Einmal gefährdungsgeneigt, immer gefährdungsgeneigt

Der dritte Mann

Bericht über eine Reise nach Absurdistan - Teil 2

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Teil 1: Wie ich einmal versuchte, einen indizierten Film zu kaufen

Im Reich der Pornographie und der Gewalt wurde ich von der Werbung einer Dildo-Firma begrüßt, die mich mit dem Slogan "We will fuck you!" zum Kauf ihrer Produkte animieren wollte (die OBI-Reklame sehe ich seitdem ganz anders). Im Sprachgebrauch der Bundesprüfstelle gibt es den "gefährdungsgeneigten Jugendlichen". Ich muss gestehen: Obwohl nicht mehr jugendlich, bin ich immer noch gefährdungsgeneigt. Die BPjM ist für mich nicht mehr zuständig, muss aber doch damit leben, dass ich nur in Versuchung geführt werden konnte, weil sie diesen Bava-Film indiziert hat. Sonst wäre ich da nie hingekommen. Ich habe mir keinen Dildo gekauft, wohl aber einen neugierigen Blick auf die "Erotiksammlung" geworfen. Es handelte sich zum großen Teil um Autogrammphotos mir unbekannter Pornodarstellerinnen, die stereotyp mit gespreizten Fingern ihre Körperöffnungen zur Schau stellten. Auch hier gilt (ich spreche nur von mir): So etwas wird schnell langweilig. Statt nun aber nach Im Blutrausch des Satans zu suchen und mich dann schleunigst wieder zu verdrücken, konnte ich natürlich dem Drang nicht widerstehen, mich im "18er-Raum" weiter umzusehen.

Wandel durch Erinnerung

Von Pornos nicht sehr angetan (ganz gleich, ob anal oder oral, mit Körperausscheidungen oder ohne), fand ich bald wieder das Dritte Reich, das bei uns immer mit dazugehört. Merke: Was man verbietet, verdrängt und unterdrückt, statt sich argumentativ damit auseinanderzusetzen, wird man nie wieder los. Zur Versteigerung kamen 24 DVDs mit alten Nazi-Wochenschauen, mit Leni Riefenstahls Triumph des Willens als Bonus obendrauf. Das hätte mich interessiert, war aber schon sehr teuer. Waren das alles Nazis, die da mitboten? Sicher nicht. Die meisten, vermute ich, waren so wie ich. Sie wollten durch vollständige Filmdokumente, also aus erster Hand, mehr über die Zeit erfahren, die sonst nur vermittelt und in Schnipselform dargeboten wird.

Während ich im Land der Pornographen, Nazis und Splatterfilmer unterwegs war (wollen wir wirklich, dass das alles - als Resultat unserer Verbote - in einen Topf geworfen wird?), geriet die CDU von Baden-Württemberg durch ein von Ministerpräsident Günther Oettinger und Generalsekretär Thomas Strobl herausgegebenes Büchlein mit dem Titel Lied.Gut. in Erklärungsnot. Stein des Anstoßes: Das Werk "Ob's stürmt und schneit" auf Seite 86, auch "Panzerlied" genannt: "Voraus die Kameraden, im Kampf sind wir allein. So stoßen wir tief in die feindlichen Reih'n." Ich kenne das "Panzerlied" aus Filmen der NS-Zeit. Thomas Strobl, der Herausgeber, war letztes Jahr mit seinem Landesvater zu Besuch in Israel. Auf seiner Website zeigt er stolz ein Photo von der Reise. Er ist 1960 geboren. Die Nazi-Filme kennt er vermutlich nicht, weil sie seit 1945 nicht mehr aufgeführt und nicht verkauft werden dürfen.

Ich frage mich, ob Herrn Strobl, wenn er schon Texte nicht genau liest, vielleicht aufgefallen wäre, was er da in sein Liedgut aufnimmt, wenn er die alten Propagandafilme gesehen hätte? Dann hätte er das Lied bestimmt weggelassen. Spricht das nun für ein Verbot solcher Filme, oder dagegen, oder ist es irrelevant? Im Falle von Herrn Strobl hätte die intensivere Beschäftigung mit der NS-Zeit nichts geholfen, denn inzwischen meldet die dpa, er habe "nicht alle Texte durchgeschaut" in diesem Buch, das er herausgegeben hat. Eine genauere Beschäftigung mit dem Dritten Reich wäre trotzdem lohnend. Dann wüsste Herr Strobl, wie unsensibel es in diesem Zusammenhang ist, den Band mit dieser Begründung nicht einstampfen zu wollen: "Wir lehnen Bücherverbrennungen ab." Am 19. März schickte Herr Strobl folgende, auf seiner Website nachzulesende Pressemitteilung hinaus in die Welt: ‚"Wir dürfen die Vertriebenen nicht vergessen." Mahnende Worte des CDU-MdB Thomas Strobl auf dem Kongress ‚Wandel durch Erinnerung'.

Ich bin sehr für Erinnerung, aber die italienischen Gialli sind mir doch lieber als "Volkslieder und Schlager für fröhliche Stunden" (so der Untertitel von Lied.Gut.). Im "18er-Raum" gab es davon recht viele. Teils indiziert und teils auch nicht, mit FSK-Zertifikat oder ohne. Die Bundesprüfstelle hat da ein eigenartiges Biotop geschaffen. Was die BPjM indiziert, wird sofort für Sammler interessant. Im Fall der Gialli wurden meistens alte Schmuddelvideos auf den Index gesetzt, die man längst nicht mehr findet. Dafür gibt es jetzt DVD-Editionen für Sammler, in großen Buchboxen oder in kleinen. Einige der Filme kann man in bis zu fünf verschiedenen Buchboxen kaufen, manche in limitierten und nummerierten Ausgaben (die DVD in Box A bis E ist immer die gleiche).

Garantiert Uncut

Auf den Boxen sieht man junge Frauen in Not, Gewalt und nackte Busen. Diese Cover sind die Nachfolger der alten Kinoaushangbilder mit der vom Monster verschleppten Jungfrau und der Sex-and-Crime-Taschenbücher, die früher den Jugendschützern die Schamröte ins Gesicht trieben und heute im Kunstmuseum ausgestellt werden, ohne dass sich daran jemand stört. Dazu gibt es Texte, die politisch nicht immer korrekt sind und deren Verfasser gelegentlich mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß stehen, was gleich wieder Vorurteile weckt. Aber die Filme auf den DVDs sind technisch von erstaunlich guter Qualität. Ich würde sagen, dass hier echte Filmliebhaber am Werk sind, auch wenn sie Probleme mit der Grammatik haben. Sollte meine Stichprobe ein einigermaßen repräsentatives Ergebnis erbracht haben, wird man zuverlässig darüber informiert, ob es sich um eine ungeschnittene Fassung handelt oder nicht. Von so etwas kann man bei frei zugänglichen DVDs nur träumen.

