Griechenland: Das Leiden der Flüchtlinge geht weiter

Athen. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Unruhe, Verzweiflung, Konflikte und das Wirken der Schleuser: Die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei greift nicht

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Die zwischen der EU und der Türkei geschlossene Vereinbarung zur Begrenzung der Zahl der Bootsflüchtlinge scheint nicht zu greifen. In den ersten vierundzwanzig Stunden seit dem Inkrafttreten der Vereinbarung am Sonntag kamen 1662 Flüchtlinge und Migranten per Boot auf die griechischen Inseln. So berichtet das tägliche Bulletin der regierungsamtlichen Koordinierungsgruppe für Flüchtlinge.

In den Tagen vorher, am 20.3. und am 19.3., wurden, 875 respektive 111 Menschen gezählt. Zudem gab es am Samstag sogar das Novum einer Ankunft von Flüchtlingen auf der nahe Athen gelegenen Insel Andros. Die Schleuser haben sich, kaum verunsichert, offenbar auf neue Wege nach Europa eingestellt.

Angst und Verzweiflung in Eidomeni

Die Beschlüsse der EU haben dagegen unter den Flüchtlingen Unruhe ausgelöst. In Eidomeni kam es am Montag erneut zu einer ganztägigen Sperrung der Bahnstrecke, welche Griechenland mit dem übrigen Europa verbindet. Zusätzlich zur Sitzblockade drohen einige der Verzweifelten mit einem Hungerstreik. Besonders verzweifelt sind die Jesiden. Sie fürchten, dass sie wieder zurück in die Fänge des IS geschickt werden.

Die Zahl der Bewohner des Camps hat sich nach amtlichen Angaben erneut erhöht. Am Montag wurden 13.250 Menschen gezählt, nachdem in der vergangenen Woche zeitweise nur 10.500 registriert wurden. Das beengte Wohnen im Camp und die für die Anzahl der Menschen keineswegs ausreichenden, provisorischen sanitären Anlagen sorgen außer für Krankheitsgefahr auch für Konflikte.

Athen. Foto: Wassilis Aswestopoulos

So wurde ein Pakistaner beinahe gelyncht, nur weil er in eine Toilette wollte, deren Tür von einem drin sitzenden jungen Mädchen nicht verschlossen wurde. Das Mädchen schrie erschreckt auf. Einige Männer vermuteten einen Päderasten und prügelten auf den Mann ein. Erst, nachdem zwei junge Syrer beherzt eingriffen und den Geprügelten zur Polizei brachten, klärte sich das Missverständnis auf. In zahlreichen internationalen Medien geistert dennoch weiterhin die Geschichte von Kinder vergewaltigenden Migranten herum.

Tatsächlich fehlt es in Eidomeni überall an Infrastruktur und Personal, um die Lebensumstände der Menschen zu verbessern.

Zudem hat Griechenland die nach dem Vorschlag der EU vom Oktober vergangenen Jahres seinerzeit als Höchstgrenze angegebene Zahl von 50.000 Menschen mit 50.411 im Land auf der Reise gen Westeuropa befindlichen gezählten Flüchtlingen und Immigranten zum ersten Mal überschritten. Die Kapazität der Asylbehörde des Landes liegt bei knapp 20.000 Anträgen, welche innerhalb eines Jahres auf erster Ebene bearbeitet werden können. Eine Berufungskommission, so wie sie im internationalen Recht für erstinstanzlich abgelehnte Anträge existieren muss, gibt es noch nicht.

Piräus, das neue Eidomeni

Das Lager Eidomeni soll gemäß des Immigrationsministers Ioannis Mouzalas bis zum April geräumt sein. Derweil bildet sich in Piräus ein weiteres, den Verhältnissen in Eidomeni immer mehr gleichendes Lager. Im Hafen von Piräus leben nun 5.132 Flüchtlinge dicht gedrängt zusammen. Sie campen in und um die Passagierterminals E 1, E 2, E 3, E 7 und das so genannte "steinerne Lagerhaus" des Hafens.

Während noch vor drei Wochen nur diejenigen in Zelten vor den Gebäuden wohnten, die aus welchem Grund auch immer von den Übrigen fern bleiben wollten, sind nun die Zeltbewohner eindeutig in der Überzahl. Nicht immer gibt es rund um die Uhr eine medizinische Versorgung. Täglich kommt es zwischen den einzelnen Volksgruppen zu handgreiflichen Auseinandersetzungen.

Athen. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Auch hier ist das Wirken der Schleuser nicht zu übersehen. Immer wieder wandern einige der Bewohner mit all ihrem Gepäck ab und hoffen, dass sich der teuer erkaufte, versprochene Ausweg aus Griechenland nicht als Sackgasse herausstellt.

Auch unter den Helfern vor Ort gibt es Streit. Zahlreiche freiwillige Helfer sprechen offen über mafiöse Zustände. Demnach sollen organisierte Gruppen der Stadtgemeinde Piräus versuchen, das Lager komplett unter ihre Kontrolle zu bringen. Darüber hinaus sprechen viele über europäische und staatliche Budgets für die Flüchtlinge, deren Unterkunft und Verpflegung, die nun in die Hand einiger ausgewählter Organisationen gelangen.