IWF fordert einen besseren Kapitalismus

Der Internationale Währungsfonds ist scheinbar alarmiert über das "noch immer ungelöste Too-big-to-fail Problem", das aber auch er zuspitzt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Immer wieder kritisiert der Internationale Währungsfonds (IWF) zum Teil berechtigt Vorgänge und benennt wie die IWF-Chefin Christine Lagarde in London in dieser Woche gravierende Probleme. So machte sie sich die Kritik zu eigen, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergehe und deutete an, dass es Gegenwind bei der Bankenreform von der Bankenlobby gäbe. Doch darf vermutet werden, dass diese Kritik nur dazu dienen soll, um den IWF glaubwürdiger zu machen, der schließlich in der Krise fatale Fehler gemacht hat. Denn die IWF-Programme haben zur Verarmung von breiten Schichten in den Krisenländern geführt und das Problem, dass Banken "too big to fail" sind, hat sich unter seiner Kontrolle zugespitzt.

City of London. Der britische Finanzdistrikt will den Kapitalismus bewahren. Bild: GeographBot/CC BY-SA 2.0

Ihre scheinbar harsche Kritik brachte die IWF-Chefin diese Woche bei einer Konferenz mit dem Titel "Inclusive Capitalism" in London vor. Und bei der von Prince Charles eröffneten Tagung ging es der Finanzlobby um die Debatte, wie wieder Vertrauen in den Kapitalismus geschaffen werden kann (Gegen den "Marktfundamentalismus" für einen "inklusiven Kapitalismus"). Angeblich wurde darüber debattiert, wie der Kapitalismus für viele Menschen besser gemacht werden kann. Es handelt sich auch um eine Reaktion darauf, dass sogar Papst Franziskus zu einer harschen Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem angesetzt hatte. "Diese Wirtschaft tötet", hatte er betont und darauf verwiesen, wie die Schere zwischen Arm und Reich sich gerade in der Krise immer weiter öffnet (Das Schisma von 2013).

Entsprechend besorgt sind natürlich die Finanzeliten darüber, dass der Kapitalismus breit in Frage gestellt wird. Nun soll kräftig Schminke von denen zum Übertünchen angelegt werden, die bisher massiv von den Entwicklungen profitiert haben. So kamen in London die Mächtigsten der Finanz- und Wirtschaftselite Elite zusammen, die gemeinsam weltweit "ein Drittel der liquiden Geldmittel kontrollieren", berichtete die britische Tageszeitung Guardian, um angeblich über "Formen sozialer Verantwortung" im Kapitalismus zu sprechen. Zurecht stellt die linksliberale Zeitung schon im Titel heraus, dass es sich dabei um ein "Trojanisches Pferd" handelt, das sich gegen die "aufkommende globale Revolte" richtet.

Entsprechend sollten auch die großen Reden und die Kritik gewertet werden, die zum Beispiel die IWF-Chefin vorgetragen hat, wenn sie davon sprach, dass die Bankenlobby Reformen verhindert habe. Die Protagonisten waren anwesend und werden wissen, was sie von den Worten zu halten haben. Ohnehin fällt in den deutschsprachigen Medien auf, dass die Kritik von Lagarde nicht einmal in der Schärfe wiedergegeben wurde, in der sie diese ausgesprochen hat.

So säuselt das Handelsblatt, der IWF schlage Alarm "wegen mangelnder Fortschritte bei der Reform des Bankensektors weltweit". Zitiert wird Lagarde damit, es gäbe "zu langsame Fortschritte" und "die Ziellinie" läge noch weit weg". Die Aufgabe sei zwar komplex, werde aber "durch heftigen Gegenwind aus der Bankenlobby erschwert", schreibt das Handelsblatt und verweist auf "starken Nachholbedarf bei der Lösung des Problems, dass Banken wegen ihrer schieren Größe nicht pleitegehen und auf Staatshilfe vertrauen könnten".

Ganz ähnlich verhält sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich, der ebenfalls Lagarde zitiert, zwischen Vorhaben und Umsetzung von Reformen "eine Riesenlücke" klaffe. Der ORF zitiert zudem den Chef des Financial Stability Board (FSB) der 20 Industrie- und Schwellenländer (G-20). Mark Carney, der auch der Chef der englischen Zentralbank ist, hofft darauf, das Problem der Unverwundbarkeit von Banken "bis Weihnachten" gelöst werde, auch wenn es bei der Umsetzung speziell in Europa und Asien noch hake.