Ich besitze jetzt Nr. 269 von insgesamt 555 Exemplaren der "Limitierten Uncut Edition" des Films Die Bestie mit dem feurigen Atem (nicht indiziert) von Riccardo Freda, dem Lehrmeister von Mario Bava. Auf dem Cover steht Folgendes:

Achtung Filmfans! Leider entspricht die Bildqualität des Films nicht dem mittlerweile gewohnten Standard. Da der Film aber noch nie in deutscher Sprache zu sehen war und weltweit kein qualitativ besseres Master zu finden ist, haben wir uns entschlossen den Film in dieser limitierten Auflage zu veröffentlichen.

Schon wieder fange ich an zu träumen. Ich stelle mir folgenden Text auf dem Cover der Ausgabe von Carol Reeds Der dritte Mann vor, die ich hier stehen habe (gern auch mit sprachlichen Mängeln):

Achtung Filmfans! Die Bild- und Tonqualität des Films ist in dieser Edition genauso miserabel wie auf der DVD, die es längst gibt. Da das hier keinen stört, haben wir uns entschlossen, die Rechte an die DVD-Reihe einer großen Zeitung zu verkaufen, um schnell noch einmal Kasse zu machen, bevor wir demnächst die restaurierte Fassung von Der dritte Mann, die man in den USA und in Frankreich jetzt schon kaufen kann, als Premium Edition auf den Markt bringen.

Allein die Tatsache, dass ein Film als "Premium Edition" verkauft wird, wenn die Qualität so gut wie möglich ist, sagt eine ganze Menge über das "Filmland Deutschland". In so einem Land wird dann auch Im Blutrausch des Satans mit einer Begründung indiziert, in der es heißt: "Die Mitglieder des 3er-Gremiums haben sich den Videofilm in voller Länge und bei normaler Laufgeschwindigkeit angesehen [...]." Was will uns das 3er-Gremium damit sagen? Dass es normalerweise nur zu den Gewalt- und Sexszenen vorspult, dieses Mal aber nicht? Ich wünsche mir eine Bundesprüfstelle für Filmqualität. Kennt eigentlich noch jemand den wunderbaren Filmemacher Max Ophüls, einen der großen Künstler des 20. Jahrhunderts? Ophüls ging einen Tag nach dem Reichstagsbrand nach Frankreich ins Exil. Auf ihn sind wir so stolz, dass wir sogar einen Preis nach ihm benannt haben. Nur zwei seiner Filme, die ich hier nachdrücklich empfehlen möchte, gibt es bei uns auf DVD: die herrlich anarchische Komödie Lachende Erben (1933) und die tragische Liebesgeschichte Letter From An Unknown Woman (Brief einer Unbekannten, 1948). Aus 1001 Filme. Die besten Filme aller Zeiten:

Brief einer Unbekannten ist ein unerschöpflich reicher Film und hat unzählige Filmliebhaber zu eingehendem Studium all seiner Aspekte animiert. Aber keine noch so genaue Analyse wird je die tiefen Gefühle auslöschen können, die dieses Meisterwerk hervorruft.

Nehmen wir an, der Filmliebhaber lebt in Deutschland - also in einem Land, in dem sich besonders viele Leute dazu berufen fühlen, an Filmen herumzuschnippeln - und ist schon etwas älter. Dann hat er Brief einer Unbekannten vielleicht sogar im Kino gesehen. Da fehlten 14 Minuten (auf der DVD sind sie wieder eingefügt). Das sollte auch jenen zu denken geben, die Horrorfilme eklig finden und gut damit leben könnten, wenn man sie generell verbieten würde. Weitere Ophüls-Filme gibt es in England, Frankreich und den USA, aber nicht bei uns. Sollte die Einstufung als "jugendgefährdend" automatisch dazu führen, dass Filme nicht nur überhaupt auf DVD erscheinen, sondern sogar in so sorgfältig gemachten Editionen wie die Gialli, fordere ich die sofortige Indizierung von Ophüls' Gesamtwerk.

Brief einer Unbekannten

Unheimliche Doppelgänger

Viele der bei uns in den "18er-Raum" verbannten Gialli sind auch in Ländern erschienen, die keine Bundesprüfstelle haben (die gibt es nur bei uns). Ein Vergleich ist interessant. Auf dem Cover der von mir erworbenen Bestie mit dem feurigen Atem steht, dass es sich um "Riccardo Freda's verschollenes Meisterwerk!" handelt. Das war mir neu. Gespannt auf den Begleittext, in dem ich sicher mehr erfahren würde, wurde ich dort mit der Feststellung abgespeist, dass der Film ein Meisterwerk ist, weil er ein Meisterwerk ist. Der Behauptung der BPjM, dass Gialli gewaltverherrlichend sind, setzen die Autoren solcher Texte die Behauptung entgegen, dass Gialli Meisterwerke sind. Begründet wird weder das eine noch das andere.

Wo bei uns Vorurteile gehandelt werden, gibt es in anderen Ländern eine ernsthafte und niveauvolle Auseinandersetzung mit dem Genre. Das muss nicht dazu führen, dass der Giallo generell zur großartigen Filmkunst erklärt wird, und es bedeutet nicht, dass einzelne Filme für Kinder geeignet sind. Aber auch negative Urteile sind oftmals gut begründet, weil die Diskussion nicht in irgendeinem Schmuddelzimmer oder mittels geheimer Indizierungsentscheidungen geführt wird. Die Cover sind insgesamt weniger bluttriefend und "geschmackvoller" als bei uns, die Texte seriöser. Sind also Amerikaner, Italiener, Franzosen oder Norweger andere Menschen als wir? Oder gibt es eine Wechselwirkung zwischen der Indizierungspraxis der Bundesprüfstelle und der Art, wie die indizierten Filme bei uns vermarktet werden?

Eine im Horrorfilm sehr beliebte Figur ist die des Doppelgängers. "Ein Doppeltgänger", schreibt Jean Paul, "ist einer, der sich selber sieht." Mir sind merkwürdige Übereinstimmungen zwischen der Bundesprüfstelle und den Anbietern indizierter Filme aufgefallen. Jeder kann bei der BPjM anfragen, ob ein Film indiziert ist und erhält dann eine Antwort, ob ja oder nein. Auf meine Bitte um eine schriftliche Begründung, warum Im Blutrausch des Satans indiziert wurde, erhielt ich zunächst diese Antwort: "Die Entscheidungen der Bundesprüfstelle werden an Dritte grundsätzlich nur bei Nachweis eines wissenschaftlichen oder journalistischen Interesses weitergegeben." Ein solches Interesse konnte ich nachweisen. Umgehend bekam ich die schriftliche Begründung. Wenn andere Behörden, mit denen ich schon zu tun hatte, so "kundenorientiert" wären wie diese, wäre das eine feine Sache. Ganz ähnlich ist das Verfahren, wenn man im Internet einen nicht jugendfreien Film kaufen will. Auf den Websites der meisten Anbieter gibt man den Namen eines Films oder eines Regisseurs ein. Man wird darüber informiert, ob das Gesuchte grundsätzlich im Sortiment vorhanden ist und darauf hingewiesen, dass man aus Gründen des Jugendschutzes erst mehr über Inhalt und Kaufmöglichkeiten erfahren darf, wenn man (siehe oben) die Volljährigkeit nachgewiesen hat.

