"International Organization for Migration": Die böse Schwester des UNHCR

Wo die meisten Flüchtlinge ertrinken oder vermisst werden. Bild: IOM

In der Öffentlichkeit genießt sie das Image einer Menschrechtsorganisation. Kritiker hingegen bezeichnen sie als Menschenhändler, der für staatliche Gelder alles macht

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Hunderte, wahrscheinlich sogar über 1000 Menschen starben vor zwei Wochen im Mittelmeer. Wieder eine jener Flüchtlingskatastrophen, an die sich die westliche Öffentlichkeit schon so sehr gewöhnt hat, dass nur noch wenige laut protestieren. Die Organisation "International Organization for Migration" (IOM) ist eine jener wenigen. Nicht erst seit vergangener Woche. Eine ihrer Sprecher war es, der als erster das ganze Ausmaß der Katastrophe deutlich machte. Seit Beginn des Jahres sind vermutlich fast 3000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken und fast 220.000 Flüchtlinge in Europa angekommen, mehr als 50.000 in Italien. Über das vergangene Wochendende wurden von der italienischen Küstenwache mehr als 1300 Flüchtlinge gerettet.

Spätestens seitdem hunderttausende Flüchtlinge im vergangenen Jahr Europa erreichten und Tausende beim Versuch starben, ist IOM medial dauerpräsent. Ihre Grafiken über Tote im Mittelmeer werden auf Facebook tausendfach geteilt. Medien berufen sich auf die Expertise der Organisation, wenn vor der Küste Südostasien Rohingya zu tausenden übers Meer fliehen.

Was die Organisation genau macht, wer sie kontrolliert, welche Ziele sie verfolgt, ist hingegen kaum bekannt. "Für Migrantinnen und Migranten in Not" setze sie sich ein, schreibt IOM auf ihrer Website. In der Öffentlichkeit genießt sie das Image einer Menschenrechtsorganisation. Kritiker hingegen bezeichnen die Organisation als " Ausbildungszentrum für Migrationsfeinde" und "globale Propagandamaschine gegen MigrantInnen", als "Abschiebeunternehmen" und "größten Menschenhändler der Welt."

Antikommunistischer Gegenentwurf zum UNHCR

Die Geschichte von IOM ist nicht nur wegen der thematischen Nähe eng mit dem Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen verbunden. Als "Provisorisches Zwischenstaatliches Komitee für die Auswanderung aus Europa" wurde die Organisation 1951 gegründet, nur Wochen nachdem die UN-Vollversammlung mit dem UNHCR eine sehr viel mächtigere Organisation mit nahezu identischem Tätigkeitsbereich ins Leben gerufen hatte. Anders als das UNHCR war die IOM allerdings nicht den Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention unterworfen. Stattdessen sollte sie auf dem Weg der Flüchtlingshilfe einen Beitrag leisten, die Ausbreitung des Kommunismus einzudämmen.

60 Jahre später ist der Kommunismus Geschichte und IOM mit Sitz im schweizerischen Genf zum weltweit größten Dienstleister für jegliche Arten für Migrationsbedarf geworden. 9000 Mitarbeiter kümmern sich weltweit um all das, was die 160 Mitgliederstaaten in Auftrag geben. Ein Budget von 1,7 Milliarden Dollar steht der Organisation jährlich zur Verfügung.

Damit kontrolliert IOM ebenso Einreisewillige in Großbritannien auf Tuberkulose und berät Haitianer bei der Jobsuche. Für die schweizerische Regierung produziert IOM Fernsehspots, mit denen afrikanische Flüchtlinge ferngehalten werden sollen ,, während sie von Berlin aus Broschüren über das Sterben im Mittelmeer herstellt. In Südamerika organisiert IOM Erntehelfer für die Plantagen Südeuropas, in Bangladesch Wanderarbeiter für die Ölmonarchien am Persischen Golf. Und im Nordirak versorgt sie zurückgekehrte irakische Flüchtlingen mit einem Gründungszuschuss zum Gemischtwarenladen.

