Schwarz-gelbe Koalition bei Steuersenkungen im Zugzwang

Nicht nur die FDP und CSU, auch die Wirtschaftsverbände und die Wirtschaftsflügel der CDU machen nun Druck

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Die Union hat sich mit ihrem Wunschpartner FDP in die Position bringen lassen, um Steuerentlastungen nicht mehr herumzukommen. Und sie werden vermutlich nicht nur symbolisch sein können. FDP-Vize Cornelia Pieper machte schon einmal ebenso wie Westerwelle deutlich, dass Steuersenkungen "ganz oben auf der Prioritätenliste" stünden. Philipp Rösler, niedersächsischer Wirtschaftsminister und Mitglied im Präsidium der FDP, wiederholte im Deutschlandradio das Mantra, dass durch Steuersenkungen Wachstum erzeugt werden soll: „Nur durch Wachstum wird man am Ende aus der aktuellen Schuldenfalle herauskommen können." Und er fügte hinzu: „Wir werden (...) deutlich machen, dass es uns nicht zum Nulltarif gibt.“ Ohne Steuersenkungen als Koalitionsbeschluss hätte die FDP schon das erste Glaubwürdigkeitsproblem.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla erklärte im ARD-Morgenmagazin, schnell mit den Koalitionsverhandlungen starten zu wollen, um in einem Monat den Koalitionsvertrag fertig zu stellen. Er gab zu erkennen, dass Steuersenkungen durchgeführt werden sollen: "mit einem Gesamtvolumen von 15 Milliarden Euro". Das wird nach dem ersten Angebot dann wohl noch ein wenig höher ausfallen müssen, um die FDP ins Boot zu holen. Nach der CDU soll die kalte Progression reduziert und der Eingangssteuersatz um zwei Prozentpunkte gesenkt werden.

Auch wenn man in der Union und der FDP weiß, dass nun erst die schlimmen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise mit steigender Verschuldung, wachsender Arbeitslosigkeit und höheren Sozialausgaben kommen werden, hält man am eingeschlagenen Weg noch fest, mit dem Zaubermittel Steuersenkungen irgendwie Wirtschaftswachstum und damit Steuermehreinnahmen und Schuldenabbau erzielen zu können. Offenbar haben viele Bürger sich von diesem Glauben beeindrucken lassen, den die schwarz-gelbe Union mit ihrem Experiment nun beweisen muss. Allerdings stehen hinter der Regierungsmehrheit zwar 48,4 Prozent der Wähler, aber nur 31,5 Prozent der Wahlberechtigten.

Skepsis ist angebracht, das Experiment ist noch nirgendwo überzeugend gelungen und hat nur die Kluft in der Gesellschaft zwischen Arm und Reich weiter aufgehen lassen. Trotzdem wird die neue Koalition erst einmal Steuersenkungen vornehmen, um später, wenn die Wahl in den Hintergrund rückt, mit Steuererhöhungen die Löcher wieder zu flicken. Der Druck auf die Union und vor allem die Kanzlerin ist auch aus den eigenen Reihen und aus der Wirtschaft groß, die nun "ihre" Regierung nutzen wollen, um für sich das Beste herauszuholen.

Eilig hat es der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). "Die Wähler haben ein deutliches Votum für eine mutige Reformpolitik abgegeben", sagte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann. Man brauche ein "klares Programm für Wachstum". Der Kern scheint in Steuersenkungen für Unternehmer zu liegen. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben: "Wir setzen darauf, dass die neue Bundesregierung insbesondere ihre steuerpolitischen Zusagen aus den Wahlprogrammen schnell in die Tat umsetzt." Die Regierung müsse, so fordert der DIHK, zunächst ein Sofortprogramm auflegen. Als Kernelemente für die ersten 100 Tage nannte der DIHK-Präsident Korrekturen bei der Unternehmen- und Erbschaftsteuerreform, die Sicherung der Kreditvergabe und eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.

Auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt fordert zwar den Schuldenabbau, aber auch die Senkung von Steuern und Abgaben und "Ausgaben senkende Strukturreformen in allen Zweigen der Sozialversicherung". Und er sagt deutlich, wo sich Union und FDP nicht vergreifen sollen: "Die Politik muss ferner alles unterlassen, was Arbeit und Wirtschaft zusätzlich belastet. Gleich nach der Sicherung der Unternehmensfinanzierung heißt deshalb die zweite Priorität: keine neuen Steuern und Abgaben, keine zusätzliche Bürokratie. In den Wahlprogrammen der Parteien finden sich sozialpolitische Wunschvorstellungen, die zwangsläufig zu höheren Abgaben führen. Deshalb gilt die Forderung: In den kommenden vier Jahren darf es keine neuen Belastungen für Wirtschaft und Arbeit geben!"

Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), stößt ins selbe Horn: "Priorität haben Entlastungen: Durch kurzfristige Korrekturen bei den Unternehmenssteuern, die die den Erhalt von Betrieben gefährdende Substanzbesteuerung beseitigen und mittelfristig durch eine gestufte Steuerreform, die gerade auch den „Mittelstandbug“ beim Einkommensteuertarif abflacht, der vor allem niedrige und mittlere Einkommen überproportional trifft." Mittelstandspräsident Mario Ohoven frohlockt gleich: "Angela Merkel und Guido Westerwelle sind das Traumpaar des deutschen Mittelstandes." Nun müsse es eine "spürbare Senkung" der Steuern und Abgaben geben und natürlich eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.

In der Union werden nun die der Wirtschaft nahestehenden Gruppen lauter. Der Vorsitzende der CSU-Mittelstands-Union, Hans Michelbach, sagte „beträchtliche Teile des Mittelstandes und der Mittelschicht“ hätten an der "zu großen Nachgiebigkeit der Union gegenüber den sozialdemokratischen Zumutungen in der Großen Koalition" gelitten. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann (CDU), kritisierte beispielsweise, dass sich Merkel am Schluss auch noch der SPD-Forderung nach einer Börsenumsatzsteuer angeschlossen habe. „Wir müssen", so Michelbach, "die von der SPD zu verantwortenden Fehler der großen Koalition insbesondere in der Steuerpolitik beseitigen."

Die "Sozialdemokratisierung" der Union kommt damit vermutlich an ihr Ende. Die Union wird wohl in eine ähnliche Lage wie zuvor die SPD mit der Linken geraten. Warum nicht gleich die wirtschaftsfreundlichere Partei FDP wählen? Die letzte "Volkspartei" wird weiter erodieren, die Popularität der Kanzlerin sinken, die nun einen Ausgleich mit der FDP finden muss, die sozialen Kämpfe werden ebenso schärfer werden wie die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Lagern, zumal wenn die Folgen der angesteuerten Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik mit denen der Wirtschaftskrise zusammen stoßen. Das linke Lager könnte jubeln und muss die nächsten Jahre nur aussitzen, wenn es denn ein Lager werden sollte.