Griechenland - zwischen 3. und 4. Hilfspaket

Ein letzter Versuch, den Realitäten ins Auge zu schauen

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Der Brüsseler Vergewaltigungsmarathon ist seit einem Tag vorüber. Griechenland ist weichgekocht. Ministerpräsident Tsipras wurde nach 17-stündigem Ringen erfolgreich genötigt, sein Land "retten" zu lassen. Er stand als einsamer Bittsteller eines heruntergekommenen Landes gegen eine Front von 18 "Geberländern" (teilweise mit großen eigenen Schuldenproblemen) sowie EZB und IWF. Er wollte verhindern, dass Millionen seiner Landsleute hungern, erkranken, obdachlos werden, verzweifeln, sich umbringen. Sein erklärtes Ziel war es, die zerstörerische Austeritätspolitik zu beenden.

Bild: W. Aswestopoulos

Es war frühzeitig abzusehen, dass er keine Chance hatte, sich der von Schäuble, Merkel & Co. ersonnenen Daumenschrauben zu erwehren. Denn hätte er den angestrebten Schuldenschnitt erreicht, dann hätte das unweigerlich die Gefahr begründet, dass auch andere in Finanznöten steckende südeuropäische Länder das griechische ("kommunistische") Modell übernehmen. Es hätte hohe Ansteckungsgefahr bestanden. Nichts weniger als die Systemfrage wäre unversehens im europäischen Raum gewesen. Das aber wollten Griechenlands Zuchtmeister unter allen Umständen vermeiden, zumal in Spanien Parlamentswahlen vor der Tür stehen.

Ein Erfolg von Tsipras und seiner Syriza-Partei hätte unweigerlich die Siegeschancen ihrer spanischen Schwesterpartei Podemos und deren charismatischen Vorkämpfers Iglesias erhöht. Und dann Portugal? Italien? Frankreich? Die Gefahr eines Dammbruchs bestand. Das durfte nicht sein. Also musste Tsipras scheitern. Zumindest darin waren sie sich einig. Deshalb unterbreiteten sie dem Griechen ein Angebot, das er ohne Gesichtsverlust nicht annehmen konnte.

Kürzlich schrieb ich an Freunde: "Was wir zurzeit erleben, ist im Grunde nicht der Kampf Griechenlands gegen die EU (bzw. der Kampf der Syriza-Regierung Tsipras/Varoufakis gegen die EU-Wortführer Juncker, Schulz und Dijsselbloem). Es ist weit mehr. Es ist der ultimative Kampf des Großkapitals und seiner Erfüllungsgehilfen gegen einen Kommunismus griechischer Spielart." Die Schlacht ist entschieden, die drei großen G - Geld, Gier und Gewinn - haben gesiegt.

Das griechische Drama geht in die nächste Runde - Einzelheiten eines Giftcocktails

Das nun durchgepaukte 3. Hilfspaket verpflichtet Griechenland u.a. zur drastischen Anhebung der Mehrwertsteuer und des Renteneintrittsalters, zur Einrichtung eines Treuhandfonds unter europäischem Kuratel, zur Privatisierung von Häfen und Flughäfen und sonstigem Staatseigentum. Der Verkaufserlös soll nur zu einem geringen Teil im Land investiert werden, der weitaus größere Teil soll der Schuldenabsicherung dienen.

Der für die Sanierung Griechenlands notwendige Schuldenschnitt scheiterte insbesondere am deutschen Widerstand. Außerdem musste der griechische Ministerpräsident zusagen, dass das griechische Parlament einige Reformvorschläge bis Mittwoch verabschiedet. Für eine ausreichende inhaltliche Prüfung des für Griechenlands Zukunft äußerst bedeutsamen Maßnahmepakets durch die Volksvertretung wurde keine Zeit zugestanden. Eine größere Missachtung von Verfassungsorganen ist kaum vorstellbar. Der Vorgang verdeutlicht, dass die europäischen Institutionen Griechenland inzwischen als Protektorat betrachten, das nur noch den Willen des Protektors umzusetzen hat. Es gilt die Devise: Vogel friss oder stirb!

interessant wäre, was das Bundesverfassungsgericht sagen würde, wenn dem deutschen Gesetzgeber von außen eine derartige Verfahrensweise angesonnen würde. Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman kommentierte das Vorgehen der Retter treffend: Das sei nicht mehr Strenge, das sei schiere Rachsucht und vollständige Zerstörung nationaler Souveränität, ohne Hoffnung auf Abhilfe. Es sei ein grotesker Verrat an allem, wofür das europäische Projekt eigentlich stehen sollte. Ergänzend hierzu die Einschätzung von Sahra Wagenknecht: "Die Annahme des vorgeschlagenen Pakets läuft auf die Fortsetzung des fatalen Giftcocktails von Kürzungspolitik und sich verschärfender Wirtschaftskrise hinaus"; dies habe in den letzten Jahren ein Viertel der griechischen Wirtschaftskraft zerstört und die griechischen Schulden immer weiter erhöht.

Noch ist nicht sicher, ob dieses Hilfsprogramm, das seinen Namen nicht verdient, jemals wirksam wird. Ihm müssen nämlich neben dem griechischen auch andere nationalen Parlamente zustimmen. Die verbleibende Zeit kann genutzt werden, zurückzublicken, zu verstehen und einen vorsichtigen Blick in die Zukunft zu wagen.