Mit der Krise beschleunigte sich die Bankenkonzentration

Seit sechs Jahren kommt man in der Frage der Finanzmarktregulierung nicht wirklich voran. Nicht einmal die immer wieder beschworene Finanzmarktsteuer ist auch nur von einem Teil der EU-Länder beschlossen und erneut auf 2016 erneut vertagt. Und da soll das Problem von Monsterbanken bis Weihnachten gelöst werden? Tatsächlich haben deutschsprachige Medien nicht einmal die Widersprüchlichkeit von Lagardes Aussagen bemerkt. Denn tatsächlich klafft keine Lücke bei der Umsetzung von Reformen und es handelt sich auch nicht darum, dass die Fortschritte zu langsam gingen.

Denn sogar Lagarde gab zu, dass die Gefahr bisher nicht kleiner, sondern sogar größer geworden ist. So zitiert der britische Telegraph die IWF-Chefin damit, dass Großbanken heute "gefährlicher als früher" seien: "The 'oversize banking’ model of too-big-to-fail is more dangerous than ever." Nun ist das aber nun wirklich nicht einmal beim IWF eine neue Erkenntnis. Neu ist deshalb auch die scheinbare Forderung nicht, man müsse an die Wurzel zu gehen für und eine klare Regulierung sorgen. "We must get to the root of the problem with comprehensive and clear regulation." Schon 2011 hatte der IWF das angemahnt und sogar davon gesprochen, dass die "Saat für die nächste Krise" werde gesät werde.

Was ist aber seit 2011 geschehen? Was hat der IWF in den Ländern gegen die Bankenkonzentration getan, die Lagarde als so gefährliches Problem in London erneut herausgestellt hat? Schließlich habe man von den "USA 2008 bis Zypern heute" gesehen, welche fatalen destabilisierenden Auswirkungen ein aufgeblähter Bankensektor auf die Wirtschaft habe, sagte sie. Deshalb kommt Lagarde scheinbar zu dem Schluss: "We simply cannot have pre-crisis banking in a post-crisis world."

Stimmt, genau das haben wir auch nicht. Denn wie sogar Lagarde bestätigt hat, sind die Gefahren für die Ökonomie durch Großbanken nun noch deutlich gewachsen, weil mit der Krise die Bankenkonzentration noch stärker zugenommen hat. Man hätte von Lagarde ein mea culpa erwarten müssen, wenn sie die auf der Konferenz geäußerte Kritik ernst meinen würde. Doch dafür gibt es keinen Grund zur Annahme. Denn ihr IWF hat mit den Programmen in den Krisenländern deutlich dazu beigetragen, dass Großbanken größer und aus kleinen Instituten erst solche wurden, die nun too big to fail sind.

Kürzlich hatte die Schweizer NZZ auf einen Vortrag hingewiesen, in dem der für Finanzstabilitätsfragen verantwortliche Direktor der Bank of England aufgezeigt hat, wie Monsterbanken entstanden sind. Andrew Haldane führte aus, dass die finanzielle Durchdringung zwischen 1870 und 1970 nur gering (plus 6 Prozentpunkte pro Jahrzehnt) zugenommen habe. "Seit 1970 war die Entwicklung mit einer Zunahme um 30 Prozentpunkte pro Jahrzehnt dramatisch", schreibt die NZZ. Haldane macht dafür die Liberalisierung des Finanzsystems und die impliziten und expliziten Staatsgarantien verantwortlich.

Und mit der Krise nahm die Bankenkonzentration schneller zu. Deutlicher als an Spanien kann das kaum aufgezeigt werden, allerdings gilt das weitgehend auch für Irland, Portugal oder Griechenland. Unter dem Druck der Aufseher, die in diesen Ländern unter Aufsicht der Troika aus IWF, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank stehen, hat die Konzentration der Großbanken in den vergangenen Jahren sogar weiter stark zugenommen. Das ist aber zum Beispiel auch in Deutschland nicht anders. Dafür steht klar die Commerzbank, die durch die Übernahme der Dresdner zur zweitgrößten Bank wurde. Und die Commerzbank wurde in der Krise mit Steuermitteln gerettet, weil sie nun zu groß für eine Pleite gewesen sein soll (Commerzbank bekommt Hilfen und Portugal verstaatlicht Bank). Das nächste Beispiel ist die Deutsche Bank. Denn die größte Bank im Land hat durch die Übernahme der viertgrößten Postbank ebenfalls deutlich zur weiteren Konzentration beigetragen.

