Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von der Miete

Kaum an der Regierungskoalition beteiligt, zeigt sich die FDP nicht nur als Bürgerrechtspartei, sondern auch als Kraft, die ein Herz für ALG II-Empfänger hat - und daher sofort tätig wird, um dieser Klientel zu helfen

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Der ALG-II-Regelsatz ist, trotz der erst unlängst erfolgten, immensen Erhöhung von einst 345 auf zunächst 351 und nun 359 Euro, noch immer für viele Empfänger zu niedrig. Trotz diverser, leider oft verunglimpfter Ratschläge der Experten stoßen viele ALG-II-Empfänger an die Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten. Dies ist hinsichtlich der Tatsache, dass mit ein wenig Selbstdisziplin auch ein Auskommen mit weit weniger Geld möglich wäre, alarmierend. Aber egal ob es nun die mangelnde Selbstdisziplin oder der niedrige Regelsatz sind, fest steht, dass die Versuchung, sich bei den Geldern zu bedienen, die fernab des Regelsatzes gezahlt werden, groß ist. Dies sind die Kosten der Unterkunft (KdU).

Der ALG II-Empfänger ist somit in jedem Monat des Leistungsbezuges dieser Versuchung ausgesetzt. Gibt er dieser nach, so führt dies unweigerlich zu weniger finanziellen Ressourcen pro Monat oder gar zur Verschuldung. In Extremfällen kann dies natürlich auch zu der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung oder der Räumungsklage führen, weshalb die Gesetzgebung es möglich macht, die KdU direkt an den Vermieter zu zahlen, sofern der ALG II-Empfänger mit der Trennung zwischen diesen Kosten und dem Regelsatz in Bredouille gerät. Doch diese Regelung ist lediglich dafür gedacht, dem in den Brunnen gefallenen Kinde heraus zu helfen. Die FDP hat hier schnell bemerkt, dass Prävention für alle Beteiligten weitaus sinnvoller wäre und hat insofern nicht nur die Änderungen von ALG II zum liberalen Bürgergeld in ihr Wahlprogramm, welches nun nach der Wahl unzweifelhaft umgesetzt werden wird, aufgenommen, sondern auch Nägel mit Köpfen gemacht, um den monatlich in Versuchung geratenen Leistungsbeziehern zu helfen.

Keine Mauscheleien mehr bei der Mietkürzung

Die FDP will nicht nur, dass von nun an ALG II-Empfängern die KdU nicht mehr ausgezahlt werden. Stattdessen sollen Vermieter direkt das ihnen zustehende Geld erhalten.

"Diese Regelung ist wegweisend" heißt es aus bisher unbestätigten Quellen. "Nicht nur, dass die ALG II-Empfänger vor sich selbst geschützt werden, die Vermieter werden auch vor den ewigen Mietkürzungsmauscheleien geschützt." "Denn", so weiter, "auch ungerechtfertigte Mietkürzungen führen bei Immobilienbesitzern monatlich zu schweren Einbußen. Egal ob vermeintlicher Schimmel, ob ausfallende Heizung oder nicht schließende Fenster - immer öfter kommen ALG II-Empfänger auf die Idee, sich ihr ohnehin schon üppiges monatliches 'Ersatzgehalt' durch Mietkürzungen aufzustocken."

Natürlich ist es ALG II-Empfängern auch bei Direktzahlung der Miete durch die Sozialleistungszahlenden möglich, eine Mietkürzung durchzusetzen - es wird lediglich dem ALG-II-Empfänger auferlegt, diese Mietkürzung vorher zu überdenken, zu prüfen und dann, gegebenenfalls. mit entsprechenden Unterlagen und Begründungen, die ArGe aufzusuchen und dort zu erläutern, wieso die Zahlung an den Vermieter gekürzt werden sollte.

Gleichermaßen müsste er bei Forderungen des Vermieters die ArGe hinzuziehen, um darüber zu beraten. Die Idee, dass der Leistungsempfänger entmündigt wird, greift natürlich nicht, da er ja weiterhin der Vertragspartner und somit auch Verantwortliche ist.

