Braunschweig will Flashmob verhindern

Das geplante Flashmob-Picknick füge sich in seiner "Erscheinungsform nicht in den städtebaulichen Kontext", so die Stadt

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Eigentlich wollte der Braunschweiger Dirk Schadt nur picknicken. Im Social Network StudiVZ rief er dazu auf, sich am 8. August von 16 bis 18 Uhr auf dem örtlichen Schlossplatz zum spontanen Picknick zu versammeln. Es sollte ein Flashmob werden, wie es ihn an gleicher Stelle vor zwei Jahren schon einmal gab. Doch wenn es nach dem Willen der Stadt geht, wird daraus nichts: Sie will das Picknick unterbinden. Die Verwaltung befürchtet Sachbeschädigungen, wie sie bei einer ähnlichen Aktion auf Sylt entstanden sind.

Als das Ordnungsamt der Stadt Braunschweig Kenntnis von dem geplanten Flashmob erlangte, suchte ein Mitarbeiter den 32-jährigen Schadt zu Hause auf und zitierte ihn auf die Behörde. Dort wurde er aufgefordert, seine Einladung im StudiVZ zu widerrufen. Denn eine solche Veranstaltung sei zum einen genehmigungspflichtig, zum anderen so nicht genehmigungsfähig. Öffentliches Feiern, Picknicken, Grillen, Tanzen? Das sei auf dem Braunschweiger Schlossplatz nicht zulässig.

Schadt sah sich durch das Vorgehen in seiner Kritik bestätigt. Denn eigentlich wollte er den Flashmob organisieren, um den öffentlichen Raum für eine begrenzte Zeit umzufunktionieren. Dies war auch die ursprüngliche Intention der ersten Flashmobs, die zu Beginn des Jahrzehnts stattfanden. Den öffentlichen Raum sieht der Braunschweiger in seiner Stadt in Gefahr: „Man merkt in Braunschweig, dass immer mehr öffentlicher Raum platt gemacht wird“, sagt er. So war an der Stelle, wo sich nun der Schlossplatz befindet, vor ein paar Jahren noch ein öffentlicher Park. „Durch die Sondernutzungsordnung der Stadt kommt es zu weiteren Einschränkungen“, beklagt Schadt.

Diese Sondernutzungsordnung hat die Stadt Braunschweig am 19. März 2002 erlassen. Darin ist geregelt, wer die Braunschweiger Straßen und Plätze „über den Gemeingebrauch hinaus“ für seine Zwecke nutzen darf, wie die Verwaltung erklärt:

Sinn und Zweck der Sondernutzungserlaubnis bzw. der Einschränkungen von solchen grundsätzlich erlaubnispflichtigen Sondernutzungen ist es, daß öffentliche Plätze und Straßen grundsätzlich nur der Allgemeinheit, also dem Gemeingebrauch zur Verfügung stehen. Dabei haben bei der Genehmigung von Sondernutzungsveranstaltungen prinzipiell dem Gemeinwohl dienende oder gemeinnützige Veranstaltungen (z. B. Bürgerbrunch) eine höhere Bedeutung als nur privaten oder kommerziellen Zwecken dienende Veranstaltungen.

Nach diesen Maßstäben sei das angekündigte Picknick nicht genehmigungsfähig gewesen, wäre also auch bei ordnungsgemäßer Anmeldung untersagt worden. Schließlich hätte es sich in seiner „Erscheinungsform nicht in den Städtebaulichen Kontext eingefügt“, schreibt die Stadt weiter. Im Übrigen bedeute all dies nicht, dass Flashmobs an dieser Stelle grundsätzlich verboten seien, wie zunächst interpretiert wurde. Es bedürfe vielmehr immer einer Einzelfallprüfung. Abzustellen sei dabei auf die Gemeinwohlverträglichkeit.

