Klaus Schwab: "Jetzt stellen Sie sich eine Milliarde Menschen vor, die alle nach Norden gehen"

WEF-Gründer und Präsident Professor Klaus Schwab in Davod Dorf, wo das Treffen stattfindet. Bild: World Economic Forum/swiss-image.ch/Andy Mettler/Lizenz: CC-BY-SA-NC-2.0

Der Chef des Weltwirtschaftsforums entdeckt noch schnell den Zusammenhang zwischen sinkenden Rohstoffpreisen und Flüchtlingen und mahnt: "Wir sitzen alle im selben Boot"

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Das Weltwirtschaftsforum, das die Welt verbessern will, ist vor allem der Macher und Vernetzer Klaus Schwab, der jährlich die Mächtigen auf der Erde zu einer Art Gipfel zusammenbringt, um wichtige politische und wirtschaftliche Themen zu besprechen. Man könnte natürlich auch sagen, um denjenigen, die sich zur wirtschaftlichen und politische Elite zählen wollen, eine Bühne in der Welt der Parallelgesellschaft der Reichen und Mächtigen zu bieten.

Manche kreiden es Schwab an, dass er nicht den Mut hatte, den nordkoreanischen Außenminister Ri Su Yong wie geplant auftreten zu lassen. Ein paar Tage vor Beginn der Veranstaltung sagte er der Nordkorea-Delegation wegen des Atomwaffentests schnell wieder ab. Nordkorea kritisierte dies als politische Entscheidung, die den Grundsätzen des WEF zuwiderlaufe, das ein internationales Forum für die Diskussion wirtschaftlicher Themen sei. Die Absage sei Minuten vor einem Auftritt zu einer Pressekonferenz erfolgt. Dahinter wird Druck der US-Regierung vermutet.

Thema des diesjährigen Treffens ist die "Vierte Industrielle Revolution". Das sei die einflussreichste und mächtigste Herausforderung. Dazu gab es auch einen Bericht über die Zukunft der Arbeit (Zukunft der Arbeit - nicht so rosig). Klaus Schwab scheint aber nun entdeckt zu haben, dass das beherrschende Thema derzeit die Flüchtlinge sind. In einem Interview mit Bloomberg warnte nun Schwab mit apokalyptischem Ton, der offenbar sein muss, davor, dass Europa angesichts der sinkenden Rohstoffpreise mit einer weiteren Flüchtlingswelle rechnen müsse. Auch viele afrikanische Staaten seien von Ölverkaufen abhängig: "Jetzt stellen Sie sich eine Milliarde Menschen vor, die alle nach Norden gehen."

Die fallenden Rohstoffpreise würden sich nicht nur auf die Wirtschaft auswirken, sondern könnten zu einem "substantiellen sozialen Zusammenbruch" führen, meint der WEF-Chef, der meint, wir würden in einer Zeit "unerwarteter Folgen" leben. Das ist allerdings nicht sonderlich neu und wurde etwa unter dem Begriff von Nebenwirkungen diskutiert. Auch die Chaostheorie hatte gelehrt, dass in vernetzten Systemen bestimmte Ereignisse durch Wechselwirkung eine unvorhersehbare Dynamik auslösen können. Aber Schwab meint, dass es heute schwerer für Politiker geworden sei, die Folgen ihrer Entscheidungen zu wissen, was zu einem "Vertrauensverlust" gegenüber den Entscheidungsträgern geführt habe. Man könnte wohl auch anders herum argumentieren, dass oft blinde und kurzfristige Lösungen in aller Eile gemacht werden, um politisch Punkte zu sammeln, mittel- und langfristige Folgen im Betrieb der durch Wahlen getakteten Demokratien aber kaum mehr bedacht werden. Allerdings ist natürlich auch der Entscheidungsraum der nationalen Politik sehr viel begrenzter als früher.

Ansonsten betet der WEF-Vordenker Allgemeinplätze herunter. Im Gegensatz wohl zu ihm und der von ihm versammelten Elite sei der "normale Bürger heute von der Komplexität und der Schnelligkeit der Ereignisse nicht nur in der politischen Welt, sondern auch im technischen Bereich überwältigt". Das habe zur Entstehung von radikalen Politikern geführt, die Angst und Fremdenfeindlichkeit aufrühren, während man nach Schwab das Gefühl dafür pflegen müsste, "dass wir alle im selben Boot sind".

Das sollte er mal seinen reichen Gästen sagen und darauf dringen, dass die Steuern auf Vermögen und Kapitaleinkünfte erhöht werden sollten, um die Ungleichheit nicht weiter anwachsen zu lassen, die, wie der zum WEF veröffentlichte Oxfam-Bericht herausstellte, groteske Züge angenommen hat und jedes Gleichgewicht kollabieren lässt, wenn gerade einmal 62 Menschen dasselbe Vermögen wie die ärmere Hälfte der Menschheit besitzen - und damit auch entsprechenden Einfluss ausüben (Oxfam: Die Ungleichheit nimmt weltweit explosiv zu). Möglicherweise sollte Schwab mit dem WEF seine Burg über Davos verlassen und sich unters Volk in einer Stadt begeben, um so demonstrieren, dass seine Eliten keine Parallelgesellschaft sind, sondern dass alle im selben Boot sitzen.

Die gegenwärtige Ängstlichkeit, die er auch mit der Möglichkeit einer noch größeren Flüchtlingswelle schürt, sei für ihn nicht neu, sagte er. Die Welt sei immer stärker verbunden, daher würden auch die Folgen von Wirtschaftsproblem schwerwiegender. Aber da ist ja sein Weltwirtschaftsforum, das den politischen Entscheidungsträgern "die erste Gelegenheit nach dem Zusammenbruch der Märkte (anbietet), auf die Situation zu blicken und sich zu koordinieren".

Die einfachen Bürger sind da nicht gefragt (Die privaten Treffs der Reichen und Mächtigen). Gab es anfangs noch große Proteste gegen das Treffen in der Schweiz (Weltwirtschaftsforum vor dem Aus?), weswegen man kurzfristig 2002 nach New York umzog (New Yorks Polizei rüstet sich für die Proteste gegen das Weltwirtschaftsforum), aber auch dort massiver Polizeieinsatz notwendig war (Zwischenstand beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in New York: Furcht), tagen nun die Gäste Schwabs in den Alpen weitgehend unbehelligt (Dem Weltwirtschaftsforum gehen Kritiker aus).