Folgenlose Kritik des IWF

Der Prozess ging in Krisenländern unter Kontrolle des IWF zum Teil sogar noch schneller voran. So ist es eigentlich erstaunlich, dass Lagarde mit keinem Wort ansprach, dass ausgerechnet Spanien unter der Troika-Kontrolle zu dem Land weltweit aufgestiegen ist, das nun die höchste Bankenkonzentration aufweist. Das hatte genau der IWF in seinem letzten Global Financial Stability Report erst im April festgestellt (Spanien bei der Bankenkonzentration Weltmeister). Doch der IWF hat das Land erst über die Troika unter seine Kontrolle gebracht, nachdem man 2011 richtig festgestellt hatte, dass "lediglich an den Symptomen der Kernschmelze im globalen Finanzsystem herumgedoktert worden" sei und das Finanzsystem nun sogar anfälliger als 2008 wäre.

Da Spanien erst Mitte 2012 für die Bankenrettung unter den Rettungsschirm ging (Spanien stellt Nothilfe-Antrag), hätte man, wenn es eine ernstgemeinte Kritik gewesen wäre, erwarten können, dass die festgestellten Probleme in dem Land angegangen werden, dessen Banken für das viertgrößte Euroland zum Verhängnis zu werden drohten. Hier waren über Fusionsprozesse kleine Sparkassen und Banken erst zu Großbanken wie Bankia fusioniert worden, die dann wiederum angeblich zu groß waren, um abstürzen zu können. Mit Rettungsgeldern und mit der Einrichtung einer staatlichen Bad Bank wurden auch in Spanien die europäischen und spanischen Steuerzahler dann in die Verantwortung gezwungen (Und nun die Mutter aller Finanzmarktreformen?).

So ist es erneut ein Armutszeugnis, wenn der IWF nach einem zweijährigen Wirken in Spanien feststellen muss, dass genau unter seiner Aufsicht das Land weltweit zum Weltmeister bei der gefährlichen Bankenkonzentration aufgestiegen ist. Warum Lagarde dies ausblendete, ist klar. Denn es wäre offensichtlich, dass man zwar die Konzentration immer wieder als Problem benennt, aber nicht einmal dort etwas dagegen tut, wo man auch die Macht dazu hätte. Man kann feststellen, wie es der Guardian tut, dass hier nur über diese Kritik an der Bankenlobby das eigene Image und das des Kapitalismus aufgebessert werden soll.

Doch auch ein neues mea culpa wäre in diese Kategorie gefallen. Deshalb darf auch nicht ausgeschlossen werden, dass es noch kommt. An anderen Stellen hat sich der IWF schon Asche aufs Haupt gestreut. Er räumte ein, sich fatal geirrt zu haben, als sie die drakonischen Sparprogramme entworfen wurden: "Die Prognosen haben das Anwachsen der Arbeitslosigkeit und das Sinken der Binnennachfrage signifikant unterschätzt." Die in der Finanzkrise geforderten "größeren fiskalischen Kürzungen" hätten das Wachstum noch stärker als erwartet geschwächt, wobei der Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Konsum- und Investitionsrückgang deutlich unterschätzt wurden (Griechenland-Kurs lässt es in der Troika krachen). Die "katastrophalen Folgen", vor denen aber Wirtschaftsnobelpreisträger gewarnt hatten, traten deshalb auch ein.

Dieses Eingeständnis diente aber auch nur als Make-Up. Denn was hat sich an den Programmen seither geändert? Nichts! Noch immer werden sie wie bisher durchgezogen. Man setzt sogar weiter nach, obwohl die angeblichen Ziele weiter verfehlt werden, die Verschuldung und das Defizit unter Kontrolle zu bringen. Das kann an der Show um die "erfolgreichen" Ausstiege von Irland und Portugal aus dem Rettungsschirm verdeutlicht werden, die nur einer immer gefährlicheren Geldschwemme geschuldet sind.