Nicht genehmigungspflichtig sind hingegen Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz. Doch auch damit ist Schadt gescheitert: Er meldete kurzer Hand den Flashmob als Kundgebung beim Ordnungsamt an. Dieses verbot die Demonstration jedoch mit der Begründung, es gebe an diesem Tag auf dem Platz bereits viele andere Veranstaltungen. Eine versammlungsrechtlich höchst gewagte Argumentation, auch wenn eine Demonstration an einem anderen Tag genehmigt wurde. „Wenn sie versucht, das Picknick mit Polizeigewalt zu unterbinden, würde sich die Stadt noch mehr ins eigene Fleisch schneiden“, sagt Schadt. Bei der Stadt allerdings schloss man das nicht aus: „Die Verwaltung wird sich der Lage angemessen und rechtskonform verhalten“, sagte ein Sprecher gegenüber Telepolis, sofern es auf dem Platz zu einer „Grillparty“ kommen werde. Dies dürfte auch den Einsatz der Polizei mit einschließen.

Der geplante Flashmob und das städtische Verhalten dazu haben mittlerweile eine öffentliche Debatte ausgelöst. „Eine wirkliche Politisierung des Flashmobs kam erst durch das Verbot der Stadt“, sagt Schadt. Und damit könnte er recht haben: verschiedene Parteien bekunden inzwischen ihre Solidarität. Die örtlichen Jusos schreiben in einer Erklärung: „Die Plätze sollten für alle Braunschweigerinnen und Braunschweiger offen für Aktivitäten und ein Ort der Lebensfreude sein.“ Nicht nur Open-Air-Vorstellungen des Staatstheaters gehörten zum kulturellen Leben. „Zu einer lebendigen Stadtkultur gehören in der heutigen Zeit eben Aktionen wie Konzerte, Maikundgebungen oder eben Flashmobs“, meint Juso William Labitzke.

Jens Seipenbusch, Bundesvorsitzender der Piratenpartei spricht von einer Kunstaktion, die „durch Behördenwillkür bedroht“ sei. Christian Koch, Landesvorsitzender der niedersächsischen Piraten, rief indirekt zur Teilnahme auf: "Natürlich würden wir Piraten niemals eine Aktion unterstützen, die vom Braunschweiger Ordnungsamt mit einem Veto belegt wurde. Daher fordern wir all unsere Unterstützer und Sympathisanten explizit auf, sich auf keinen Fall an besagtem Tag auf dem Schlossplatz einzufinden, Essen und Trinken mitzubringen, Spaß zu haben und dazu vielleicht noch Freunde einzuladen." Auch Politiker der Linken und der Grünen haben angekündigt, am Samstag auf dem Platz zu erscheinen. So hat die Stadt Braunschweig mit ihrem Vorgehen mehr Aufmerksamkeit auf den geplanten Flashmob gerichtet, als ihr lieb sein dürfte.

Ursächlich für die sensible Reaktion der Stadt ist eine ähnliche Veranstaltung auf Sylt, wie die Verwaltung in einer Mitteilung bestätigt. Ebenfalls über StudiVZ wurde hier zu einer Party am Strand aufgerufen – und es kamen 13.000 Menschen. Das Ergebnis dieser Feier: 14 Festnahmen und eine Rechtsstreit über 20.000 Euro Reinigungskosten, die die dortige Gemeinde dem Organisator in Rechnung stellen möchte. Deswegen bezeichnet die Braunschweiger Verwaltung ihr Handeln als „in hohem Maße bürgerfreundlich und sachgerecht“, damit Organisator Schadt sich nicht aus Versehen ordnungswidrig verhalte. Zunächst ein schlechter Vergleich, findet dieser: Zum ersten Flashmob dieser Art seien lediglich 70 Menschen gekommen. Der zweite Versuch fiel wetterbedingt ins Wasser.

Bei StudiVZ schreibt Schadt mittlerweile, sein Flashmob sei weltweit der erste, der im Vorfeld verboten wurde. Die Stadt Braunschweig bestreitet dies: Ein Verbot könne es nur bei ordnungsgemäßer Anmeldung geben. Am Samstag wird sich zeigen wie ein Braunschweiger „Nicht-Verbot“ in der Praxis aussieht. Die StudiVZ-Gruppe „1. Nicht-Picknick auf dem Schlossplatz“ hat jedenfalls inzwischen knapp 1000 Mitglieder.