Verbotenes ist immer interessant, weil es verboten ist. Der Jugendschutz muss ein Interesse daran haben, dass keine Listen mit indizierten Filmen im Umlauf sind, weil diese rasch zur Wunschliste der Jugendlichen werden könnten. Ähnliches gilt für die Indizierungen im Einzelnen. Im Blutrausch des Satans wurde 1983 auf den Index gesetzt. Eine Indizierung läuft nach 25 Jahren aus, wie man nach verbüßter Haftstrafe in Freiheit kommt, oder sie wird verlängert. Für den Film Im Blutrausch des Satans wurde nach 25 Jahren die Sicherungsverwahrung angeordnet, also der weitere Verbleib im Gewaltverherrlichungs- und Pornoghetto. Aus der Entscheidung zur Folgeindizierung: "Sein Inhalt ist offensichtlich geeignet (§ 23 Abs. 1 JuSchG), Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren [...]." Wenn man solche Behauptungen und den Verweis auf Paragraphen weglässt, bleibt ein Text übrig, der so auch auf der DVD-Hülle stehen könnte.

Wenn man im Laufe seiner Tätigkeit feststellt, dass man dem, den man bekämpft, immer ähnlicher wird, ist das ein guter Moment zum Innehalten. So etwas - das lernt man aus vielen Doppelgänger-Filmen - ist ein Indiz dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist. Es ist dann dringend geboten, die eigene Praxis zu hinterfragen. Die BPjM listet Gewaltszenen auf, um damit die Indizierung zu begründen. Der Anbieter des Films listet Gewaltszenen auf, um zum Kauf zu animieren. Die Person oder die Institution, die vor über 25 Jahren die Indizierung von Im Blutrausch des Satans beantragte, zitierte der Einfachheit halber gleich die komplette Inhaltsangabe auf der Hülle der Videokassette, was dann von der Bundesprüfstelle (im Abschnitt "Gründe") noch mit abstoßenden Details angereichert wurde. Fertig war die Indizierung.

Tote Gräfin in verträumter Bucht

Ich finde daran peinlich, dass die ursprüngliche Inhaltsangabe besser und richtiger ist als die der Bundesprüfstelle. Der Text auf der Kassette beginnt laut Antragsteller so: "Eine kleine verträumte Bucht, die den Anschein erweckt, als sei die Welt hier noch in Ordnung ... doch der Schein trügt." Bei der BPjM wird daraus: "Gleich zu Beginn des Films wird eine Frau, die Gräfin Frederika in ihrem Rollstuhl sitzend, von einer unbekannten Person erhängt." Das klingt nicht gut. Es scheint sich um einen dieser Filme zu handeln, die gleich zu Beginn mit Brutalitäten aufwarten, damit der gefährdungsgeneigte Zuschauer bei der Stange bleibt, statt wegzuzappen oder die nächste Kassette bzw. DVD einzulegen. Für mich wird daraus nur deutlich, wie fragwürdig solche Urteile sind, die sich auf fragmentarische Inhaltsangaben stützen. Indiziert wird nicht oder nicht nur die schriftliche Inhaltsangabe, sondern ein Film.

Mag sein, dass ich zu einer verschwindend kleinen Minderheit gehöre. Ich jedenfalls sehe gleich zu Beginn des Films die Anfangstitel, und dahinter Lichtreflexe. Es sind die Lichtreflexe auf dem Wasser dieser "kleinen verträumten Bucht", die in mehreren Kameraschwenks gezeigt wird. Man merkt den Bildern an, dass Mario Bava (er war Regisseur und Kameramann in Personalunion) sich große Mühe gegeben hat, die Bucht so schön erscheinen zu lassen wie nur möglich (betont wird diese Schönheit auch durch die Musik). Dann erleben wir den Tod einer Fliege mit - aus Sicht der Fliege. Bei der Beurteilung einer Situation, das erfährt man mehrfach in diesem Film, kommt es entscheidend auf die Perspektive an.

In Italien lief der Film, der gar nichts mit einem "Blutrausch des Satans" zu tun hat, als Reazione a catena (Kettenreaktion) oder als Ecologia del delitto (Ökologie des Verbrechens). Diese Titel sind viel weniger dumm als das, was der deutsche Verleih daraus gemacht hat. Bald wird uns das Fernsehen wieder die Eisbären zeigen, deren Lebensraum wegschmilzt, während wir versuchen, mit Abwrackprämien die Autoindustrie zu retten. Ökologen werden uns wieder auffordern, uns in die Lage der Eisbären zu versetzen, weil sie hoffen, dass wir dann etwas gegen die Klimaerwärmung unternehmen werden. Bava verlangt uns (ich spreche nur von den Erwachsenen) mehr ab. Er hat sich ein Lebewesen ausgesucht, das man sich so schlecht als süßes Plüschtier vorstellen kann wie Im Blutrausch des Satans als Pretty Woman. Bei ihm ist der Eisbär eine Schmeißfliege. Wenn wir den Eisbären umbringen, sagen die Ökologen, bringen wir uns schließlich, am Ende einer Kettenreaktion, auch selber um. Bava sagt dasselbe. Nicht jetzt, sondern in einem Film von 1971. Leider muss man konstatieren, dass er viel Weitblick bewiesen hat. Ob sein Film ähnlich jugendgefährdend ist wie die reale Welt, die wir der Jugend hinterlassen werden, weiß ich nicht.

Filmtitel wecken Erwartungen. Diese Erwartungen beeinflussen die Art, wie wir den Film sehen. Oft kommt ein Verleiher und denkt sich einen Titel aus, der so blöd ist wie in diesem Fall. Ein Filmanfang bietet uns die Möglichkeit, uns von unserer durch Marketingüberlegungen, Vorurteile oder was auch immer geschürten Erwartungshaltung zu befreien. Regisseure achten deshalb sehr auf solche Anfänge. Sie sind eine Art "Leseanleitung" - also ein Hinweis, worauf man beim Sehen des Films achten, worauf man sich einstellen sollte. Die BPjM erkennt das an, wenn sie schreibt, dass es gleich zu Beginn die erste Leiche gibt. Dieser Film, heißt das, verspricht dem Jugendlichen viele Tote, und dieses Versprechen wird dann eingelöst. Dann sollte aber der Anfang auch der Anfang sein.