Um es einfach zu schildern:

Sollte beispielsweise der ALG II-Empfänger der Meinung sein, dass er die Miete kürzen kann, weil trotz mehrmaliger Aufforderung der Vermieter die Reparatur der Gastherme nicht hat vornehmen lassen, so muss er lediglich seine bisherigen Aufforderungen an die Vermieter, gegebenenfalls. ein Mietgesetz und die Belege, die er auch dem Vermieter vorlegte, der ArGe vorlegen, gegebenenfalls. einige Wartezeit einplanen und dann wird die ArGe die Mietkürzung vornehmen. Der Vermieter wird sich dann mit dem Mieter auseinandersetzen und, sobald Abhilfe geschaffen wurde, teilt der Mieter der ArGe mit, dass die KdU nun wieder zu 100% anfallen werden.

Für den Vermieter ergibt sich so die positive Situation, dass er einerseits von Anfang an um den ALG II-Bezug des Mieters weiß und sich so frei entscheiden kann, ob er die Immobilie unter diesen Umständen vermieten möchte, und andererseits auch vor ungerechtfertigten und übereilten Mietkürzungen und -einbehaltungen gefeit ist. Die Argumentation, dass viele ALG-II-Empfänger ihr Recht auf Mietkürzung nicht durchsetzen werden, greift nicht. "Selbstbestimmung heißt eben auch, für seine Rechte einzutreten." heißt es aus Insiderkreisen. "Der kurze Gang zur ArGe schadet doch nicht."

Nicht zuletzt werden ja auch die Vermieter hier mit mehr Aufwand rechnen müssen, z.B. bei jenen, die ihr Gehalt durch ALG-II-Leistungen aufstocken. Hier müssen die Vermieter nunmehr zwei Zahlungen verbuchen, verrechnen usw.

Es ist bezeichnend, dass die prekäre Lage der Immobilienbesitzer in der Diskussion um die Pläne der FDP eher eine kleine Rolle spielt und stattdessen damit argumentiert wird, dass die Neuregelungen Mieter wie auch ALG-II-Empfänger vieler Rechte berauben. Dabei werden die positiven Aspekte, wie z.B. die durch die Neuregelungen mögliche Solidarisierung, außer Acht gelassen.

Keine falsche Scham bitte

Vielfach wird argumentiert, dass es bis heute ALG-II-Empfängern wichtig sein würde, ihren Status geheimzuhalten. Gegenüber dem Vermieter, ja selbst gegenüber Bekannten, Freunden oder der Familie wird behauptet, der Arbeitsplatz sei noch vorhanden. Mit geradezu aberwitzigen Methoden wie dem Umfüllen von Billigweinen in Glasflaschen oder dem Einschweißen von billigen Wurstsorten in Verpackungen teurerer Produkte wird ein Lebensstil vorgegaukelt, der nicht mehr gepflegt werden kann. Diese Leistungsbezieher, so heißt es, würden nunmehr gezwungen werden, sich preiszugeben. Tatsächlich ermöglicht die bisherige Praxis es den ALG-II-Empfängern, ihren Status zu verschleiern. Dies aber verhindert auch, dass die immerhin hohe Anzahl der ALG-II-Empfänger sich untereinander solidarisiert. Zudem gibt es neben den ALG-II-Empfängern auch noch andere Transferleistungsempfänger - statt also hier auf Verdrängung und Verstecken zu setzen, wäre ein offenes Eingeständnis der eigenen Situation nicht nur für die eigene Person, sondern auch für die Gesellschaft hilfreich. Die Verpflichtung, sich gegenüber dem Vermieter als ALG-II-Empfänger zu offenbaren, wäre hier ein erster unausweichlicher Schritt, da ja die KdU direkt vom Amt übernommen werden würden.

Es ist geradezu menschenverachtend und natürlich auch Godwin's Law entsprechend, wenn Kritiker hier entgegnen, unter dieser Prämisse sei die neue Regelung ja ein Kennzeichnungssystem für Transferleistungsempfänger - ein solches Kennzeichnungssystem wäre aus den obigen Gründen eher der Solidarität förderlich, wird aber bisher nicht angestrebt. "Hier geht es doch nicht um Stigmatisierung", so ein Experte, "hier geht es um Hilfe." Aber vielleicht werden sogar Fortbildungskurse notwendig sein, um dies zu vermitteln.