege großes Unbehagen gegenüber dem Polizeistaat! Niemand braucht Sozialdemokraten, die etwa der Vorratsdatenspeicherung das Wort reden! Nach der Deutschen Revolution von 1849/1849, die ich ja im Gefängnis verbrachte und daher ein gutes Alibi hatte, konnte ich es mir als einziger leisten, nicht ins Exil zu gehen. Damals wurde ich aber als potentieller Terrorist eingestuft und in Düsseldorf vom Staat überwacht. Hätten die Preußen schon früher über die Überwachungstechnologie von heute verfügt, wäre die Revolution bereits in dem Moment zu Ende gewesen, als man online nach den Kosten für eine Bahnsteigkarte gegoogelt hätte!

Wie wird sich die neue SPD in der Europapolitik positionieren?

Ferdinand Lassalle: Der europäische Gedanke steht in gewissem Widerspruch zu unserem Ideal des Nationalstaats von 1849. Gegenwärtig werden die meisten europäischen Länder von bourgeoisen und libertären Mitte-Rechts-Koalitionen regiert, was mir gewisse Sorgen bereitet. Das Aussperren von Proletariern anderer Länder - etwa aus Afrika durch eine Festung Europa - ist unsolidarisch. Die Sozialdemokratie muss progressivere Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit finden als die militärischen, welche seinerzeit auch Preußen angewandt hat! Völker, hört die Signale!

Wie wollen Sie sich bildungspolitisch aufstellen?

Ferdinand Lassalle: Wir wollen wieder zurück zur Chancengleichheit, auch für Arbeiterkinder. Der Zugang zur Bildung darf nicht von der sozialen Herkunft abhängig sein. Gebühren für ein Hochschulstudium, wie sie die Sozialdemokratie inzwischen mitträgt, sind damit nicht zu vereinbaren.

Für unsere Leser spielt Netzpolitik eine nicht unerhebliche Rolle, welche die Genossen lange gänzlich verschlafen hatte. Wie stehen Sie zu den einst von den Sozialdemokraten mitgetragenen Internetsperren?

Ferdinand Lassalle: Noch immer agiert die SPD gegenüber der IT höchst weltfremd, obwohl das Internet längst den Alltag durchdrungen hat. Dieses Unvermögen in der Baracke mag daran liegen, dass man bei einem Durchschnittsalter von etwa 60 Jahren lieber fernsieht und sich eher darum kümmert, was sich im Kühlschrank tut. Ich persönlich bin für Redefreiheit mehrfach ins Gefängnis gegangen. Wer zensiert, hat Angst vor dem Proletariat. Hoffentlich nicht zu Unrecht!

Wird sich die neue SPD in ihrer innerparteilichen Struktur von der Nicht-SPD unterscheiden?

Ferdinand Lassalle: Ich bin als Pragmatiker stets dafür eingetreten, vorhandene Strukturen grundsätzlich zu nutzen, sowie für das demokratische Wahlrecht. Bei der Nicht-SPD sehe ich eine schier unauflösbare Diskrepanz zwischen dem Willen der Basis und den Gabrielisten. Die Basisentscheidung "Große Koalition Ja/Nein" ist mir zu wenig Demokratie. Sie scheint mir mehr ein Feigenblatt zu sein.

Wir leben heute nicht mehr im Postkutschenzeitalter, in dem eine Mitgliederbefragung in entscheidenden Fragen logistisch zu aufwändig wäre. In Extremfällen wie der Haltung zum bourgeois-libertär ausgekungelten Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika halte ich eine Mitbestimmung der Basis für unumgänglich. Einen Koofmich wie den Genossen Sigmar Gabriel hätte ich längst persönlich zum Duell gefordert!

Sie meinen ein Fernsehduell mit anschließender Abstimmung kontroverser Positionen durch die Basis?

Ferdinand Lassalle: Sie haben mich missverstanden. Ich rede von Duellen, wie sie zu meiner Zeit üblich waren, nämlich mit schweren Pistolen. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich bei Duellen nie gekniffen. Der Genosse Gabriel wäre im Übrigen ja auch eher einfach zu treffen … !

Herr Lassalle, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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