Bei Bava füllt ein unscharfes kreisrundes Licht die Leinwand aus. Es ist Nacht. Das könnte das Mondlicht sein. Als das Bild schärfer wird, erkennen wir, dass es ein Stück vom Rollstuhl der Gräfin Frederika ist. Das ist die erste von vielen Täuschungen in diesem Film, die auf ungenaues Sehen zurückzuführen sind. Bavas eigene Lieblingsszene war die, in der wir glauben, die Sonne zu sehen; das Bild wird scharf, und die "Sonne" erweist sich als der Augapfel eines heimlichen Beobachters. Die ersten 9 Minuten von Im Blutrausch des Satans kommen übrigens völlig ohne Dialog aus. Das ist so avantgardistisch, wie es für einen kommerziellen Film nur möglich ist. Finanziell war Ecologia del delitto ein totaler Misserfolg, obwohl es viele Morde gibt, Bava also, möchte man meinen, einem nach Gewalt gierenden Publikum genau das lieferte, was erwartet wurde. Es kommt aber nicht auf die Gewalt an sich an, sondern auf den Kontext, in dem sie steht.

Zehn kleine Negerlein

Gräfin Frederika, die in meinem Filmanfang noch lebt, schaut aus dem Fenster und hinüber zu einer Hütte. Dort wohnt Simon, ihr unehelicher Sohn. Verwandtschaftliche Beziehungen bestimmen in diesem Film das Handeln der Figuren - nicht wegen der menschlichen Wärme und Geborgenheit, die gern mit der Familie assoziiert wird, sondern wegen der Erbfolge. "In dem verfahrensgegenständlichen Film", heißt es in der aktuellen Indizierungsentscheidung, "wird Gewalt zum Selbstzweck erhoben [...]." Das ist falsch. Der Zweck ist ganz eindeutig der, an das Erbe der Gräfin zu kommen. Jeder Mord lässt sich direkt darauf zurückführen. Im Blutrausch des Satans ist ein ziemlich schonungsloser Film über die grenzenlose Gier nach Geld. Die heimliche Heldin ist die Schönheit der Natur. Wer gleich Gewalttaten sieht wie die BPjM, und nicht die "verträumte Bucht" des Werbetexts, hat nichts begriffen. Es kommt auf den Kontrast an.

Bevor der gefährdungsgeneigte Leser angesichts dieser Ausführungen endgültig die Geduld mit meinem Text verliert, will doch auch ich eine Inhaltsangabe mit vielen Morden präsentieren und so zur weiteren Lektüre animieren:

Ein abgelegenes Haus in schöner Landschaft. Zehn Personen verbringen dort ein Wochenende. Eine Person nach der anderen wird vergiftet, zerschmettert, mit einer Spritze umgebracht, erdolcht, erschossen, einem schrecklichen Tod durch Erfrieren ausgesetzt usw. Die Morde orientieren sich am Kinderlied von den "Zehn kleinen Negerlein". Der Zuschauer wartet gespannt darauf, wer als nächster getötet wird und wie der Mörder es anstellen wird, dass die Todesart dem entspricht, was im Kinderlied als Sterbeursache genannt wird. Spaß macht das natürlich nur, wenn der Mörder erst ganz am Schluss entlarvt wird und bis dahin weiter töten kann. Da der Zuschauer bei dieser Konstruktion moralische Bedenken kriegen könnte, erhält er noch die Information, dass alle Mordopfer selbst schuld am Tod anderer Menschen sind, also nur ihre "gerechte Strafe" erhalten.

Keinem der Opfer könnte man vor Gericht seine Schuld nachweisen. Indem er sie umbringt, verhilft der Mörder einer "höheren Gerechtigkeit" zum Sieg. Sollen andere Nationen sich mit so etwas amüsieren; wir hier in der Bundesrepublik Deutschland wollen das eindeutig nicht. Der Inhalt des Films, schreibt die Bundesprüfstelle, erfüllt den Tatbestand einer "Gefährdung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihrer Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit". Das ist wohl richtig. Wo kämen wir da hin, wenn jeder andere Leute umbringt, weil sie, obwohl moralisch schuldig, in unserem Rechtssystem nicht verurteilt und bestraft werden können. Allerdings ist Bavas Im Blutrausch des Satans gemeint. Meine Inhaltsangabe bezieht sich aber auf Ten Little Indians (1965) von George Pollock, einer Verfilmung von Agatha Christies Kriminalroman, dessen Titel im Zeitalter der politischen Korrektheit schon fast so viele Wandlungen durchgemacht hat wie Ecologia del delitto. Unter dem derzeitigen deutschen Titel "Da waren's nur noch neun" kann man die DVD problemlos kaufen oder leihen. Eine "FSK 16"-Freigabe hat sie vermutlich nur, weil der Film über 40 Jahre alt ist und solche Freigaben kein Verfallsdatum haben. Eine heutige Prüfung würde zu einem "FSK 12" oder darunter führen.

Ich verlange nicht, dass Ten Little Indians auf den Index kommt. Es stellt sich aber die Frage, was Bava falsch gemacht hat und Pollock richtig. Zunächst ist da natürlich die Gewalt. Hitchcock war irgendwann angewidert von Filmen, in denen es "Peng" macht und dann fällt die Leiche um. Deshalb zeigte er in Torn Curtain (Der zerrissene Vorhang) und in Frenzy, dass es viel schwieriger ist, einen Menschen umzubringen, als es uns im Kino meistens vorgegaukelt wird. Bava empfand das wohl so ähnlich. Pollock dagegen hielt sich an die Regeln. Bei ihm ist man weit weg, wenn eine Frau in einen Abgrund stürzt und zerschmettert wird, und er schneidet, bevor das Messer in den Körper eindringt. So ist das Töten, weil "nicht brutal", erlaubt. Das führt zu kuriosen Sätzen wie dem in der Indizierungsentscheidung der BPjM (Blutrausch): "Die dargestellten Tötungs- und Verletzungshandlungen sind grausam und unmenschlich." Mir gruselt vor Leuten, die solche Sätze schreiben. Ich dachte, wir hätten uns nach 1945 darauf geeinigt, dass das Töten von Menschen (Bava lässt das auch für die Tiere gelten) prinzipiell grausam ist. Deshalb haben wir die Todesstrafe abgeschafft, statt nach der "humansten" Hinrichtungsmethode zu suchen.

Der zerrissene Vorhang

Mord als Gesellschaftsspiel

Am Anfang von Pollocks Film fahren die Figuren mit der Gondel hinauf in das Schloss, in dem sie umgebracht werden. Zuerst sehen wir Hugh O'Brian (Hugh Lombard) und Shirley Eaton (Ann Clyde), und dazu lesen wir ihre Namen. Die Stars kommen immer zuerst. Mit ihnen sollen wir uns identifizieren. In einem regelkonformen Film wie diesem wissen wir gleich, dass die von ihnen dargestellten Figuren nicht sterben werden. Die beiden Stars haben eine Überlebensgarantie, weshalb es auch kein Wunder ist, dass Leute sich im Fernsehen zum Deppen machen, um ein solcher Star zu werden. Nur, wenn wir davon ausgehen dürfen, dass unseren Identifikationsfiguren nichts passieren kann, lässt sich die Gewalt unbeschwert genießen (in Psycho und in Im Blutrausch des Satans ist das ganz anders). Die Jugendfreigabe ist dafür die Belohnung.

