Ende des Schweigens

CDU und Liberale haben im Wahlkampf Entlastungen versprochen. Werden sie sich ab heute noch daran erinnern?

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Was erwartet uns ab dem morgigen Montag nach der Bundestagswahl? Anders als in den vergangenen Jahren sind nicht die Ankündigungen der führenden Kräfte – Christdemokraten und Liberalen – besorgniserregend. Es ist ihr Schweigen, das zu Denken gibt. Mitten in der Weltwirtschaftskrise haben Konservative und Wirtschaftsliberale in den vergangenen Wochen und Monaten unisono Entlastungen, also Steuersenkungen, angekündigt. Doch wie realistisch ist dieses Versprechen? Experten sind sich sicher, dass die staatlichen Kassen durch die zunehmende Arbeitslosigkeit klammer werden. Wie diese Mindereinnahmen ersetzt werden sollen, war von keiner der Parteien zu hören, von denen Deutschland in den nächsten vier Jahren regiert werden wird. Das könnte sich ab kommender Woche dramatisch ändern.

Wer genau hinhörte, konnte das drohende Unheil erahnen. „Wir werden auf das eine oder andere Liebgewonnene verzichten müssen“, sagte etwa Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) unlängst. Der Verantwortliche aus dem sozialdemokratischen Lager formulierte es – seiner Klientel bewusst – vorsichtiger. „Es wird Veränderungen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite geben“, kündigte der scheidende Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) an. Nun wird der Sozialdemokrat sich zurücklehnen können. Mit gut 23 Prozent haben die Sozialdemokraten unter Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering das schlechteste Ergebnis für die deutschen Sozialdemokraten seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland eingefahren. Das Management der auch von ihnen verursachten Krise dürfen sie nun ihren Konkurrenten überlassen.

Absehbar ist, schreibt die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, dass der Staat in den nächsten vier Jahren über 300 Milliarden Euro weniger als geplant einnehmen wird. Schon im ersten Halbjahr 2009 seien die Staatsschulden um 87 Milliarden auf 1,6 Millionen Euro angewachsen. Die Konservativen und Liberalen müssten nun endlich sagen, welche Einschnitte im Fall ihrer Regierungsübernahme drohen. Der Ruf verhallte ohne Reaktion. Es ist zu erwarten, dass nicht nur die „Opelaner“ diese Stellungnahme in den kommenden Wochen und Monaten auf der Straße einfordern werden.

130 Milliarden Neuverschuldung bis 2010

Dabei sind sich Experten, deren Einkommen nicht von der Wählergunst am heutigen Wahlsonntag abhängig war, einig: Steuererhöhungen nach der Wahl seien unausweichlich, sagte etwa der Ökonom vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), Alfred Boss. Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, Clemens Fuest, forderte eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um bis zu zwei Prozent. Eine Anhebung um ein Prozent von derzeit 19 auf 29 Prozent würde den Staatskassen bereits acht Milliarden Euro mehr bescheren, rechnete das Boulevardblatt BILD vor. Ein Aufschlag von zehn Eurocent auf den Liter Benzin im Rahmen einer Ökosteuer brächte sechs Milliarden Euro, und eine Kürzung der Renten um zehn Prozent erneut acht Milliarden. Solche Kalkulationen lassen einen Ausblick darauf zu, was in den kommenden vier Jahren folgen wird. Allgemeine Steuersenkungen werden es sicher nicht sein.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung mit Sitz in Berlin, Klaus Zimmermann, hält Steuersenkungen zwar „in einem geringeren Maße für denkbar“. Sie würde allerdings die Finanzprobleme des Staates erhöhen. Das gilt vor allem für die Kommunen. Sowohl der Deutsche Städtetag als auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) warnen vor dramatischen Finanzengpässen auf kommunaler Ebene. Die Finanz- und Wirtschaftkrise reiße tiefe Löcher in Haushalte der Städte und Kommunen, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus. Finanzexperten prognostizieren schon jetzt eine Neuverschuldung auf den verschiedenen Verwaltungsebenen von bis zu 130 Milliarden Euro bis Ende 2010. Danach müsse es eine „massive Haushaltskonsolidierung“ geben, so der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Heinemann von Institut ZEW.

Business as usual – international und in Deutschland

An diesem sonnigen Wahlsonntag herrschte noch die Ruhe vor dem Sturm. Auch am Wahlabend nahmen weder Angela Merkel noch FDP-Chef Guido Westerwelle in den Interviews zu den unangenehmen Fragen der Journalisten Stellung: Wie wollen sie die Folgen der Krise handhaben? Die Vorsicht der künftigen Regierungsspitze ist verständlich: In einem Gespräch hatte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michel Sommer, zuvor deutlich vor Sozialabbau gewarnt. Eine solche Politik werde auf den „erbitterten Widerstand“ der Gewerkschaften stoßen, die in Deutschland rund sechs Millionen Mitglieder vereint. Die Aufgabe einer Regierung sei es, die Menschen in Arbeit zu halten, sagte der Gewerkschaftschef. Auch der Präsident des katholischen Hilfswerks Caritas, Peter Neher, warnte vor einer stärkeren sozialen Ausgrenzung. Ähnliche Töne kommen in diesen Tagen auch von anderen sozialen Organisationen.

Die Frage ist nicht nur, wie ehrlich die nun Regierenden mit den Wählern umgegangen sind, sondern auch, wie groß die Bereitschaft bei CDU und FDP ist, strukturelle Reformen einzuleiten. Der gerade ausgeschiedene Präsident des Instituts für Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen, Rudolf Hickel, fordert eben diesen Mut. „Es muss ganz schnell zu Regulierungen kommen“, sagte er unlängst in einem Radiointerview, sonst drohe wieder der Rückfall in die alte Entwicklung auf den Finanzmärkten. Während bei dem Gipfeltreffen der 20 wirtschaftsstärksten Staaten im April noch Reformen und Marktkontrollen angekündigt wurden, war bei der letzten Zusammenkunft dieser Staatengruppe im US-amerikanischen Pittsburgh nichts mehr darüber zu hören, so Hickel. Es stellt sich business as usual ein (Sieg des Populismus). International und in Deutschland. Bis zur nächsten Wahl.