Wahlkampf in alten und neuen Medien

Ein Verlag verbietet Pressegespräche mit Freien Wählern und Piraten

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Die beiden großen Parteien, die Union wie die SPD, versprachen den deutschen Verlagen in der nächsten Legislaturperiode ein neues Monopolrecht, das diese mit Verweis auf die angebliche Wichtigkeit von "Qualitätsjournalismus" für die "Demokratie" forderten. Kritiker sahen darin allerdings einen kaum verhohlenen Wink mit dem Zaunpfahl, dass etablierte Medien vorwiegend über etablierte Parteien berichten und somit eine nicht zu vernachlässigende Säule ihrer Macht darstellen - eine Rolle, die sich Verlage gern entsprechend vergüten lassen würden.

Wie zutreffend dieser Vorwurf sein könnte, zeigte sich nun in Schleswig-Holstein, wo am nächsten Sonntag nicht nur Bundestags-, sondern auch Landtagswahlen stattfinden. Dort verfügte die Führung des 15 Lokalzeitungen umfassenden SHZ-Verlages mittels einer so genannten "Stallorder", dass die Mitarbeiter ihre Berichterstattung über die Piratenpartei und die Freien Wähler einschränken müssen.

Letztere hatten bei den vorangegangenen Stadt- und Gemeinderatswahlen im nördlichsten Bundesland 51,8 Prozent der Mandate errungen und konnten 2008 in Bayern auf Anhieb mit einem zweistelligen Ergebnis in den dortigen Landtag einziehen. Als der Freie-Wähler-Kandidat Helmut Andresen sich wunderte, dass er erst zu einem Pressegespräch ein- und anschließend wieder ausgeladen wurde, stieß er bei seinen Nachforschungen auf die Weisung des SHZ-Verlages.

Anika Tanck. Bild: CC-BY-SA2.0

Darauf hin warf der FW-Vorsitzende Malte Tech einem "Kartell aus Altparteien und Großverlagen" öffentlich vor, dass es "Angst um seine Macht" habe. Die Piratenpartei-Spitzenkandidatin Anika Tanck meinte auf solche Möglichkeiten angesprochen, dass "Alles" denkbar sei, "nur keine unzensierte Berichterstattung über uns aus dem Hause SHZ".

Nachdem der Vorfall über eine gemeinsame Presseerklärung der beiden Gruppierungen an die Öffentlichkeit gelangt war, versuchte der Verlag die Vorwürfe dadurch zu entkräften, dass er verlautbarte, die Order gelte nur für Direktkandidaten. Nicht im Landtag vertretene Parteien würden dann "zu Wort kommen [...], wenn es Berichtenswertes gibt". Was durch den Streisand-Effekt und die Verbreitung in vielen überregionalen Medien nun tatsächlich der Fall wäre - allerdings berichten die SHZ-Zeitungen immer noch nicht.

Das sieht Anika Tanck vor allem für jene Regionen als problematisch an, in denen es weder Breitbandinternet noch eine Lokalzeitungsalternative zu den SHZ-Angeboten gibt. Eine Situation, die ihrer Ansicht nach nicht nur dazu führt, dass Bürger potentiell schlechter über Angebote kleinerer Parteien informiert werden, sondern auch, dass eine Überprüfung von Aussagen der Kandidaten der großen auf Machbarkeit und Wahrhaftigkeit entscheidend erschwert wird. Aus diesen Gründen hebt die Flensburgerin eine flächendeckende Breitbandversorgung für Schleswig-Holstein als ein zentrales landespolitisches Anliegen der Piraten hervor.

Gescheiterter iWahlkampf

Der Onlinewahlkampf klappt dagegen für die großen Parteien auch mehr als 15 Jahre nach der Massenzugänglichkeit des Internet bei weitem weniger gut als sein Offline-Äquivalent: So unterließ es die CDU etwa, die Domain mit ihrem Bundestagswahlslogan "Wir haben die Kraft" anzumelden, was flugs die Piraten machten, die seitdem alle dort landenden Besucher darüber informieren, warum sie die technologiefreundlichere Partei sind. Man hätte meinen mögen, dass die SPD aus diesem Schaden ihres Koalitionspartners lernen und die Domain für ihre eigene Werbebotschaft "Unser Land kann mehr" rechtzeitig angemeldet würde - doch auch hier waren die Piraten schneller.

Bemerkenswert scheint dies unter anderem deshalb, weil die SPD angekündigt hatte, mit Tools wie iSPD besonders auf das Internet zu setzen. Spätestens nach der Zustimmung der Partei zum Aufbau einer neuen Zensurinfrastruktur und nach der Ankündigung ebenso zensurtauglicher Leistungsschutzrechte für Verlage wirkten diese Unternehmungen, in welche die Partei viel Geld investierte, nur noch wie ein verzweifelter Versuch, auf einer formalen Ebene jene Wählerschichten zurückzugewinnen, die man auf einer inhaltlichen verprellt hat.

Entsprechend spöttische Reaktionen gab es auf das lizenzfrei von der Obama-08-Applikation abgekupferte Tool, dass praktisch keine freien Interaktionsmöglichkeiten oder sonstige Anreize für die Allgemeinheit bot: Der Ruhrbarone-Blogger Stefan Laurin empfahl spöttisch neue Funktionen wie "SperrMe", zum schnellen Melden von Seiten "die man gesperrt haben will", einen "Jobless-Button", der anhand aktueller Umfragewerte errechnet, wie viele SPD-Abgeordneten sich nach neuen Tätigkeitsfeldern umsehen müssen, und den Online-Parteiaustritt "Raus" ("sicher, schnell und unbürokratisch").