Ten Little Indians

Da aber alle eine schwere Schuld auf sich geladen haben, was ihre Ermordung legitimiert, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass die Stars unschuldig sind. Und tatsächlich: Hugh Lombard ist gar nicht Hugh Lombard, und die Ann Clyde zur Last gelegte Tat wurde von deren Schwester begangen, die jetzt im Irrenhaus sitzt. Bleibt noch der Mörder. Die meisten Filme funktionieren nach bestimmten, durch Ideologien geprägten Regeln, an die wir uns so sehr gewöhnt haben, dass wir uns ihrer nicht mehr bewusst sind. Zuwiderhandlungen werden gern mal mit der Indizierung bestraft. Selbstjustiz führt schnell zum Jugendverbot. Ganz anders, wenn der Sheriff auf den Verbrecher schießt (das staatliche Gewaltmonopol). Einen Sheriff gibt es bei Pollock nicht. Ihm am nächsten kommt der Richter. In einem Film mit vielen Leichen und mit Jugendfreigabe kann nur er der Mörder sein, und er ist es auch. Das lässt auf autoritäres Denken schließen.

Ten Little Indians

Natürlich ist es problematisch, wenn ein Richter andere ohne faires Verfahren zum Tode verurteilt und sie dann persönlich umbringt. Deshalb wird für jedes Opfer eine Szene erfunden, in der es seine Schuld gesteht, ehe es ermordet wird. So wirkt der Mord gleich weniger schlimm. Der Richter weiß, dass auch er Schuld auf sich lädt, wenn er die Geständigen tötet. Also bestraft er am Schluss sich selbst und nimmt Gift. Die Gerechtigkeit ist damit wiederhergestellt, Gewalt wird nicht "zum Selbstzweck erhoben". Entscheidend ist aber Folgendes: In diesem Film werden nach Art eines Gesellschaftsspiels acht Menschen getötet, und zwar im Dienste einer "höheren Gerechtigkeit". Am Schluss sind alle tot, die einen Mord, einen Totschlag oder eine fahrlässige Tötung zu verantworten haben. Ein Richter hat beschlossen, dass sie nicht mehr leben dürfen (ganz anders würden wir den Film beurteilen, wenn der Richter ein Metzger wäre oder ein Hersteller von Computerspielen), und das unschuldige junge Paar wird heiraten. Ist das nicht schön? Auch der "gefährdungsgeneigte Jugendliche" kann sich das bedenkenlos anschauen, oder etwa nicht? Die FSK hat nichts dagegen.

Ein Film wird erschossen

Bei Pollock knüpft der Richter am Ende die Schlinge, in der sich sein letztes Opfer erhängen soll. Mario Bava hasste diese Filme à la Agatha Christie. In zwei von seinen Gialli, in 5 bambole per la luna d'agosto (1969) und in Ecologia del delitto, legt er ihre Mechanismen offen und erkundet - wie Michael Powell in Peeping Tom - die perversen Seiten des Kinos und der Schaulust, über die wir lieber nicht weiter nachdenken wollen, weil das unser Vergnügen stören könnte. Wenn er Gräfin Frederika durch Erhängen sterben lässt, ist das ein Verweis auf die "Zehn kleinen Negerlein" und programmatisch. Er knüpft an eine Tradition an, um sie dann in ihre Einzelteile zu zerlegen.

Gräfin Frederika, schreibt die BPjM, wird "von einer unbekannten Person erhängt". Auch das ist falsch. Die "unbekannte Person" ist ihr Mann, der sie ermordet, um an ihr Erbe zu kommen, die "kleine verträumte Bucht" aus dem Werbetext. Ein Architekt will die Bucht zu Geld machen, indem er die bisher naturbelassene Landschaft mit Beton auffüllt und ein Freizeitzentrum errichtet. Die Gräfin lehnt das ab. Deshalb wird sie umgebracht. Der Mörder löst damit eine Kettenreaktion aus, deren nächstes Opfer er selbst ist. Wer bei Bava tötet, wird selbst getötet, und im Unterschied zu Pollock gibt es keine unschuldigen, sympathischen und gutaussehenden Figuren mit Starstatus, die vor Gier und Gewalt sicher wären. Bava inszeniert einen kollektiven Amoklauf des Kapitalismus, der den Ast absägt, auf dem er sitzt. Wenn ich Papst Benedikts Äußerungen zur Finanzkrise richtig verstanden habe, sagt er nichts anderes. Ich weiß nicht, ob Bavas moralischer Rigorismus für Kinder geeignet ist. Mich stört, dass die Bundesprüfstelle darüber nicht nachdenken konnte, weil sie den Film nicht genau angeschaut hat.

Als ich ein Student war, geriet man bei älteren Professoren (es gab kaum andere) rasch in den Verdacht, ein Analphabet zu sein, wenn man sich für Filme interessierte. In den Texten auf den deutschen Giallo-Hüllen oder im Bonusmaterial gibt es so viele Grammatik- und Bezugsfehler, dass man fast glauben könnte, die Professoren hätten doch Recht gehabt. Leider muss ich sagen, dass der Text der BPjM sprachlich auch nicht besser ist. Ich will hier nur einen Satz erwähnen, den ich lieber nicht ganz zitiere, weil das ein Verstoß gegen das Werbeverbot sein könnte. Man muss mindestens ein fehlendes Wort ergänzen, damit der Satz vollständig wird und einen Sinn ergibt. Wenn ich das richtige Wort gewählt habe, erfährt man, dass die Gewalthandlungen im "Erschießen des Films" kulminieren. Wer hat das gemacht? Bava war es nicht. Die Bundesprüfstelle hat Glück, dass ich nicht einer von diesen Psychologen bin, die sich im Fernsehen über die Motive von Leuten auslassen, die sie auch nur aus dem Fernsehen kennen, was aber keinen daran hindert, uns zu erklären, warum sich Pamela Anderson so peinlich aufführt, die Ex-Freundin von Dieter Bohlen eine eigene Gesangskarriere anstrebt oder ein 17-jähriger Schwabe Amok läuft. Diesen Psychologen würde zum "Erschießen des Films" eine Menge einfallen.

Erstaunt bin ich auch über die vier jungen Leute, die - laut BPjM - in der Bucht der Gräfin Frederika "einen Badetag verbringen wollen". Das ist ein Film von 1971. Wahrscheinlich wollte nicht einmal der Jugendliche der Adenauerzeit einen Badetag verbringen, wenn er mit seiner Freundin zum See fuhr. Brigitte Skay schwimmt kurz im viel zu kalten Wasser, aber die vier jungen Leute fahren zu der Bucht, weil sie hoffen, dort ungestört Sex haben zu können (sie sind alle volljährig und dazu autorisiert). Man sieht auch, was sie wollen. Die Erklärung, wer hier was zensiert und für wen, überlasse ich wieder den Psychologen. Am meisten wundere ich mich über die beiden Kinder in dem Film. Bei der Bundesprüfstelle werden sie ganz zum Schluss und nur in Verbindung mit einer Gewalttat erwähnt. Von Leuten, die sich mit jugendgefährdenden Dingen beschäftigen, hätte ich mir mehr erwartet. Wenn ich richtig gerechnet habe, lassen die Eltern ihren Sohn und ihre Tochter zwei Tage lang allein in ihrem Wohnwagen, während sie versuchen, das Erbe an sich zu bringen, damit die Kinder es einmal besser haben (dazu gehört das Zubetonieren der Natur). Bava zeigt, was eine solche Vernachlässigung der Kinder für Folgen haben kann. In der Indizierungsentscheidung steht davon kein Wort. Obwohl eigentlich sehr deutlich, kann man die Vernachlässigung leicht übersehen, wenn man sich zu sehr auf das Auflisten der Morde konzentriert.