90% des Steueraufkommens kommen schon heute aus privaten Haushalten

Spanien ist diese Woche auch ein gutes Beispiel dafür geworden, wie der IWF weiter auf die falschen Rezepte setzt, die aber seine Zuhörer auf der Londoner Konferenz erneut begünstigen sollen. Denn anders als bei der Bankenreform wurden in den von der Troika kontrollierten Ländern die Arbeitsmarktreformen durchgezogen, der Kündigungsschutz geschliffen, Löhne und Renten genauso gekürzt wie Arbeitslosengelder und Sozialleistungen. Steuern und Abgaben wurden aber massiv angehoben, um die Bankenrettungen bezahlen zu können.

Wie in Portugal sollen nun auch in Spanien die Unternehmenssteuern weiter gesenkt werden. Der IWF sieht dafür zur Gegenfinanzierung unter anderem vor, die Mehrwertsteuer und andere Steuern anzuheben, die vor allem die einfachen Leute schwer belasten. "Es gibt Spielraum für eine Reduzierung der Unternehmenssteuern, um das Wachstum zu stärken", schreibt er in seinen "Empfehlungen" an Spanien. Der Staat soll zur Rettung von Firmen vor der Pleite einen Schuldenschnitt bei ausstehenden Zahlungen an die Finanzämter und Sozialversicherungskassen vornehmen. Das geht erneut zu Lasten der Einnahmen und muss an anderen Stellen durch Kürzungen oder Steuererhöhungen ausgeglichen werden. Auch die Löhne sollen weiter gesenkt werden. Das alles wird den nationalen Konsum weiter schwächen, an dem Spanien hängt. Deshalb darf nicht erwartet werden, dass so nachhaltiges Wachstum erzeugt wird. Tatsächlich sind diese "Empfehlungen" real Auflagen. Sie werden anders als Reformen im Bankensektor von Krisenländern meist schnell umgesetzt.

Und klar ist auch, dass die Steuerbelastung in Spanien mit 32% deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 40% liegt. Man kann sich leicht ausmalen, welchen Druck eine weitere Absenkung die Unternehmenssteuern auf andere Länder mit höheren Steuern haben wird, wenn Spanien neben Lohndumping auch darüber seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Und ohnehin zahlen spanische Unternehmen längst schon wenig Steuern. Umso größer sie sind, umso weniger Steuern bezahlen sie.

Das hat die NGO Intermón Oxfam gerade aufgezeigt. Nach ihrer Studie kommen 90% des Steueraufkommens schon heute aus privaten Haushalten. Nur 10% entfallen auf Unternehmen und davon nur 2% auf Großunternehmen. Die haben die Möglichkeit zur Verlagerung in Steuerparadiese. Mit Bezug auf die Steuerprüfer zeigt die NGO auf, dass jährlich über Steuerhinterziehung dem Land zusätzlich Einnahmen von 60 Milliarden Euro verloren gingen. Das ist mehr, als für das gesamte Gesundheitswesen in Spanien ausgegeben wird. Fast drei Viertel davon hinterzögen die Großunternehmen.

Erinnert wird aber auch an andere legale Steuertricks, mit denen große Summen steuersparend in sogenannten SICAV geparkt werden. Statt der üblichen Kapitalertragssteuer von 27% oder der 30%, die Unternehmen offiziell für Gewinne abführen müssen, fällt auf SICAV-Gewinne nur lächerlich 1% an Steuer an. An all dem hat der IWF keine Kritik. Oxfam fordert anders als der IWF aber eine Steuerreform, damit auch die Steuern bezahlen, die im Land gute Gewinne machen. Gefordert wird deshalb auch eine stärkere Verfolgung von Steuerhinterziehung. "Spanien ist das europäische Land, das die geringsten Mittel zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung einsetzt", erklärt Oxfam.

Derlei Vorschläge zur Verbesserung der Finanzierung und zur Abbau des Defizits sind wohl wirkungsvoller, aber vom IWF nicht zu hören. Denn das würde an die Geldbörsen derer gehen, die Lagarde in London so aufmerksam zugehört haben, als sie angeblich eine dringende Bankenreform anmahnte.