Die Geldgeber bestimmen

Anders als das UNHCR gehört die IOM nicht zum System der Vereinten Nationen und ist damit auch nicht der UN-Vollversammlung verantwortlich. IOM verfügt auch über keinen großen Haushalt, über das es weitgehend autonom entscheiden könnte. Über 90 Prozent der Gelder, die dem IOM zur Verfügung stehen, sind projektgebunden. Das heißt: Die Mitgliedstaaten entscheiden von Projekt zu Projekt neu, ob sie das Flüchtlingslager, das Jobprogramm oder die Abschreckungskampagne finanzieren wollen.

Wozu das führt, zeigt das Beispiel Australien. Im Jahre 2002 hatte die australische Regierung auf den pazifischen Inseln von Nauru und Manus Internierungslager errichten lassen, um Flüchtlinge fernzuhalten. Der Betreiber der Lager: IOM.

Human Rights Watch und Amnesty International warfen IOM vor, sich am Bruch des Völkerrechts zu beteiligen. In einem Bericht von Amnesty hieß es, IOM habe die Rolle des "Inhaftierungs-Beauftragten" übernommen. Human Rights Watch schreibt, die Tätigkeiten von IOM "scheinen ganz oder teilweise die Rechte von jenen Menschen zu behindern, denen IOM eigentlich helfen soll."

Flüchtlinge 2015 auf Lesbos. Bild: IOM/Amanda Nero

Programme zur (un)freiwilligen Rückkehr

Es ist nicht der einzige Fall, in dem IOM die Migrationsverhinderungsinteressen seiner Mitgliedsstaaten über die Interessen von Migranten stellt. Vor allem IOMs Programme zur "freiwilligen Rückkehr von Flüchtlingen" sorgen unter Menschenrechtlern und Flüchtlingsaktivisten immer wieder für Kritik.

Zuletzt landete im Februar ein Flugzeug mit 135 afghanischen Flüchtlingen in Kabul, deren Rückkehr IOM organisiert hatte. 700 Euro "Rückkehrgeld" soll jeder Erwachsene, 350 Euro jedes der zehn Kinder unter ihnen für die Einwilligung in die "freiwillige Rückkehr" erhalten haben. Ingesamt 305 afghanische Flüchtlinge wurden im Jahr 2015 mit dem Assisted Voluntary Return and Reintegration (AVRR) des IOM aus Deutschland nach Afghanistan zurückgebracht. Für das laufende Jahr sollen sogar schon über 1000 Anträge auf "freiwillige Rückkehr" vorliegen, berichtet die afghanische Botschaft in Berlin. Zum Vergleich: Reguläre Abschiebungen gab es im ganzen Jahr 2015 gerade einmal neun.

IOM versichert, dass alle Flüchtlinge der Reise aus freien Stücken zugestimmt hätten: "IOM unterstützt Migrantinnen und Migranten, die freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren möchten durch Unterstützung bei der logistischen Organisation der Reise und bei der Vermittlung von Wiedereingliederungshilfe", schreibt IOM auf seiner Website und versichert, dass kein "physischer oder materieller Druck" aufgebaut werde. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert die Programme hingegen, schließlich sei die einzige Alternative zur Einwilligung oft die Inhaftierung oder zwangsweise Abschiebung.

Auch in Deutschland ist die "freiwillige Rückkehr" durch das IOM umstritten. Nach Informationen des Berliner Flüchtlingsrates ist die Teilnahme an einer Rückkehrberatung für Flüchtlinge oft Voraussetzung, um staatliche Leistungen zu bekommen. Weigert sich ein Flüchtling im Rahmen der Beratung, in die "freiwillige Rückkehr" einzuwilligen und damit auf alle aufenthaltsrechtlichen Ansprüche zu verzichten, führt dies oft zur Kürzung von Leistungen, die ihm nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zustehen.

Das Berliner Politikwissenschaftler Fabian Georgie hat zu IOM geforscht, sein Fazit hat mit dem flüchtlingsfreundlichen Image nichts zu tun, das IOM in der Öffentlichkeit genießt: "Millionen Flüchtlingen können in den westlichen freiheitlichen Demokratien keinen Schutz vor Verfolgung finden, weil sich diese mit immer strengeren und immer stärker ausgelagerte Grenzkontrollen umgeben, die durch den Aufbau von Strukturen und Kompetenzen durch das IOM unterstützt werden. … Millionen von Arbeitern werden infolge von Beratungen und Gesetzesvorschläge durch das IOM kriminalisiert und schließlich sogar noch 'freiwillig' deportiert..."