Wenn im Film Menschen umgebracht werden, ist das übrigens sehr oft ein Sichtbarmachen von struktureller Gewalt, die man sonst gar nicht zur Kenntnis nehmen würde. Hartz-4-Empfänger werden wissen, was ich meine. Der klassische Gangsterfilm (Scarface, Little Caesar) ist nicht von ungefähr ein Produkt der Weltwirtschaftskrise. An der Reaktion auf diese Filme kann man auch sehr gut den Zusammenhang zwischen Gewalt und Ideologie erkennen. Als die Hollywood-Studios wegen der mordenden Gangster unter Druck gerieten, wechselte James Cagney (The Public Enemy) die Seiten. Von nun an schoss er als Polizist auf andere Leute (G Men). Das war erlaubt. Dafür mag es sogar gute Gründe geben. Man kann dann aber Verbote nicht dadurch rechtfertigen, dass man Gewalttaten aufzählt, wie es die Bundesprüfstelle macht.

Schutz von Minderheiten

Ein guter Indikator für die Qualität einer Demokratie ist deren Umgang mit dem, was die Mehrheit ablehnt, nicht leiden kann oder vielleicht sogar gefährlich findet. Es ist daher völlig unerheblich, ob ich Ecologia del delitto mag oder nicht. Es geht um das Verfahren. Wer meint, dass ich zu viel Aufhebens um so einen gewaltverherrlichenden und jugendgefährdenden Schundfilm mache und nicht gleich einen Auffrischungskurs in "Demokratiekompetenz" belegen will, stelle sich der Einfachheit halber statt Im Blutrausch des Satans etwas anderes vor, das er oder sie zufällig mag, die Bundesprüfstelle aber nicht. Kennt noch jemand Klarabella Kuh aus den alten Disney-Filmen? Bis 1931 durfte Klarabella eine normale Zeichentrick-Kuh sein. Dann musste sie sich etwas anziehen - auf Druck von Jugendschützern, die sich über ihr nacktes Euter beschwert hatten. Die Strukturen, die 1931 zu diesem Unsinn führten, sind denen sehr ähnlich, die im vergangenen Jahr zur erneuten Indizierung von Im Blutrausch des Satans führten. Bei uns aber ist das Verfahren noch viel intransparenter als bei Klarabella Kuh. Heute, nicht 1931.

Im aktuellen Wikipedia-Artikel zur BPjM findet sich der Hinweis, dass die Indizierungsentscheidungen nicht öffentlich sind, so wie auch Gerichtsurteile nicht öffentlich sind. Stellen wir uns also vor, Im Blutrausch des Satans würde der Prozess gemacht. Wie läuft das ab? Gibt es das, was wir uns unter einem fairen Verfahren vorstellen?

Die Bundesprüfstelle kann (ich vereinfache) dann aktiv werden, wenn ein Film keine FSK-Freigabe hat (Ausnahme: FSK 18). Obwohl es um "jugendgefährdende Medien" geht, betrifft das auch die Erwachsenen. Ein gutes Beispiel ist Alexandre Ajas Film Haute Tension (High Tension), der Preise auf internationalen Festivals gewann. Wer den Film ganz sehen will, muss in Österreich ins Kino gehen oder sich dort die DVD kaufen. Bei uns ist die DVD gekürzt, obwohl sie ab 18 ist. Die Alternative wäre gewesen, den Film ohne FSK-Freigabe herauszubringen. Solche Filme stehen automatisch im Verdacht, jugendgefährdend zu sein. Das birgt die Gefahr der Indizierung. Und eine Indizierung schränkt die Aufführungs- und Vertriebsmöglichkeiten so sehr ein, dass sie dem finanziellen Exitus gleichkommt.

Ich will hier nicht gegen FSK und Bundesprüfstelle polemisieren. Alle Mitarbeiter der BPjM, mit denen ich bisher zu tun hatte, waren ausgesprochen freundlich und hilfsbereit. Ich hatte nicht den Eindruck, dass da moralinsaure Tugendwächter einem finsteren Gewerbe nachgehen. Es handelt sich um Mitarbeiter einer Bundesbehörde (sogar einer Bundesoberbehörde), die sich an ihre Vorschriften halten, wie wir das auch von anderen Behördenvertretern erwarten würden. Mich interessieren die Risiken und Nebenwirkungen eines Systems, das, einmal etabliert, ein Eigenleben entwickelt und zu dem es keine Packungsbeilage gibt. Ich bin auch sicher, dass die Bundesprüfstelle zu wenig Mittel und zu wenig Personal hat. Davon gehe ich aus, weil das seit Jahrzehnten für alle staatlichen Einrichtungen gilt, denen die Politik Aufgaben in den Bereichen Kultur, Bildung, Erziehung und Jugendschutz zugewiesen hat.

Sicherungsverwahrung für den Satan

Anders als bei der FSK verliert eine Indizierung nach 25 Jahren ihre Wirkung - es sei denn, es wird eine Folgeindizierung beantragt. Bei Im Blutrausch des Satans wurde die BPjM "auf Veranlassung der Vorsitzenden tätig, weil ihres Erachtens der verfahrensgegenständliche Film auch nach den heutigen Maßstäben jugendgefährdende Inhalte aufweist". Die Vorsitzende heißt Elke Monssen-Engberding und ist gelernte Juristin. Sie war schon vor 25 Jahren dabei, als der Film das erste Mal indiziert wurde. Zur Indizierung reicht ein einstimmiger Beschluss des "3er-Gremiums". Ist sich das 3er-Gremium nicht einig, entscheidet das 12er-Gremium.

Wer sollte in einem Rechtsstaat nicht darüber entscheiden, ob ein Film jugendgefährdend ist? Antwort: Die Person, die so etwas behauptet und deshalb ein Verfahren angestrengt hat. Das ist Frau Monssen-Engberding. Frau Monssen-Engberding war eines von drei Mitgliedern des 3er-Gremiums. Mir als bekennendem Nicht-Juristen kommt das vor, als wäre die Anklägerin zugleich die Richterin. Frau Monssen-Engberding kann dafür vermutlich nichts. So sind wieder die Bestimmungen. Ich darf daran erinnern, dass diese Behörde ins Leben gerufen wurde, um die Jugend zu schützen. Das ist dieselbe Jugend, von der unsere Politiker nach jedem Bericht über braunes Gedankengut bei Jugendlichen fordern, dass wir sie zu aufrechten Demokraten erziehen, die für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen. Selbst, wenn Im Blutrausch des Satans der schlimmste Film von der Welt wäre: Wir haben uns irgendwann darauf geeinigt, dass der Zweck nicht die Mittel heiligt. Bei der Demokratie gehört das unbedingt mit dazu.

Frau Monssen-Engberding war überzeugt, dass Im Blutrausch des Satans weiter indiziert bleiben muss. Die beiden anderen Mitglieder des Gremiums schlossen sich ihrer Meinung an. Beide wollen anonym bleiben, oder vielleicht müssen sie das sogar, weil es da wieder eine entsprechende Bestimmung gibt. Mich erinnert das an das Geheimtribunal in Venedig, das Casanova zur Haft in den Bleikammern verurteilte. Auch wenn es für die Geheimniskrämerei gute Gründe geben sollte, die andere nachvollziehen können (ich kann es nicht): der Eindruck ist so verheerend, dass man sich dringend etwas anderes überlegen sollte. Leute, die für ihren Text mit ihrem Namen stehen, würden ihn - da bin ich zuversichtlich - noch einmal genau durchlesen, bevor sie unterschreiben. Das könnte Begründungen vorbeugen, die - pardon - so hingeschludert sind wie in diesem Fall.

Frau Monssen-Engberdings Kollegen im 3er-Gremium kamen aus den Bereichen "Anbieter von Bildträgern u. Telemedien" sowie "Kirchen u. Religionsgemeinschaften". Rein theoretisch könnten das ein Pfarrer und der Angestellte eines katholischen Verlags gewesen sein, der religiöse Erbauungs-DVDs verkauft. Ich weiß es nicht. Ob diese beiden Mitglieder des 3er-Gremiums kompetent waren - und wenn ja: wofür - weiß ich ebenfalls nicht. Die schriftliche Begründung lässt mich daran zweifeln. Vor 25 Jahren hätte man, auch wieder theoretisch, die "Verfahrensbeteiligte" fragen können, wer genau in diesem Gremium saß. Das ist der Anbieter des Films. Er erfährt, um wen es sich da handelt. Nur leider:

Die Verfahrensbeteiligte konnte nicht form- und fristgerecht über die Absicht der Bundesprüfstelle, die Folgeindizierung im vereinfachten Verfahren gemäß § 23 Abs. 1 JuSchG zu entscheiden, unterrichtet werden, da trotz umfangreicher Recherchen eine ladungsfähige Anschrift einer Verfahrensbeteiligten nicht zu ermitteln war.

Gemeint ist die Firma, die damals, vor über 25 Jahren, dieses Video mit dem blöden Titel Im Blutrausch des Satans auf den Markt brachte. Die Firma gibt es längst nicht mehr. Das 3er-Gremium blieb also unter sich. Da man bei der Bundesprüfstelle nach Recht und Gesetz verfährt, kann die "Verfahrensbeteiligte" bei einer Indizierung unter Einhaltung der Fristen eine Entscheidung des 12er-Gremiums beantragen und später klagen. Wenn es die "Verfahrensbeteiligte" nicht mehr gibt, kann sie das nicht, aber daran ist sie selber schuld. Die Praxis sieht so aus, dass eine andere Firma den Film unter einem anderen Titel auf DVD anbietet. Das 3er-Gremium hat aber nicht die DVD gesehen, sondern nur die alte Videokassette. Das ist das übliche Verfahren. Die Indizierung gilt auch für "inhaltsgleiche" Medien, also die DVD. Der Hersteller der DVD hat aber mit dem Vorgang nichts zu tun, weil er nicht die "Verfahrensbeteiligte" ist. Irgendwie verstehe ich sogar, warum alles so abläuft, wie es das tut. Die Leute, die eine Indizierung beantragen können, werden immer mehr, und auch die Trägermedien haben sich in den letzten 25 Jahren so vermehrt, dass die BPjM nicht alles überprüfen und berücksichtigen kann. Das Resultat aber ist absurd.

Frau Monssen-Engberding wägt ab

"Zahlen zum Verbreitungsgrad des Videofilms lagen nicht vor", heißt es in der aktuellen Begründung. "Auch hier geht das Gremium nicht von einer nur geringen Stückzahl aus." Das ist schon wieder falsch. Den Videofilm, von dem die Rede ist, gibt es so gut wie gar nicht mehr, weil Sammler diese Kassette hüten wie einen Schatz. Wer den Film heute sehen will, greift zur DVD (oder versucht das zumindest). Es ist keine Haarspalterei, wenn ich einen Unterschied zwischen der DVD und dem VHS-Video mache. Die Indizierungsbegründung ist - mit Verlaub - so grottenschlecht, dass ich mir überlegt habe, ob die "Verfahrensbeteiligte" damals eine gekürzte Fassung des Films auf Video veröffentlicht, das Gremium also eine Version gesehen haben könnte, in der zum Verständnis unerlässliche Teile fehlen? Das Gremium könnte mir das nicht sagen, weil es nur die Videokassette kennt. Ich kenne nur die DVD und weiß nicht einmal, ob die Synchronfassung dieselbe ist wie auf der VHS-Kassette; die BPjM weiß es auch nicht. Die Kassette ist, wie gesagt, ein begehrtes Sammelobjekt - nicht weil der Film so gut ist, sondern weil er indiziert ist. Ich wollte nicht 100 Euro für ein altes Schmuddelvideo zahlen, nur weil es auf dem Index steht. Noch ein Zitat aus der Indizierungsbegründung:

Der Bundesprüfstelle ist durch die benannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgegeben, zwischen den Verfassungsgütern Kunstfreiheit und Jugendschutz abzuwägen, um festzustellen, welchem der beiden Güter im Einzelfall der Vorrang einzuräumen ist. Dabei ist bei einem Werk nicht nur die künstlerische Aussage, sondern auch die reale Wirkung zu berücksichtigen.

Dieser Auftrag des Gerichts wird schon dadurch unausführbar, dass man sich nur die alte Videokassette angesehen hat. Das Filmbild auf der Kassette war vermutlich beschnitten, denn auf diesen Kassetten war das meistens so (Vollbild anstatt des richtigen Formats). Bei einem Stilisten wie Mario Bava, der seine Geschichten primär durch die Bilder erzählt und nicht durch die Dialoge, ist die Wirkung enorm. Das Sichten der Videokassette war in Ordnung, als es nur diese Videokassette gab. Heute sieht man (auch der Jugendliche) den Film auf DVD. Wer sich trotzdem weiter mit der Kassette begnügt, disqualifiziert sich in meinen Augen selbst. Wer das nicht nachvollziehen kann, stelle sich ein Buch mit Seiten vor, die rechts und links beschnitten sind.

Mir fällt eine merkwürdige Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis auf. Dafür, dass Filmen jugendgefährdende Wirkungen attestiert werden, weshalb extra eine Behörde geschaffen werden musste, um der Gefahr zu begegnen, geht diese Behörde erstaunlich schlampig mit solchen Filmen um. Müsste man nicht gerade deshalb, weil diese Filme eine so schädliche Wirkung entfalten können, um größtmögliche Genauigkeit bemüht sein? Und sei es nur darum, weil man sich sonst dem Vorwurf aussetzt, dass man ins Leben gerufen wurde, um Sachen zu verbieten, weshalb man jetzt eben Sachen verbietet?

Mit "Abwägen" zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz, denkt der Laie, ist Abwägen gemeint. Es geht nicht nur um die "künstlerische Aussage", aber auch. Dazu gehören die Wahl der Einstellungsgrößen, der Bildschnitt, die Beleuchtung, die Leistung der Darsteller, die Musik und ihre dramaturgische Funktion, das Drehbuch usw. usf. In der Indizierungsentscheidung finde ich dazu nur die Worte "Kamera" und "Regisseur". Das ist alles. Auch zur "realen Wirkung" gibt es nichts Fundierteres als "offenbar nur dargestellt wurden, um" und "ist offensichtlich geeignet". Vorsicht vor "offenbar" und "offensichtlich". Wer diese Worte gebraucht, will sich meistens die Begründung sparen. So auch in diesem Fall.

Schwierige Informationsfreiheit

Die Bundesprüfstelle hat mir mitgeteilt, dass man vor einer Indizierung bemüht ist, andere (veröffentlichte) Meinungen einzuholen. Der gute Wille reicht dafür nicht aus. Ob das 3er-Gremium wohl in der Lage gewesen wäre, englische Texte zu lesen und zu verstehen? Und ob es das wirklich gemacht hat? Es wäre unbedingt erforderlich gewesen. Das Werbeverbot und dessen unklare Auslegung haben dazu geführt, dass in Deutschland kaum über Filme geschrieben wird, die indiziert sind oder sein könnten. Wenn das auch ein Jugendlicher lesen könnte, dürfen Erwachsene nur dann über einen solchen Film schreiben, was sie wollen, wenn sie den Film nicht mögen und das nicht zu detailliert begründen. Sollte sich ein solches 3er-Gremium also tatsächlich informieren wollen, aber kein ausreichendes Englisch können, würde es zum Opfer der eigenen Tätigkeit werden. Der Fairness halber muss man hinzufügen, dass die Bundesprüfstelle darüber aufklären will, dass es jugendgefährdende Medien gibt (kein Widerspruch). Sie erlässt keine Werbeverbote. Das ist die Rechtsfolge einer Indizierung. So führen gute Absichten zu unsinnigen Resultaten.

Ich weiß nicht, ob diese "Begründung", mit der Im Blutrausch des Satans indiziert wurde, typisch für solche Begründungen ist, oder ob es sich um einen peinlichen Ausrutscher handelt (die Tatsache, dass der Text aus den 1980ern 25 Jahre später mehr oder weniger übernommen wurde, stimmt mich nicht sehr zuversichtlich). Um darüber etwas sagen zu können, müsste ich eine aussagekräftige Zahl von solchen Indizierungstexten kennen. Ich weiß aber nicht einmal genau, welche Filme indiziert sind. Wenn die Angaben im Wikipedia-Artikel stimmen, sind es derzeit 2950 Titel. Eine allgemein zugängliche Auflistung dieser Titel gibt es nicht, weil sie gegen das Werbeverbot verstoßen würde; der Jugendliche könnte sich sonst Anregungen holen, was er als nächstes sehen will.

Indizierungen werden im Mitteilungsblatt BPjM-Aktuell veröffentlicht, das z.B. von Schulen und Bibliotheken abonniert wird. Ich kann mich nicht erinnern, dieses Blatt je gesehen zu haben. Offen auslegen dürfte man es vermutlich nur in Pornoläden, die einen Altersnachweis verlangen, bevor man sie betreten darf. Um also generelle Aussagen über die Indizierungspraxis machen zu können, müsste ich mir zunächst Zugang zu BPjM-Aktuell verschaffen und mir notieren, was ich da finde. Davor graut mir. Es ist oft nervenaufreibend und zeitraubend, an Sachen heranzukommen, von denen jemand beschlossen hat, dass der gemeine Bundesbürger sie nicht sehen sollte, weil es da eine Gefährdung gibt. Ich weiß aus leidvoller Erfahrung, wie schwierig es ist, Leute, die sich an Bestimmungen halten müssen, mit logischen Argumenten zur Herausgabe von etwas zu bewegen, das sie üblicherweise nicht herausgeben dürfen, weil ... das wissen sie oft auch nicht so recht. In solchen Situationen werden die Bestimmungen besonders genau eingehalten.

Besser, man wendet sich direkt an die Quelle. Das ist einfacher, weil die Leute da meistens noch wissen, worum es bei einer Bestimmung ursprünglich ging. Ich müsste mir also überlegen, welche Titel indiziert sein könnten und dann bei der BPjM anfragen, ob das stimmt. Der nächste Schritt wäre der, die BPjM um die einzelnen Indizierungstexte zu bitten. Nehmen wir an, die BPjM würde mir alles schicken, worum ich sie bitte, ich würde das auswerten und meine Ergebnisse veröffentlichen wollen. Einen solchen Aufsatz könnte ich nur mit der "Schere im Kopf" schreiben (das Werbeverbot). Oder nehmen wir an, ich würde eine Sammlung mit 100 Indizierungstexten der BPjM veröffentlichen wollen, meinetwegen mit wissenschaftlichen Fußnoten. Müsste die BPjM diese Sammlung mit ihren eigenen Texten dann nicht, der Logik des Systems folgend, in die Liste der jugendgefährdenden Medien aufnehmen und auf den Index setzen? Oder würde nur der Staatsanwalt wegen eines Verstoßes gegen das Werbeverbot ermitteln? Ich bin nicht für die Abschaffung des Jugendschutzes. Es müssen sich aber andere Formen als diese finden lassen.

Eine Indizierungspraxis wie die im Fall von Im Blutrausch des Satans reduziert den Jugendschutz letztlich auf eine Frage der Mathematik. Man zählt durch, wie viele Gewalttaten es gibt, misst mit der Stoppuhr nach, wie lang die einzelne Gewalttat zu sehen ist und berücksichtigt allenfalls noch, welche Tötungsart "grausam" ist und welche nicht. In der mir vorliegenden Indizierungsentscheidung ist das bereits weitgehend verwirklicht. Am Ende muss man nur noch festlegen, wie viele Morde es geben und wie lange Gewalt maximal gezeigt werden darf, bevor ein Film jugendgefährdend ist. All jene Produzenten und Regisseure, denen es nur darum geht, mit der Gewalt ein Geschäft zu machen, würden das sehr begrüßen. So etwas schafft Planungssicherheit. Als "Land der Dichter und Denker", das wir jetzt wieder sein wollen, nachdem wir unsere Bildungseinrichtungen 30 Jahre lang kaputt gespart haben, sollten wir uns etwas einfallen lassen, das intellektuell anspruchsvoller ist.

Teil 3: Amokläufer unter sich